Jetzt bitte mal wieder runterkommen von der Riesenaufregung um die beiden Unionsabgeordneten Nikolas Löbel und Georg Nüßlein, die mit anrüchigen Masken-Deals an der Not der Menschen in der Corona-Pandemie satt verdienten. Was die beiden Parlamentarier getan haben, ist und bleibt unanständig. Das braucht man nicht nochmal und nochmal zu wiederholen.
Vielleicht sollte man stattdessen mal wieder nachlesen, was man im Internet mit einem oder zwei Klicks ganz schnell findet und was völlig normal ist: Die satten Nebeneinkünfte vieler unserer Bundestagsabgeordneten. Wenn der Erregungs-Hype um Löbel und Nüßlein davon ablenkt, wäre das gewiss manchen Parlaments-Profiteuren nur recht. Sie könnten sich ins Fäustchen lachen und weiter unbeachtet kassieren.
Zur Klarstellung gleich vorweg: Was hier folgt, ist nicht das Ergebnis mühsamer Recherchen, sondern basiert auf gut aufbereiteten Zusammenstellungen von „abgeordnetenwatch.de“. In einer dieser Zusammenstellungen wird der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich zitiert. Der hatte schon vor Jahren zu Protokoll gegeben: Für bezahlte Nebentätigkeiten habe er eigentlich gar keine Zeit. „Für mich ist der Beruf des Abgeordneten ein Vollzeitjob“.
So halten es längst nicht alle im „Hohen Haus“. Nach Recherchen von „abgeordnetenwatch“ und „Spiegel“ haben Stand Herbst vergangenen Jahres von 709 Bundestagsabgeordneten immerhin 215, also fast jede(r) Dritte, eine bezahlte Nebentätigkeit. Und da gibt‘s mitunter beträchtliche Summen aus Beratertätigkeiten, Unternehmensposten und Vorträgen – für die 215 Nebenverdiener in nur drei Jahren von der letzten Bundestagswahl bis Herbst 2020 zusammen 25,1 Million Euro.
Ein paar Beispiele, von denen es viel, viel mehr gibt: Der frühere Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) allein kam auf über eine halbe Million Euro an „Beraterhonoraren“. Außerdem sitzt er in mehreren Unternehmensgremien und ist Präsident der arabisch-deutschen Handelskammer. Seine Einkünfte neben den Abgeordneten-Diäten von 2017 bis 2020: Fast 900.000 Euro. Trotzdem behauptet Ramsauer, sein Bundestagsmandat stehe – wie vorgeschrieben – „eindeutig im Mittelpunkt“ seiner beruflichen Tätigkeit.
Ex-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt kassierte für den Verwaltungsratsposten bei einem Schweizer Pharma(!)konzern in knapp drei Jahren mindestens 165.000 Euro. Seiner FDP als „Partei der Besserverdienenden“ macht FDP-Chef Christian Lindner mit üppigen Nebeneinkünften von mindestens 425.000 Euro in drei Jahren alle Ehre. Seit der Bundestagswahl 2017 bis Herbst vorigen Jahres hielt er 66 Vorträge gegen Bezahlung u.a. bei einer Unternehmensberatung, bei der Allianz Global Investors und einer Bank. Auch der prominente Linke Gregor Gysi ziert sich nicht, wurde für mehr als 100 Veranstaltungen gebucht und kommt auf Nebeneinkünfte von mindestens 470.000 Euro. In vielen Ländern, darunter Frankreich und Kanada, dürfen Parlamentarier für ihre Auftritte nicht privat kassieren. Eigentlich selbstverständlich, denn sie sind ja auch dafür gewählt, dem Volk Rede und Antwort zu stehen. Das sollte in ihren Diäten eigentlich mit drin sein. Die Frage sei erlaubt: Bekommen die parlamentarischen Großverdiener das viele Geld wegen ihrer eigenen Tüchtigkeit, oder resultiert die teilweise horrende Bezahlung nicht auch aus ihrer Prominenz, die ihnen die Wähler mit ihrem Mandat verliehen haben?
Manche kassieren oder kassierten neben ihren Abgeordneten-Diäten ein opulentes zweites Monatsgehalt: So der ehemalige SPD-Chef, frühere Vizekanzler und Abgeordnete bis November 2019, Sigmar Gabriel, vom Holtzbrinck-Verlag zwischen 15.000 und 30.000,— Euro und Ex-CDU-Fraktionschef Volker Kauder als Berater eines Bergbaukonzerns zwischen 3.500 und 7.000 Euro.
Das wirft eine weitere Frage auf: Werden Abgeordnete von einzelnen Konzernen und Interessenorganisationen nicht auch deshalb so fürstlich entlohnt, weil die sich einen privilegierten Zugang zur Politik erhoffen ? Besonders fragwürdig: Bei mindestens sechs Millionen Euro, die in drei Jahren an Abgeordnete des Bundestags geflossen sind, weiß man die Absender nicht. Das alles ist nicht illegal, aber auch nicht „scheißegal“. Was der Europa-Abgeordnete Dennis Radtke, stellvertretender Bundesvorsitzender des Arbeitnehmerflügels der CDU dieser Tage in einem Interview äußerte, sollte eigentlich selbstverständlich sein, ist es aber wohl nicht: „In der Politik geht es letztlich nicht nur um die Frage, was ist legal und illegal, sondern auch um die Frage, was ist moralisch vertretbar, ab wann wird Vertrauen erschüttert.“
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