Mit gesengtem Kopf und hängenden Schultern verließ Uwe Seeler an jenem berühmt-berüchtigten 30. Juli 1966 den grünen Rasen des Wembleystadions in London. Deutschland hatte gerade das Endspiel um die Fußball-WM mit 2:4 nach Verlängerung verloren, auch weil die deutsche Mannschaft ein Tor, das vorentscheidende dritte kassiert hatte, das keines war. Der Ball des englischen Stürmers Geoff Hurst war gegen die Unterkante der Latte geknallt, dann ins Feld zurückgesprungen, wo er vom deutschen Abwehrspieler Wolfgang Weber ins Aus, also zur Ecke für England geköpft wurde. Dachte Weber, dachte Torwart Hans Tilkowski, dachte Uwe Seeler, der Spielführer der deutschen Mannschaft, in deren Reihen damals der noch junge Franz Beckenbauer spielte. Aber der Schweizer Schiedsrichter Gottfried Dienst, der zunächst England den erwähnten Eckball geben wollte, entschied dann nach Rücksprache mit seinem russischen Kollegen Bahramov auf Tor für das englische Team. Es sollte das Jahrhunderttor werden. über das jahrelang diskutiert wurde. Wie und mit welchem Eifer, zeigt der Hinweis bei Wikipedia, dass „die Kommunikation(zwischen Dienst und Bahramow) auf Englisch erfolgte, obwohl Bahramov nur Aserbaidschanisch und Russisch sprach.“ Der damalige deutsche Bundespräsident Heinrich Lübke wollte den Ball hinter der Linie gesehen haben und wurde deshalb heftig kritisiert. Uwe Seeler nahm die Niederlage hin- wie ein Sportsmann, der auch verlieren kann. Heute wird der Hamburger 85 Jahre alt.
Uwe Seeler, zu Lebzeiten schon eine Legende. Ein Fußballer, wie er im Buche stand, Vorbild, Mannschaftsspieler, Kämpfer, Torjäger, einer der letzten richtigen Mittelstürmer, der vorne reinging mit dem Kopf oder dem Fuß, der sich für nichts zu schade war. Einer ohne Affären, ohne all die Bilder und Geschichten, Werbung und was sonst noch alles heute die Kicker ausmacht. Er stand auf dem Platz, wer gegen ihn spielen musste, hatte harte Arbeit zu verrichten. Denn dieser Seeler war schnell, er war ständig unterwegs und er schoss Tore mit dem Kopf und mit dem Fuß. Nein, das heute so übliche Meckern über den Schiri oder das gekonnte Hinfallen, um einen Freistoß zu schinden, das war nicht seine Welt. Und er spielte fair. Er war bodenständig, ein Hamburger durch und durch, der seinen HSV nie verließ. Auch nicht, als Vereine aus Italien mit hochdotierten Verträgen-Inter Mailand soll 1,5 Millionen DM geboten haben- lockten. Uwe blieb an der Alster. Eines hätte er lassen sollen: Präsident des HSV, das konnte er nicht, aber das nur am Rande. Zumal das mit dem vielen Geld und dem Fußball nicht seine Welt war.
Ich habe ihn spielen sehen, entweder in Schalke oder in Dortmund, als er noch sehr jung war. Oder im Fernsehen. Der junge Uwe Seeler war ein ziemlich bulliger Spieler, der stets nach vorn drängte, den zu halten manche Abwehrspieler ihre Probleme hatten, weil er schnell war, sprunggewaltig und weil er köpfen und schießen konnte. Ich habe ihn gesehen, wie er quer in der Luft lag, um eine Flanke seines Mitspielers mit dem Kopf im Tor zu versenken. Kann sein, dass diese Flanke von Charly Dörfel kam, seinem Mitspieler beim HSV, der damals in den 60er Jahren Linksaußen spielte. Uwe Seelers Bruder Dieter gehörte zu dieser Mannschaft, später Willy Schulz, ein Spieler, der aus dem Wattenscheider Ortsteil Günnigfeld kam, bei Schalke kickte, ehe es ihn, als die Schalker abstiegen, in den hohen Norden zog. Schon mit 17 Jahren machte er sein erstes Länderspiel, die Nation litt mit, als er schon in höherem Alter schwer verletzt wurde und das Ende der Karriere drohte. Aber Uwe Seeler, der Kämpfer, kehrte zurück und Fußball-Trainer Helmut Schön nominierte ihn neben Gerd Müller quasi zum zweiten Mittelstürmer der Nationalmannschaft für das WM-Turnier in Mexiko 1970. Im Spiel gegen England, in dem die Engländer 2:0 führen, gelang den Deutschen mit Toren von Beckenbauer, Seeler -mit dem Hinterkopf- und Müller der Sieg. Der Gewinn einer Weltmeisterschaft blieb dem Hamburger verwehrt. Nach 72 Länderspielen endete 1970 seine einzigartige Laufbahn. Er hat für Deutschland 43 Tore geschossen, war bei WM-Turnieren mal Vierter, dann Zweiter und zuletzt Dritter. Deutscher Meister mit den HSV, Pokalsieger, ist Ehrenspielführer der Nationalmannschaft, vielfach geehrt.
Vor Tagen las ich eine Meldung, in der es hieß, Uwe Seeler sei erkrankt, aber es sei nichts Schlimmes. Dem Alter angemessen sei er bei guter Gesundheit, er geht nach Sturz, Hüftbruch und Operation am Stock und aus meiner Warte füge ich hinzu: Uwe Seeler ärgert sich über seinen HSV, weil der in der 2.Liga irgendwie mitkickt, aber eben schon länger nicht mehr zu den besten Klubs in Deutschland zählt wie einst zu Seelers glorreichen Zeiten. Und wer Uwe Seeler erwähnt, denkt gleich an eine andere Fußball-Ikone, Fritz Walter, 2002 gestorben. Seeler hat noch mit dem großen Fritz vom 1. FC Kaiserslautern-in welcher Liga kicken die einstigen Roten Teufel?- in der Nationalmannschaft gespielt. Auch er ein bescheidener Zeitgenosse, bodenständig, wie der Dicke aus Hamburg, wie man Seeler einst freundlich nannte. Uwe Seeler, ein Mythos zu Lebzeiten, wie der Publizist Ulfert Schröder ihn bejubelt in seinem Buch „Stars auf grünem Rasen“. Seelers Beine seien „die Beine der Nation“ gewesen. „Uwe, dieser Name stand für den deutschen Fußball wie das Made in Germany für die deutsche Industrie“, so Schröder über den Mann, der zum Nationaldenkmal geworden sei. Noch einmal der Publizist, wie er über den Kicker und den Menschen ins Schwärmen geriet: „Das Idol war nationales Eigentum geworden. Vorbild und Muster. Alles, aber kein Star.“ Eben, weil er einer von uns war, hieß er auch einfach: Uns Uwe. Die SZ nennt ihn in ihrer heutigen Seite-3-Geschichte („Helden wie wir“) „Deutschlands Herzensfußballer“. Und SZ-Autor Holger Gertz wünscht dem Jubilar am Ende seiner einfühlsamen Story. „Lang lebe Uwe Seeler.“ Mehr geht eigentlich nicht.
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Uns aktiven Fußballern in Norddeutschland war ‚uns Uwe‘ schon in den frühen 50er Jahren ein Vorbild. Mehrere Jahre hintereinander war Uwe Seeler Torschützenkönig der Oberliga Nord. Ich erinnere mich an die WM 1958 in Schweden. Wir bekamen unseren ersten Fernseher und sahen die Gruppenspiele gegen Argentinien und Nordirland. In beiden Spielen schoss Uwe Seeler ein Tor. 1961 gab es ein legendäres Europapokalspiel gegen den FC Burnley. Der HSV hatte das Hinspiel 1:3 verloren. Das Rückspiel wurde in ganzer Länge im Fernsehen übertragen (damals noch ein Novum bei Vereinsspielen). Der HSV gewann 4:1, durch Tore u.a. von Uwe Seeler und Charly Dörfel. Und so könnte man immer weiter erzäheln: 1965 WM Quali gegen Schweden; WM 1966 und 1970. Daran erinnert man sich, als wäre es gestern gewesen. Vielen Dank dafür Uwe Seeler