Viele große Energiekonzerne haben in den letzten Jahren auf Gas-, Öl- und Kohlelieferungen aus Russland gesetzt. Diese Beziehungen galten als sicher, da selbst in Zeiten des Kalten Krieges die Lieferketten nicht unterbrochen wurden. Vor rund 50 Jahren, als die Ruhrgas AG das Gasgeschäft mit der Sowjetunion einfädelte, waren die deutschen Manager recht vorsichtig: Der Anteil des Gases sollte maximal 10 Prozent erreichen, um die Abhängigkeit von Moskau zu begrenzen.
Unterschätzte Risiken
Doch die Risikoeinschätzung hat sich in den letzten Jahrzehnten wesentlich verändert. Nach Nordstream 1 wurde Nordstream 2 gebaut. Dafür investierten Energiefirmen aus Deutschland, Österreich, Frankreich und den Niederlanden viele Milliarden Euro, damit noch mehr Gas in Richtung Westen gepumpt werden sollte. Denn russisches Gas wurde von den Abnehmerfirmen als günstig im Preis und als zuverlässig in der Versorgung eingeschätzt. Insbesondere die Energiepolitiker in Deutschland übernahmen allzu gern dieses Urteil der Experten aus den Importunternehmen. Lange Zeit wurde deshalb auch die Pipeline Nordstream 2 vor allem als ein Projekt der Wirtschaft gesehen, auch wenn die politischen Bedenken in den USA und einigen EU-Staaten dagegen zum Teil mit Diplomatie und Tricks ausgeräumt werden mussten. Inzwischen ist Nordstream 2 ein „stranded investment“, eine tote Rohrleitung auf dem Meeresboden der Ostsee.
Von Putin getäuscht
Niemand hatte jedoch die Kalkulation mit dem Kremlherrscher Putin gemacht. Niemand hatte seine Expansions- und Kriegslust richtig eingeschätzt und seinen militärischen Überfall auf die Ukraine prognostiziert. Gewiss hätte man schon nach der kriegerischen Einnahme der Krim im Jahre 2014 gewarnt sein müssen. Doch in der euphorischen Stimmung, dass bald noch größere Mengen von billigem Russengas nach Westen strömen würden, wollte sich kaum jemand stören lassen. Der Anteil russischen Gases für die Versorgung Deutschlands lag in der Spitze bereits bei 55 Prozent – und wäre gewiss noch höher geworden; inzwischen ist dieser Anteil auf 30 Prozent gesunken und wird noch weiter sinken.
Russischer Gaskrieg gegen den Westen
Mit dem Krieg, den Russland seit Februar dieses Jahres gegen die Ukraine führt, haben sich alle Rahmenbedingungen der gegenseitigen Beziehungen völlig verändert. Russland will die Ukraine vernichten und führt zugleich einen Wirtschaftskrieg gegen den Westen, um insbesondere die EU zu spalten. Vor allem begegnet der Kremlherrscher den westlichen Sanktionen, die sich gegen sein Land richten, mit seinem Drehen am Gashahn. Russland ist inzwischen nicht mehr der zuverlässige Lieferant, sondern völlig unberechenbar. Je mehr in Deutschland und anderswo laute Klagen und große Sorgen über die verringerten russischen Exporte geäußert werden, um so größer ist Putins Freude. Denn die Reduzierung seiner Energielieferungen hat die Preise vor allem für das Gas in bislang ungekannte Höhen getrieben.
Alarm in Deutschland: Milliarden für Uniper
Die gefährdete Versorgungssicherheit und die hohen Preise haben die größte Alarmstimmung hierzulande ausgelöst. Der Bundeskanzler unterbrach gar seinen Urlaub, um noch zu retten, was zu retten ist: Für den angeschlagenen Energiekonzern Uniper wurde auf die Schnelle ein großes Finanzpaket geschnürt, um das Überleben dieses Unternehmens zu sichern. Der deutsche Staat hilft mit Eigenkapital und Krediten, die sich auf 15 Mrd. Euro summieren. Ob das reichen wird, ist ungewiss.
Uniper, mehrheitlich ein finnisches Unternehmen, gilt für die Energieversorgung der Bundesrepublik Deutschland als systemkritisch. Denn es liefert Gas an Unternehmen und etwa 100 deutsche Stadtwerke, die es dann an Wirtschaft und private Haushalte weiterverkaufen. Wegen der geringeren Lieferungen aus Russland musste Uniper große Mengen zu wesentlich höheren Kosten aus anderen Regionen einkaufen. Das führte zu gewaltigen Belastungen für Uniper. Die Gefahr eines finanziellen Ausblutens – so der Chef von Uniper – musste gestoppt werden; die Verluste dürften sich bis Ende September auf bis zu 7 Mrd. Euro summieren – und das, obwohl das Unternehmen zuletzt auch Gas aus seinen Speichern liefern musste.
Explodierende Gaspreise für Wirtschaft und Private
Mit den Hilfen des Bundes wurde jetzt die Kreditwürdigkeit und die Geschäftsfähigkeit von Uniper vorerst gesichert. Die staatliche Rettung hat jedoch für Gasverbraucher Folgen, denn von September oder spätestens Oktober an genehmigt die Bundesregierung sowohl Uniper als auch anderen Gasimporteuren, dass 90 Prozent der Mehrkosten, die sie durch höhere Preise für den Ersatz für russisches Gas auf den Weltmärkten zahlen müssen, auf die Gasbezieher umlegen dürfen. Eine entsprechende Verordnung muss noch von der Bundesregierung und dem Bundestag beschlossen werden. Die monatlichen Abschlagszahlungen für die Gaskunden dürften sich dann mindestens verdoppeln, wahrscheinlich jedoch eher verdreifachen. Für viele private Haushalte wird das jedoch kaum noch tragbar. Deshalb hat der Bundeskanzler nicht nur das Rettungspaket für Uniper präsentiert, sondern zugleich auch ein weiteres Entlastungspaket für Menschen mit niedrigerem Einkommen vorgestellt.
Vor einer politischen und ökonomischen Zeitenwende
Dennoch droht ein ungemütlicher Winter: Die Energiepreise werden hoch bleiben; sie und andere Kostensteigerungen treiben die Inflation weiterhin an. Das tägliche Leben wir immer teurer und für Bezieher niedriger sowie mittlerer Einkommen immer schwieriger zu finanzieren. Kredite für die Anschaffung des Autos oder der Möbel, die Hypothek für die Sanierung oder den Neubau eines Eigenheims werden teurer. Die Realeinkommen der meisten Beschäftigten sinken, der Wohlstand in breiten Schichten der Bevölkerung nimmt nicht mehr zu, sondern ab. Deutschland befindet sich in einer Zeitenwende, in einer Wende zu mehr Bescheidenheit, Verzicht und Wohlstandsverlusten. Uniper ist zwar zunächst gerettet worden, doch längst noch nicht alles in unserem Land, in dem viele in den Abgrund blicken und den Absturz fürchten müssen. Es drohen wirtschaftlich und sozial schwierige sowie politisch unruhige Zeiten.