Nichts als leere Worte? Die Enttäuschung darüber, dass die Morde der rechtsextremen Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) bis heute nicht gründlich aufgeklärt sind, sitzt tief. Zum 15. Todestag von Mehmet Kubasik, der am 4. April 2006 in seinem Kiosk in Dortmund erschossen wurde, erinnert das Bündnis „Tag der Solidarität“ an das uneingelöste Versprechen von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Sie hatte bei der Aufdeckung des NSU vollständige Aufklärung zugesagt. In Untersuchungsausschüssen und Gerichtsverfahren kam es dazu nicht. Zu sehr wurde gemauert, zu vieles ausgeblendet, ignoriert, verschwiegen.
Am Mahnmal für die Opfer der NSU soll am Sonntag in Dortmund in einer Kundgebung unter Corona-Vorgaben der Opfer rechter Gewalt gedacht werden. „Erinnerung, Aufklärung, Konsequenzen“, lauten die zentralen Forderungen des Solidaritätsbündnisses. „Täglich werden rechte Anschläge verübt“, schreiben die Initiatoren in ihrem Kundgebungsaufruf. „Immer noch werden neue Informationen zu rechten Netzwerken und rechten Umtrieben innerhalb von Polizeiapparaten bekannt.“ Die Fragen der Angehörigen, die weitere Ermittlungen fordern, werden aufgegriffen: „Wie konnte eine bewaffnete Gruppe über Jahre hinweg faschistische Morde und Anschläge in Deutschland begehen?“ „Warum wurden sie nicht gestoppt?“ „Was wusste der Staat davon?“„Gehörten zu der Gruppe Nazis aus Dortmund?“ „Liefen die Helfer dieser Mörder vielleicht in einer der vielen Nazidemonstrationen mit?“
„Wehrhafte Demokratie“, lautet ein eindringlicher Appell, wenn Verbrechen wie in Hanau, Halle, Kassel, Chemnitz und anderswo bekannt werden. Den Rechtsextremismus wirksam bekämpfen, Rassisten, Antisemiten, Menschenfeinden entschieden entgegentreten. Millionen Menschen in der Zivilgesellschaft tun das, und ihrem Engagement hatte die Bundesregierung Unterstützung zugesagt.
Nichts als leere Worte? Die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, so berichteten mehrere Zeitungen übereinstimmend, blockiert das Demokratiefördergesetz. Nach monatelangen Beratungen drängt die Union auf eine Art Extremismusklausel, die Fördermittel des Bundes an ein Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung knüpft. Die im Entwurf vorgesehene Formulierung geht der Union offenbar nicht weit genug.
Eine schärfere Version gab es bereits vor zehn Jahren einmal. Die hatte die damalige Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) eingeführt, setzte alle Initiativen gegen Rechtsextremismus pauschal dem Verdacht des Linksextremismus aus und wurde folgerichtig 2014 wieder kassiert – einträchtig von den Ministern Manuela Schwesig (SPD) und Thomas de Maizière (CDU). Die Blockade des neuen Gesetzes durch die Unionsfraktion kommt daher überraschend und wirft die Frage nach einem neuerlichen Wortbruch auf. Wenige Monate vor dem Ende der Legislaturperiode ist fraglich, ob das Gesetz zur Stärkung der wehrhaften Demokratie überhaupt noch gelingen kann.
„Die Leidtragenden sind die vielen Engagierten in ganz Deutschland, die sich Tag für Tag für unsere Demokratie und gegen jede Form von Extremismus einsetzen“, sagte die amtierende Familienministerin Franziska Giffey (SPD) in der Parteizeitung „vorwärts“. Das geplante Gesetz soll gerade deren Arbeit auf ein dauerhaftes finanzielles Fundament stellen. „Eine Förderung von Modellprojekt zu Modellprojekt, so wie es im Moment mit unserem Bundesprogramm ‚Demokratie leben‘ erfolgt, kann nicht die einzige Antwort auf eine dauerhafte Aufgabe sein“, so Giffey.
Auch Vizekanzler Olaf Scholz kritisierte die Union. Die Blockade schade all jenen, die sich Tag für Tag häufig ehrenamtlich für die Demokratie und gegen Rechtsextremismus engagieren, sagte Scholz, und: „Die Blockade schadet uns als Gesellschaft.“
Unverständnis äußerte auch der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Dirk Wiese. „Es ist ärgerlich und für uns Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion zunehmend unbegreiflich, dass die Union so wichtige gesetzliche Vorhaben wie das Wehrhafte-Demokratie-Gesetz und das Streichen des Begriffs ‚Rasse‘ aus dem Grundgesetz blockiert“, sagte Wiese dem „vorwärts“. Beide Gesetzesvorhaben seien „wichtige Pfeiler im Kampf gegen rechtsextreme Umtriebe und für die Stärkung der demokratischen Kräfte“. Mit ihrer Blockadehaltung stelle sich die Unionsfraktion nicht nur gegen ihre eigene Regierung. „Sie lässt es auch zunehmend an Glaubwürdigkeit fehlen, wenn es darum geht, Rechtsextremismus und Rassismus mit starken Mitteln den Boden zu entziehen.“
Bildquelle: Pixabay, Bild von InstagramFOTOGRAFIN, Pixabay License