Am 8. Mai, dem Tag des Erinnerns an die Befreiung vom Nationalsozialismus, wird Gunter Demnig in Geilenkirchen zehn Stolpersteine ins Straßenpflaster versenken. Auf den 10×10 Zentimeter großen Messingplatten sind Namen von Jüdinnen und Juden eingraviert, die aus Geilenkirchen deportiert und in den Konzentrationslagern der Nazis ermordet worden sind oder rechtzeitig flüchten konnten und überlebten.
Vor der 1941 begonnenen Massenvernichtung der Juden hatten in Geilenkirchen 130 Menschen jüdischen Glaubens gelebt. Der Ort im deutsch-niederländischen Grenzgebiet bei Aachen war eine der größten jüdischen Gemeinden dieser Region. 2012 und 2014 hat Gunter Demnig hier schon 47 Stolpersteine verlegt, nun werden es 57 sein.
Seit er 1996 auf der Oranienstraße in Berlin-Kreuzberg die ersten setzte, hat er überall in Deutschland und darüber hinaus in etlichen europäischen Ländern Stolpersteine eingegraben. Das Projekt umfasst ungefähr 50 000 verlegte Stolpersteine in rund 1 000 Orten. In vielen deutschen Groß- und Kleinstädten und in manchen Dörfern gehören sie zum Straßenbild. Sie liegen auch in Österreich, Belgien, Frankreich, Italien, Kroatien, Luxemburg, den Niederlanden, Norwegen, Polen, Russland, der Schweiz, der Slowakei, der Tschechischen Republik, Slowenien, der Ukraine, Ungarn und Rumänien. Demnächst sollen einige in Thessaloniki in Griechenland verlegt werden.
Tatsächlich ist es das größte dezentrale Denkmal, das von Oslo bis Rom, von Orjol (Orel) bis Rotterdam reicht. Unbeirrt von einigen Kritikern und Gegnern seines Projekts legt Gunter Demnig seit über 20 Jahren seine Spuren. Die Spur der Stolpersteine durch Europa ist die Spur der deutschen Massenmörder.
Die Idee des 1947 in Berlin geborenen Künstlers war großartig: Den Menschen, deren Leben und Identitäten die Nazis auslöschen wollten, ihre Namen zurückzugeben – an ihren letzten frei gewählten Wohnorten. Nicht nur Juden, sondern auch Sozialdemokraten und Kommunisten, Christen, Sinti und Roma, Homosexuellen, Zwangsarbeitern, Zeugen Jehovas, Freimaurern sowie anderen Nazi-Gegnern, Widerständlern und Oppositionellen, nicht zu vergessen den Euthanasie-Opfern. Jeder Mensch kann Stolpersteine verlegen lassen. Einer kostet 120 Euro – ein geringer Betrag für ein solches Kunststück aus der Hand des Bildhauers Michael Friedrichs-Friedländer, der in seiner Werkstatt am Stadtrand Berlins jeden Stolperstein einzeln anfertigt.
Demnig hat viele Bewunderer und Anhänger, ohne deren Mitwirken er sein weiträumiges Vorhaben nicht umsetzen könnte. Aber es gibt auch Bedenken. Hartleibigste Widersacherin ist die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch. Die ehemalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland sagt, sie wünsche nicht, dass Deutsche auf den Namen der jüdischen Holocaust-Opfer herumtrampeln. Es ist zu hoffen, dass trotz ihrer und anderer Einwände der Stadtrat gerade am Tatort München endlich Stolpersteine zulässt.
Widerspruch kommt auch von manchen, die Demnigs Stolpersteine-Idee begeistert befürworten und sie voller Überzeugung in zahllosen Initiativen verwirklichen: Sie sind nicht einverstanden, dass Stolpersteine auch für geflüchtete Überlebende, ja sogar für lebende Überlebende verlegt werden. Während Demnig die Schicksale der drangsalierten und verfolgten Menschen nicht auseinanderhalten kann und mag, wollen sie, dass Stolpersteine vor allem an jene erinnern, die ermordet wurden und meistens keine Gräber haben.
Auseinandersetzungen brechen in einigen Städten wie Hamburg und Berlin, Bremen und Kassel immer wieder aus, weil Demnig auf Inschriften der Stolpersteine besteht, die von Patinnen und Paten, gelegentlich von Nachkommen der Opfer, nicht geteilt werden. Sie stoßen sich daran, dass er Begriffe aus der NS-Terminologie verwendet wie „Rassenschande“ und „Volksschädling“ – in Anführungszeichen. In anderen Fällen beharrt er auf Formulierungen wie „wegen § 175“, was Menschen verstört und ärgert, weil es die Opfer posthum noch einmal bloßstelle. Doch Gunter Demnig bleibt trotzig dabei und antwortete den „Schreiberlingen“ von „tageszeitung“ und „Jüdische Allgemeine“ in einem Offenen Brief: „Für wie dumm halten Sie denn die Menschheit???“
Viele, die Stolpersteine gewünscht haben, tun sich auch schwer, Demnigs Arbeitsstil zu begreifen. Sie halten ihm „Vergangenheitsbewältigung im Halbstundentakt“ vor. Schweigsam verrichtet er seine künstlerische Arbeit und hetzt eilig von einem zum nächsten Termin. Selten nimmt er sich Zeit für die Nachkommen oder Familienmitglieder von Opfern oder für Hausbesitzer und Eigentümer- oder Mietergemeinschaften, die sein Gedenkwerk schätzen und sein Kunstwerk ehren. Was viele zu Tränen rührt, scheint für ihn zur Routine geworden zu sein. Doch wie sonst soll er es schaffen, die steigenden Nachfragen und zugleich die Erwartungen der Menschen zu erfüllen, die den Meister persönlich bei seinem Straßen-Handwerk erleben wollen?
Neuerdings hat er in Köln eine Stiftung „Spuren – Gunter Demnig“ eintragen lassen, in der sein Lebenswerk für kommende Generationen fortleben soll. Vorstand und Satzung sind allerdings öffentlich nicht bekannt. In Geilenkirchen, wo Gunter Demnig am 8. Mai, an diesem besonderen Gedenktag, mit Schülerinnen und Schülern wieder Stolpersteine verlegen wird, hat der Arbeitskreis „Initiative Erinnern“ auf seine Homepage geschrieben: „Die Gefahr besteht: was wir verdrängen, wird sich wiederholen.“
Bildquelle: Wikipedia, Axel Mauruszat
Ich bin beim Besuch in meiner Heimatstadt Guben zu Ostern in der Alten Poststraße über derartige Steine „gestolpert“ und war sehr berührt. Wir alle lasen die Innschriften, versuchten uns vorzustellen, was sich hier für Dramen abspielten und diskutierten über die Befreiung durch die Russen, die über die Neiße kamen. Einige Brücken wurden von den Nazi’s aus diesem Grunde gesprengt und zu einer gingen wir, um uns an ihrer Ruine diesen schrechlichen Zeiten des Dritten Reichs zu erinnern.
DANKE Herr Demnig