„Um der Ehre willen. Erinnerungen an die Freunde vom 20. Juli.“ So lautet der Titel eines Buches von Marion Gräfin Dönhoff, das sie 1994 verfasste und in dem sieben ihrer Freunde porträtiert und ihre Motive erklärt wurden, das Attentat gegen Adolf Hitler zu planen. Ungeachtet der Gefahr, das eigene Leben aufs Spiel zu setzen und die gesamte Familie einer Sippenhaft auszusetzen. Schon 1945 hatte Dönhoff über den vergeblichen Versuch der deutschen Opposition geschrieben, im Ausland Unterstützung für den Kampf gegen die NS-Diktatur zu finden. „In Memoriam: Den Freunden des 20. Juli“, hieß das Stück. „Es ist wichtig, sich vor Augen zu halten, dass die Opposition gegen Hitler …der Aufstand hoher und höchster Staatsdiener sowie angesehener Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens war, die aus moralischen Gründen den Verbrechern in den Arm zu fallen versuchten“. Das Attentat,(Codewort Walküre) ausgeführt von Claus Schenk Graf von Stauffenberg und seinem Adjutanten, Oberstleutnant Werner von Haeften, ging schief, Hitler überlebte. Die Männer des 20.Juli wurden hingerichtet.
Der 20. Juli 1944. Um der Ehre willen. Die wenigen Widerstandskämpfer gegen Hitler, so muss man es wohl sagen. Denn ihre Zahl ist gemessen an den 18 Millionen, die in der Wehrmacht dienten, eher klein, wie es der Historiker Ian Kershaw in seinem Werk „Höllensturz“ beschreibt. Aber das schmälert den wagemutigen Einsatz dieser Gruppe nicht. Der 20. Juli war nicht der erste, sondern eher der letzte von manchen anderen, ebenfalls gescheiterten Versuchen, Hitler zu töten, damit der Krieg ein Ende finde, damit das unmenschliche Nazi-System beendet werden könnte. Zur historischen Wahrheit gehört aber auch der Glaube vieler Soldaten und Offiziere der Wehrmacht, als sie im Juni 1941 Russland überfielen, „an einem Kreuzzug zur Verteidigung Deutschlands gegen die dunkle Bedrohung durch den Bolschewismus teilzunehmen.(Kershaw) Und irgendwie glaubten nicht wenige, richtig zu handeln, die barbarische Kriegsführung gegen die Rote Armee wie gegen die Zivilbevölkerung und die Massaker an den Juden eingeschlossen. Die NS-Propaganda über den „jüdischen Bolschewismus“ hatte viele erfasst, ja durchdrungen. Man sah den Massenhinrichtungen teilnahmslos(Kershaw) zu, schrieb Briefe nach Hause, in denen es u.a. hieß: „Die Juden werden gänzlich ausgerottet.“ Hunderte von Dörfern wurden niedergebrannt und die Bewohner abgeschlachtet, 600 Dörfer allein in Weißrussland.“ (Kershaw)
Offiziere als Rückgrat des Widerstandes
Aber zur Wahrheit gehört eben auch, dass die Offiziere, die das Rückgrat des Widerstandes waren, aufgerüttelt von den Gräueltaten gegen Juden und andere, den schweren Verlusten im Russland-Feldzug und der bevorstehenden Niederlage, sich zusammenschlossen, um Hitler zu beseitigen. Sie wollten ein Zeichen setzen, dass es in Deutschland nicht nur Nazis gab, sondern auch Persönlichkeiten, die von der Unmenschlichkeit der Nazis angewidert waren und sich deshalb gegen den Führer erhoben, gegen den „Teufel in Menschengestalt“, wie Ian Kershaw den einstigen SA-Mann Wilm Hosenfeld aus einem Brief an seine Frau zitiert, in der auch die Rede ist von einer „entsetzlichen Blutschuld, dass man vor Scham in den Boden sinken möchte.“
Zum Widerstand zählte der „Kreisauer Kreis“ um den Juristen Helmuth James Graf von Moltke, dessen Freund Peter Graf Yorck von Wartenburg, Adam von Trott zu Solz. Andere kamen hinzu wie der ehemalige Leipziger Oberbürgermeister Carl Goerdeler, der Botschafter in Rom Ulrich von Hassell, der Sozialdemokrat Julius Leber. Und natürlich Ludwig Beck, der frühere Generalstabschef des Heeres, der 1938 seinen Rücktritt eingereicht hatte, nachdem er vergeblich versucht hatte, die militärische Führung gegen die kriegerischen Absichten Hitlers zu mobilisieren. Beck befürchtete wegen der Sudetenkrise einen Krieg, aus demselben Grund planten Offiziere wie Erwin von Witzleben, Franz Halder und Hans Oster einen Staatsstreich.
7000 Personen verhaftet und hingerichtet
Der Mann, der am 20. Juli 1944 Hitler im Führerhauptquartier „Wolfsschanze“ bei Rastenburg in Ostpreußen mit einer Bombe töten wollte, war Oberst Graf von Stauffenberg, in seiner Begleitung sein Adjutant Oberstleutnant Werner von Haeften. 1941 zögerte Stauffenberg noch, als ihn Helmuth von Moltke ansprach(Heinrich August Winkler: Geschichte des Westens): Erst müsse der Krieg gewonnen werden, der Krieg gegen den Bolschewismus. Erst danach könne man mit der „braunen Pest aufräumen“. (Winkler) Später änderte Stauffenberg seine Meinung. Dass Hitler das Attentat überlebte, war sein Glück und das Pech der Attentäter. Werner von Haeften gelang es, nur eine von zwei Bomben zu schärfen. Dann tagte das Gremium mit Hitler anders als sonst in einer Baracke. Und in diesem Raum explodierte zwar die Bombe, aber bei offenem Fenster konnte sie ihre wahre Sprengkraft nicht entfalten. Zudem hatte einer der Generäle die Tasche mit der Bombe von Hitler weggeschoben. Ein massiver Eichentisch sorgte für weiteren Schutz Hitlers. Stauffenberg und Haeften hatten zur Explosionszeit die Baracke längst verlassen, waren sich sicher, dass der Führer tot sei. Als ihre Maschine wieder in Berlin gelandet war, glaubten sie immer noch an den Tod des Tyrannen, aber da war alles schon gescheitert. Sie wurden mit anderen Mitverschwörern verhaftet und noch am Abend im Hof des Bendler-Blocks in Berlin hingerichtet. Ludwig Beck sollte sich selber erschießen, was aber misslang, dann erschoss ihn ein Feldwebel. Auch Erwin Rommel wurde zum Selbstmord gezwungen, Abwehrchef Canaris und Dietrich Bonhoeffer in Konzentrationslager verschleppt, wo sie von der SS umgebracht wurden. Insgesamt wurden 7000 Personen verhaftet und die meisten bis Kriegsende hingerichtet.
Ende Juni las ich in der „Süddeutschen Zeitung“ eine Todesanzeige. „Wir trauern um Jan von Haeften. 19. Juli 1931-13. Juni 2017. Jan von Haeften war tief geprägt von der Geschichte des Widerstands seiner Familie gegen die Diktatur des Nationalsozialismus. Er war ein überzeugter Demokrat, ein engagierter Stifter für die friedliche Integration Europas und ein steter Mahner für den Dialog und den Erfahrungsaustausch zwischen den Generationen. Sein Engagement für eine verantwortungsbewusste Gestaltung unserer gemeinsamen Zukunft war vorbildlich und visionär.“ Ein Nachruf, der dem Kampf der Familie Haeften gegen die Nazi-Diktatur gerecht wird.
Ein Stück Wiedergutmachung
Die Männer des 20. Juli und andere Widerstandsk ämpfer gegen Hitler konnten nicht sicher sein, dass sie selbst im Falle des Todes des Führers das deutsche Volk von der Notwendigkeit des Tyrannenmordes würden überzeugen können. Sie konnten nicht sicher sein, dass sie im Falle eines Erfolges über die Nazis einen milderen Frieden von den Alliierten würden aushandeln können, weil die bedingungslose Kapitulation längst beschlossene Sache war. Aber darum ging es ihnen auch nicht. „Die Welt und die kommenden Generationen von Deutschen sollten wissen, dass Hitler nicht Deutschland war, sondern dass es noch ein anderes, ein besseres Deutschland gab“(Winkler). Als sie sich unter Einsatz ihres Lebens gegen Hitler auflehnten, war das auch ein Stück Wiedergutmachung, weil sie zunächst einem verbrecherischen System gedient und sich in unterschiedlichem Maß schuldig gemacht hatten.(Winkler)
Die Verschwörer des 20. Juli, aber auch ein Widerständler wie der Schreiner Johannes Georg Elser, der am 8. November 1939 vergeblich versucht hatte, Hitler im Münchner Bürgerbräukeller anlässlich eines Auftritts mit einer selbst gebastelten Bombe zu töten, oder auch die Geschwister Hans und Sophie Scholl, die Gründer der Studentengruppe „Weiße Rose“, die am 18. Februar 1943, nach der Niederlage der 6. Armee unter Generalfeldmarschall Paulus bei Stalingrad im Lichthof der Münchner Universität Flugblätter gegen die gewissenlose Kriegsführung Hitlers geworfen hatten, sie alle wie auch ihre Mitstreiter wurden umgebracht. Sie hoben die Hand gegen den Massenmörder Hitler, weil das eigene Gewissen sie zu diesem Tun antrieb. Man kann es auch mit den Worten des Generalmajors Henning von Tresckow sagen: „Der sittliche Wert eines Menschen beginnt erst dort, wo er bereit ist, für seine Überzeugungen sein Leben zu geben.“
Und so wurde der 20. Juli 1944 zu einem der großen Tage der neueren deutschen Geschichte, ein Tag mit einem hohen moralischen Anspruch.(Winkler)
Quellen: Ian Kershaw: Höllensturz. Europa 1914 bis 1949.
Heinrich August Winkler: Geschichte des Westens. Die Zeit der Weltkriege 1914-1945.
Klaus Harpprecht. Die Gräfin Marion Dönhoff.