Ukraine lädt deutsche Staatsspitze ein, meldete am Nachmittag t-online als „Eilmeldung“. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier habe mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymir Selenskyj telefoniert. In dem 45minütigen Gespräch seien die gegenseitigen Verstimmungen ausgeräumt worden. T-online beruft sich bei seinen Informationen auf entsprechende Quellen im Präsidialamt. Als erste aus der obersten Führungs-Riege werde Bundestagspräsidentin Bärbel Bas(SPD) nach Kiew reisen. Die Duisburger Sozialdemokratin ist protokollarisch hinter Steinmeier die Nummer 2 der deutschen Verfassungsorgane. Sie rangiert noch vor dem Bundeskanzler.
Bärbel Bas soll demnach am 9. Mai in der ukrainischen Hauptstadt sein, zehn Wochen nach Beginn des Angriffskriegs von Russlands Präsident Wladimir Putin auf die Ukraine. Es ist zugleich der Tag, der in der Ukraine, aber auch in Moskau von je her als Tag des Endes des Zweiten Weltkriegs gefeiert wird, gefeiert als Tag des Sieges über Nazi-Deutschland, das sowohl in der Ukraine wie in der gesamten Sowjetunion Millionen Tote zu verantworten hatte. Insgesamt hatte die UdSSR bis zu 27 Millionen Opfer in dem vaterländischen Krieg zu beklagen. Die Ukraine hatte unter der Besatzung durch die Nazis besonders schwer zu leiden, ganze Landstriche wurden verwüstet, Dörfer dem Erdboden gleichgemacht, Menschen brutalst ermordet. In Moskau wird am gleichen Tag eine riesige propagandistische Parade russischer Streitkräfte aller Waffengattungen erwartet. Aber Putin wird bei dieser Waffenschau mit Panzern, Raketen und anderem militärischem Gerät kaum Staatsmänner aus aller Wert auf der Tribüne präsentieren können. Er ist weltweit zu isoliert.
Wenn Bärbel Bas also an diesem Tag in Kiew weilt, hat das eine besondere Bedeutung. Es könnte der Auftakt einer Reihe weiterer Besuche in der Ukraine sein, allen voran der des Bundespräsidenten, den die ukrainische Staatsspitze vor einigen Tagen ausgeladen hatte. Steinmeier wollte zusammen mit den Staatschefs aus Polen und dem Baltikum nach Kiew reisen, um dort gemeinsam Akzente der Solidarität mit der Ukraine und gegen Putin zu setzen, erfuhr jedoch kurz vor der Abreise, dass er dort nicht willkommen sei. Ein Affront, keine Frage. Grund soll die jahrelange allzu freundliche Russland-Politik des früheren Außenministers Steinmeier gewesen sein, die man in Kiew als Anbiederung an Putin kritisiert hatte. Diese Kritik an Steinmeier, aber auch an Scholz wird seit Wochen vor allem durch den Botschafter der Ukraine in Deutschland, Andrij Melnyk befeuert. Er hatte Steinmeier vorgehalten, „seit Jahrzehnten ein Spinnennetz der Kontakte mit Russland geknüpft zu haben“.
Die Rolle des Botschafters Melnyk
Steinmeier hatte wie andere führende Politiker nach dem Angriffskrieg Putins auf die Ukraine Fehler in seiner Russland-Politik eingeräumt, er hatte betont, dass er sich getäuscht habe in Putin und durch diesen getäuscht worden sei. Er hatte zugleich dem Land tiefen Respekt gezollt und versichert, Deutschland werde der Ukraine mit aller Kraft helfen. Der Bundespräsident verurteilte zudem Putins Angriffskrieg. Der Botschafter hielt an seiner Kritik an Steinmeier fest, er fügte hinzu, der Bundeskanzler sei in der Ukraine willkommen. Sein Präsident freue sich auf dessen Besuch, was Scholz aber mit der Begründung ablehnte, die Ukraine habe den deutschen Bundespräsidenten ausgeladen. Daraufhin warf Melnyk Scholz vor, er sei eine beleidigte Leberwurst. Dies wiederum rief Kritiker in Deutschland auf den Plan. So gehe man nicht mit dem Bundeskanzler um.
Dazu kann man sagen, dass Melnyk zwar ein gefrager Gesprächspartner ist, weil er für Aufmerksamkeit, für Schlagzeilen sorgt, für Quote. Aber er geht nicht wenigen Zeitgenossen auch mit seinen unaufhörlichen Forderungen nach schweren Waffen, die Deutschland liefern müsse, zunehmend auf die Nerven. Melnyk versucht darzustellen, als trage Deutschland besondere Verantwortung für diesen Krieg und verkennt dabei all die Aktivitäten Deutschlands in der Vergangenheit, von denen Kiew profitiert. Deutschland zahlt, hilft, setzt Sanktionen gegen Moskau durch, schickt Waffen, nimmt Flüchtlinge auf, behandelt sie in deutschen Krankenhäusern und spielt eine führende Rolle in allen internationalen Gremien, in denen versucht wird, den Krieg zu beenden. Was Deutschland nicht tut, ist die direkte Einmischung in den Krieg, keine Kontrolle des Luftraums über der Ukraine, weil es einen Dritten Weltkrieg verhindern will.Und Deutschland, namentlich der Bundeskanzler hat lange gezögert, der Ukraine schwere Waffen zu liefern, weil Scholz die Sorge hat, dadurch könnte ein Atomkrieg Russlands provoziert werden.
Die Nato bleibt draußen- trotz Döpfner
An der zögerlichen Haltung der Regierung Scholz konnte auch eine Forderung von Springer-Chef Döpfner vor einigen Wochen in der Bild-Zeitung nichts ändern, die Nato müsse militärisch direkt in den Krieg Russlands gegen die Ukraine eingreifen, also auch deutsche Truppen und Waffen. Möglicherweise hat Melnyk diese Äußerung des obersten Springer-Herrn so eingeschätzt, als ließe sich daraus eine deutschlandweite Haltung schließen. Aber Döpfer steht mit dieser Meinung, die nichts anderes bedeuten würde als den Auftakt zum Dritten Weltkrieg, allein da. Stellvertretend für ein Dutzend andere Medien zitiere ich die Neue Zürcher Zeitung, NZZ: der Verleger, also Döpfner, sei „von allen guten Geistern verlassen.“ Döpfner hingegen betonte, ein Nicht-Eingreifen des Westens käme einer Kapitulation gleich. Scholz hat mehrfach klargestellt: die Nato bleibt draußen.
Melnyk ist eine mehr als umstrittene Person. Seine Auftritte und Äußerungen haben mit seiner Aufgabe als Botschafter oft wenig bis gar nichts zu tun. Er lebt auf einer durch den Krieg Russlands gegen die Ukraine getragenen Mitleidswelle, er greift deutsche Politiker an, wo er nur kann ohne Rücksicht. Der frühere Außenminister Sigmar Gabriel, SPD, heute im Aufsichtsrat der Deutschen Bank und Chef der Atlantik-Brücke, nannte das Verhalten des Botschafters kürzlich in der Sendung Maybrit Illner „eine Unverschämtheit“. Womit er Recht hatte. Dessen ungeachtet traf Melnyk vor wenigen Tagen auf dem Bundespresseball auf, der u.a. der Ukraine und dem Leid der dortigen Menschen gewidmet war. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier blieb der Veranstaltung wie manch andere Prominente auch fern. Champagner, Wiener Walzer und Krieg, diese Melange vertrage sich nicht, war zu hören.
Der Bruder des Kiewer Bürgermeisters Vitali Klitschko, Wladimir Klitschko, hat Melnyk kritisiert. „Undiplomatische Äußerungen des Botschafters in Richtung des Bundeskanzlers haben weiteres Öl ins Feuer gegossen“, so Klitschko. „Ich bin überzeugt, dass die Ukraine unbedingt mit allen verlässlichen und mächtigen Partnern reden und zusammenarbeiten muss“. Alle Europäer müssten ihre Positionen abstimmen, um den Kampf gegen den russischen Aggressor zu gewinnen.“ Klitschko hatte seinen Präsidenten Selenskyj aufgefordert, den deutschen Bundespräsidenten einzuladen. Er sollte den ersten Schritt machen. Deutschland sei durch die Ausladung „bloßgestellt worden.“
Im übrigen entscheidet die Bundesregierung, der Bundeskanzler, der Bundespräsident, ob wer wann wohin fährt, nicht Herr Melnyk. Und natürlich folgt man dabei Einladungen von Gastgebern.