Man ist ja manches gewohnt, was aus Bayern kommt, vor allem, wenn CSU draufsteht und Freie Wähler, wenn Markus Söder, immerhin der Ministerpräsident des Freistaates, sich zu Wort meldet und/oder sein Stellvertreter, der Chef der Freien Wähler, Hubert Aiwanger. Nein, hier geht es nicht um Kuriositäten in der Aussprache des Niederbayern, nicht um Opfelsoft. Hier geht es um Wesentliches! Wenn einer wie Aiwanger die Ampel-Regierung als „Berliner Chaoten“ beschimpft, geht er zu weit. Wenn derselbe Aiwanger behauptet, es sei der Punkt erreicht, „dass sich die schweigende große Mehrheit die Demokratie zurückholen muss“. Dann erzählt er AfD-Narrative, dann ist er im Sprach-Sumpf eines Donald Trump gelandet, der einst seine Anhänger zum Sturm aufs Kapitol trieb. Und wenn eine Kabarettistin wie Monika Gruber als Mitorganisatorin der Veranstaltung im bayerischen Erding mit dem Titel „Stoppt die Heizungsideologie“ nachher verkündet, es sei „einfach geil“, es sei „gut gelaufen, wir haben heute eine Duftmarke gesetzt. Der Protest geht weiter“ , dann steht sie quer im demokratischen Raum, auch wenn sie ausdrücklich die AfD nicht eingeladen hatte.
Und wenn einer wie Markus Söder zu so einer Veranstaltung geht, tut er das, weil er absahnen will am rechten Rand. Im Oktober finden die bayerischen Landtagswahlen statt. Söders Teilnahme war verantwortungslos, er wusste, auf was er sich einließ. Jede Stimme scheint ihm recht zu sein, die er so gewinnen kann. Egal wie. Es geht gegen die in Berlin, gegen die Ampel, Scholz, Habeck, immer feste druff. Da hilft es wenig, wenn Söder sich auf dem Podium gegen Buh-Rufe zur Wehr setzt, sich abgrenzt von der AfD. Die Veranstaltung in Erding war von vornherein populistisch ausgelegt: Gegen die Heizungsideologie.
„Ihr habt von Erding einen Stein ins Rollen gebracht“, jubelte Hubert Aiwanger, Wirtschaftsminister im Kabinett von Söder, und prophezeite: „Die Bewegung wird in Bayern und in Deutschland weitergehen“. Tief gesunken, Herr Minister, gut gelandet im Sprach-Jargon der AfD. Da kann er mitreden. Wo soll das hinführen, wenn Landesregierungen nicht nur Kritik an Gesetzesvorhaben der Bundes-Regierung üben, was ihr gutes Recht ist, sondern ihr abspricht, demokratisch gehandelt zu haben. Herr Aiwanger, ihr Reden ist ziemlich daneben. Die Ampel-Entscheidungen wurden demokratisch gefällt. Da muss sich keine große Mehrheit die Demokratie zurückholen. Olaf Scholz und Robert Habeck sind demokratisch gewählt worden wie auch Christian Lindner, der Chef der FDP. SPD, Grüne und FDP haben eine Ampel-Koalition beschlossen. Man muss diese Regierung nicht lieben, aber respektieren, dass sie als gewählte Volksvertreter, Minister und Bundeskanzler die Bundesrepublik regieren. Ein stellvertretender Ministerpräsident wie Hubert Aiwanger sollte das wissen und nicht in Frage stellen. Er selber ist ja in Bayern in Regierungsverantwortung. Er kann nicht einfach drauflos reden, als wäre man im Hofbräukeller oder auf der Wiesn. Es geht um Politik, nicht um die Lufthoheit über Deutschlands oder bayerischen Stammtischen. Und nicht um die Beseitigung von Kuhfladen.
Politischer Diskurs ist anders
Die Versammlungsfreiheit ist ein hohes Gut, verankert im Grundgesetz. Ein Privileg wie die Meinungsfreiheit, die Würde des Menschen, Rechte unserer freiheitlichen, parlamentarischen Demokratie. Es geht nicht darum, solche Veranstaltungen anzugreifen, auf denen die Heizungspläne vom Grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck kritisiert werden. Aber das Niveau, Monika Gruber, darf man kritisieren. Ein Signal aus der Mitte der Gesellschaft sieht anders aus. Heizungsideologie passt nicht dazu, ist einseitig, man betreibt Ampel-Bashing, wie die AfD. Es geht gegen die Grünen, gegen Scholz. Und Söder wollte von diesem Protest etwas für sich abbekommen, Sympathie, Zustimmung. Deshalb trat er in Erding auf. Und wurde ausgebuht. Und buhte zurück.
Politischer Diskurs sieht anders aus, hört sich anders an. Und hat mit dem Gebrüll von Erding wenig zu tun. Der Austausch von Meinungen darf hart ausgetragen werden, aber doch bitte immer mit dem gegenseitigen Respekt der Demokraten. Ich bin weit davon entfernt, von der Spaltung der Gesellschaft zu reden, aber wir nähern uns immer mehr diesem Zustand, der unserer Demokratie nicht förderlich ist. Ja, sie kaputt machen würde, wenn es so weitergeht. Die AfD will unser politisches System zerstören, sie attackiert die Regierenden als Volksverräter, das ist nicht weit entfernt von den Berliner Chaoten aus dem Mund eines Hubert Aiwanger. Völlig überzogen ist zudem seine Kritik an den Medien, die seiner Meinung nach „nicht an der Seite der normalen Bevölkerung“ stünden, sondern „linksgrüne Gender-Gaga“ lieferten. Wir Journalisten müssen uns nicht alles gefallen lassen, was wir von Politikern und Demonstranten zu hören bekommen. „Lügenpresse“ ist eine Beleidigung, dagegen kann man sich wehren, notfalls vor Gericht.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier betont immer mal wieder, dass Demokratie Demokraten brauche, die sie gegen ihre Feinde verteidigen müsse. Daran scheiterte die Weimarer Republik. Wir sollten es nicht so weit kommen lassen. In Erding wurde die rote Linie überschritten, kommentierte die SZ zu Recht. Es wird höchste Zeit, Hubert Aiwanger zur Ordnung zu rufen. Und Markus Söder darf man aus gegebenem Anlass wieder man daran erinnern, dass sein Amtsvorgänger Horst Seehofer ihm einst „Schmutzeleien “ vorgeworfen hatte.
Der Kontrast zu Erding fand in Nürnberg statt. Wie wohltuend das Fazit vom Evangelischen Kirchentag. Hier stellten sich der Bundespräsident, der Kanzler, Ministerinnen und Minister, der Generalinspekteur der Bundeswehr, der Chef der Deutschen Bank, der Siemens-Chef, Klimaschutz-Aktivistinnen und -aktivisten, Künstler und Wissenschaftler, Repräsentanten der Kirche der Debatte, ohne sich anzugiften. Sie begegneten einander mit Respekt und einer Haltung, die von Verantwortung getragen war. Wie sich das gehört in einer Bundesrepublik. Viele kamen zu Wort und hörten zu. Dass der Kirchentag gegen die Verschärfung des EU-Asylrechts protestierte, wird den Geflüchteten kaum helfen, das nicht. Aber es ist gut, wenn es im Lande Stimmen gibt, die für menschliche Lösungen kämpfen. Wie heißt es im Grundgesetz, Artikel 1: Die Würde des Menschen ist unantastbar, es heißt nicht, die Würde des Deutschen.