Es ist sicher, gelinde gesagt, eine Überraschung, dass der hessische Ministerpräsident Boris Rhein(CDU, 51) die Grünen in die Opposition schickt, um mit der SPD eine Koalition zu bilden. Wer am Wahlabend genau zugehört hatte, als Rhein nach der Fortsetzung der Allianz mit den Grünen gefragt wurde und er sich ziemlich bedeckt gehalten hatte, musste hellhörig werden. Neun Jahre hatte man schließlich miteinander regiert, geräuschlos, wie es hieß, ohne viel Theater, ruhig, geschlossen, harmonisch. Das war zumindest von außen betrachtet der Eindruck eines Beobachters, der sich damit aber offensichtlich getäuscht hat. So einig können sich die Partner Schwarz und Grün nicht gewesen sein. Dass der Partner-Tausch mit der ambitionierten Kandidatur des Grünen Tarek Al-Wazir zusammenhängen könnte, glaube ich nicht. Der Grüne wollte selber das große Industrieland Hessen regieren, nun wird er Oppositionschef. So ist das Leben.
CDU und SPD ausgerechnet in Hessen zusammen in einer Regierung? Geht das? Es geht alles, wenn man will und Politik pragmatisch betrachtet und vor allem nicht ideologisch. So groß sind die einstigen Volksparteien nicht mehr. Die Union in Hessen war immer rechts, national, konservativ, industriefreundlich, was nicht wundert, wenn man allein den größten Arbeitgeber des Landes im Auge hat: den Frankfurter Flughafen, mit dem die Grünen ihren Frieden geschlossen haben. Ich erinnere mich noch an die 80er Jahre, als der Frankfurter Flughafen der große Streitpunkt im Land war. Holger Börner, der damalige SPD-Ministerpräsident, hatte seine liebe Not mit dem Thema. Der Kampf um die Startbahn West glich fast einem Bürgerkrieg. Lange her.
1999 gewannen die Christdemokraten die Landtagswahl in Hessen. Gegen Rot-Grün, das erst wenige Monate zuvor die Regentschaft im Bund mit dem Kanzler Gerhard Schröder und dem Obergrünen Joschka Fischer gebildet hatte. Entgegen der Prognose der Wahlforscher, die Rot-Grün als Sieger voraussagten, wurde die CDU klar stärkste Partei vor der SPD, die Grünen stürzten ab, die FDP kam gerade so in den Landtag und damit in die Regierung. Ministerpräsident wurde Roland Koch(CDU), der Hans Eichel(SPD) ablöste. Wahlentscheidend war die Unterschriftenaktion der CDU gegen die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts(Doppelpass). Die CDU unter Führung von Koch hatte die Aktion so formuliert, dass Wählerinnen und Wähler an die CDU-Stände drängten mit der Frage: Wo kann ich hier gegen Ausländer unterschreiben? Sauber war das nicht. Die Wahl wurde als erster Denkzettel für die rot-grüne Bundesregierung Schröder/Fischer gewertet.
Hessen, das war mal das rote Hessen. Hessen vorn, hieß der SPD-Schlachtruf. Kultusminister war Ludwig von Friedeburg, umstritten waren die Rahmenrichtlinien für Gesellschaftslehre. Es war ein Kampf um die Schule, muss man wohl formulieren. Ausgetragen von der CDU unter Alfred Dregger, national-konservativ, Roland Koch, Manfred Kanther, Walter Wallmann, um nur einige zu nennen. In den Wahlkämpfen in Hessen dominierten die Schulthemen, gegliedertes Schulsystem gegen Gesamtschule. Der Streit um die Kernenergie fand auch und vor allem in Hessen statt. Dazu der schon erwähnte erbittert geführte Streit um Deutschlands größten Flughafen in Frankfurt, die eigentliche Drehscheibe für den Flug in alle Welt und die Geschäfte mit derselben.
Hessen ist also ein wichtiges Land, mitten in Deutschland. Wenn hier die Grünen die rote Karte von der CDU gezeigt bekommen, wiegt das mehr als anderswo. Ob CDU-Partei- und Fraktionschef Friedrich Merz da Einfluss genommen hat, weil er und CSU-Chef Markus Söder die Grünen als den eigentlichen Gegner der Christdemokraten und Christsozialen herausgestellt hatten, ist mir nicht bekannt. Vorstellbar wäre es. Gerade in der Wirtschafts-, Energie-, Landwirtschafts-, Migrations- und der Innenpolitik, die entscheidenden Politik-Felder mittel- und langfristig, sehen Experten mehr Schnittmengen zwischen der Union und der SPD als mit den Grünen, denen man vorwirft, mit ihrer Politik zu sehr die angebliche De-Industrialisierung der Bundesrepublik wenn nicht zu betreiben, dann aber diese zu beschleunigen. Auch aus der CDU in NRW soll es Signale geben, es sei an der Zeit, über den Grünen Koalitionspartner nachzudenken. Auch wenn dort immer wieder berichtet wird, die Zusammenarbeit zwischen CDU und Grünen sei geräuschlos. Diese Einschätzung gab es ja auch in Hessen. Und wie sieht das eigentlich aus in Schleswig-Holstein, wo CDU und Grüne zusammen regieren? Angeblich gut, zufriedenstellend, ruhig, ohne ewigen Streit. Man frage Daniel Günther. Aber Schleswig-Holstein ist ein kleines Land.
Unklar scheint die politische Zukunft von Bundesinnenministerin Nancy Faeser zu sein. Sie war Spitzenkandidatin der SPD bei der letzten Landtagswahl und hatte im Rennen um die Staatskanzlei in Wiesbaden klar verloren. Dann war sie an ihren Schreibtisch in Berlin zurückgekehrt, um aber anschließend zu den Sondierungsgesprächen mit dem hessischen Ministerpräsidenten Boris Rhein wieder nach Wiesbaden zu fahren. Zunächst war man davon ausgegangen, dass Frau Faeser als stellvertretende Regierungschefin nach Hessen wechseln werde. Jetzt wurde sie mit den Worten zitiert, sie bleibe Bundesinnenministerin. Ob da das letzte Wort gesprochen ist? Nancy Faesers Bilanz als Bundesinnenministerin ist höchstens durchwachsen, überzeugen konnte sie bisher kaum. Ob sie SPD-Chefin in Hessen bleibt, als Bundesministerin, die nicht im Landeskabinett sitzt? Da droht Ungemach für die SPD, die aber froh sein muss, wenn sie mit der CDU regieren kann, weil ihr das hilft, im Land wieder auf die Beine zu kommen, interessant zu werden für junge Leute. Wie hatte der alte Stratege Franz Müntefering gesagt: Opposition ist Mist. Man muss ihm nicht voll und ganz zustimmen, aber es ist was dran, dass man als Regierung gestalten kann, während die Opposition Dinge fordert, Papiere entwirft, die später irgendwo im Archiv landen.
Eine große Koalition in Hessen dürfte dem Bundeskanzler gelegen kommen. Hessen redet im Bundesrat mit, wichtige Gesetze bedürfen oft der Zustimmung der Länderkammer. Politik ist so komplex geworden, da oft genug zusätzlich die europäische Dimension von Entscheidungen mit bedacht werden muss. Das gilt für die Migration, für die gesamte Außenpolitik. Das zeigt der Krieg in der Ukraine und jetzt der Nahost-Konflikt. Mit Konsequenzen, die heute noch niemand kennt. Und dass Union und SPD in der Sozialpolitik enger beieinander sind als mit anderen Parteien, sei noch hinzugefügt. Boris Rhein weiß das, er ist lang genug in der Politik. Und er hat Wochen sondiert und sich für den gemeinsamen Weg der CDU mit der SPD entschieden.
Und eine Groko im Bund? Die Frage stellt sich jetzt nicht, noch nicht. Warum sollte Friedrich Merz in eine Groko gehen? Warum nicht? Er wäre Vizekanzler und als solcher könnte ihm kaum einer aus der Union bei der nächsten Bundestagswahl 2025 die Kanzlerkandidatur streitig machen. Dass die SPD sich erholen könnte in einer Groko, die sie anführt, ist das Risiko, das er eingehen müsste. Spannende Zeiten, so oder so.