„Heldenhuldigung wie in Hollywood“ überschrieb die Süddeutsche Zeitung kürzlich einen vorzüglichen Beitrag in ihrem Sportteil über die Berufung in die sogenannte Ruhmeshalle des deutschen Sports. Autor Johannes Aumüller hat den Vorschlag, u.a. die ehemaligen DDR-Idole Heike Drechsler und Gustav-Adolf, genannt „Täve“ Schur in diese Halle aufzunehmen, entsprechend eingeordnet und Hintergründiges dazu geliefert. Der Vorschlag stammt von der Deutschen Sporthilfe, dem Deutschen Olympischen Sportbund(DOSB) und dem Verband Deutscher Sportjournalisten(VDS) und er stösst auf Kritik vor allem wegen „Täve“ Schur. Einerseits Weltmeister, Friedensfahrt-Gewinner im Radsport, aber auch ein SED-Sportsoldat durch und durch, nach der Wende Mitglied der PDS und als solcher Bundestagsabgeordneter und wie Aumüller schreibt, „gemäß seiner jüngsten veröffentlichten Aussagen bis heute Anhänger und Verniedlicher des Arbeiter-, Bauern- und Unrechtsstaates und dessen Tuns.“ Gerade erst hat er erneut das Staats-Doping in der früheren DDR verharmlost, der DDR-Sport sei nicht kriminell gewesen, sondern vorzüglich aufgebaut. Und erneut glorifiziert Täve Schur den DDR-Sport. Merkwürdig diese Aussagen, mehr als merkwürdig. Ja, und? Wofür soll Schur gewürdigt werden?
Doping im Sport der DDR
104 Sportpersönlichkeiten schmücken inzwischen diese virtuelle Ruhmeshalle, die es seit rund zehn Jahren gibt. Darunter befinden sich u.a. der berühmte Ruder-Trainer aus Ratzeburg Karl Adam, der Mann, der die breiten Schüsseln, gemeint Blätter erfunden und den Deutschland-Achter berühmt gemacht hat, der Handballer Erhard Wunderlich, als Aktiver ein Sportler mit Weltruhm. Franz Beckenbauer, der Fußball-Kaiser, zählt zu den Berühmtheiten wie die frühere weltbeste Tennisspielerin Steffi Graf, die einstige Box-Legende Max Schmeling. Jetzt soll diese Liste nicht nur um den Fußballer Lothar Matthäus, Fußball-Weltmeister 1990 in Rom, und den Skispringer Sven Hannawald, sondern auch um die beiden erwähnten Ex-DDR-Sportgrößen erweitert werden.
Bei Heike Drechsler, mit deren Erfolgen bei Olympischen Spielen-die Dame sprang und das mehrfach weit über 7 Meter weit- sich auch der gesamtdeutsche Sport nach der Wiedervereinigung gern schmückte, bringt SZ-Autor Aumüller zur Sprache, dass Drechsler „nach Aktenlage“ zur DDR-Zeit Doping erhielt und jene verklagte, die ihr das vorwarfen. Den Prozeß wegen „Lüge“ habe sie verloren. Die Stasi habe sie als Mitarbeiterin geführt, sie selber das zurückgewiesen. Vor allem die Opfer des DDR-Systems seien wegen des Falls Drechsler empört, darunter der damalige DDR-BiathlonTrainer Heiner Misersky, der als Trainer entlassen worden sei, weil er sich geweigert habe, seinen Athleten Doping-Mittel zu verabreichen. Auch Ins Geipel, Vorsitzende der Doping-Opfer-Hilfe, hat protestiert. Ich kann das in ihrem Fall verstehen. Aber wie wird die 93köpfige Jury entscheiden? Schur wurde vor Jahren schon mal die Aufnahme in diese Halle der Sportgrößen verweigert, die Gründe damals wie heute.
Nazis im Fußball und der Politik
Das Argument der Sporthilfe: die Ruhmeshalle solle auch Brüche und Kontroversen darstellen. Und da liefern einige der schon Geehrten passende Beispiele: Fußball-Trainer Sepp Herberger war schließlich ebenso ein Mitglied der NSDAP wie auch das langjährige IOC-Mitglied, NOK-Präsident und Präsident des Deutschen Sportbundes, Willy Daume, der Olympiasieger im Dressurreiten Josef Neckarmann, der auch mal Chef der Sporthilfe war.
Aber das mit der Nazi-Mitgliedschaft wäre ein Thema für sich, für die Gesellschaft, die Juristen, die Politik könnte da gute Argumente liefern, Beispiele, welche ehemaligen Nazis denn im Bundestag saßen, sogar Kanzleramtschefs wurden wie Globke unter Konrad Adenauer oder Bundeskanzler wie Kurt-Georg Kiesinger und das ausgerechnet in der Großen Koalition mit dem Außenminister und Nazi-Verfolgten, dem SPD-Vorsitzenden Willy Brandt. Wer erinnert sich noch an die Ohrfeige, die Beate Klarsfeld Kiesinger auf einem CDU-Parteitag verpasste?!
Ullrich, Armstrong und die anderen
Doping ist auch so ein Thema, das wir hier im Westen eine Zeitlang trefflich übersehen haben. SZ-Autor Aumüller stellt die Frage, ob „angesichts der Faktenlage übers Doping Ost, des immer dichteren Gemäldes übers Doping West und die ständig neueren Erschütterungen des Sports… sich auch künftig alle Mitglieder als so sauber gerieren können wie heute.“ Kürzlich las ich ein paar Zeilen über den früheren Radrennfahrer Jan Ullrich, mehr muss ich nicht sagen. Der Fall Lance Armstrong ist weltweit bekannt. Der Radrennfahrer Didi Thurau bekannte vor Jahr und Tag: „Wir haben doch früher alle gedopt.“ Wurde nicht kürzlich eine ganze Liste von Sportlern erwähnt, die gedopt haben? Was ist mit den Sprintern von Jamaica, mit den Langläufern aus Kenia oder woher auch immer? Und wie war das eigentlich 1954, beim Gewinn der Fußball-WM? Nachher erkrankten erstaunlicherweise viele der deutschen Helden von Bern an Gelbsucht, hieß es, wenn mich mein Gedächtnis nicht trügt. Und war nicht die Rede von irgendwelchen Kapseln, die irgendwo im Umfeld der Mannschaft auf dem Boden gelegen haben sollen? Hat das je jemand aufgeklärt? Deutschland gewann gegen Ungarn mit 3:2.
Der Westen hat keinen Grund, sich hier moralisch über das Staatsdoping in der DDR zu empören. Sicher, das Verabreichen von Doping-Präparaten, getarnt als Vitaminpillen an Kinder und Jugendliche in der DDR war widerlich, nicht selten waren späte gesundheitliche Schäden die Folgen. Doping im Westen wurde freiwillig gemacht, ohne staatliche Repressionen, aber mit krimineller Energie. Beispiel: die Siebenkämpferin Birgit Dressel, die 1987 an den Folgen starb, hatte in den letzten Lebensjahren rund 100 Medikamente geschluckt. Die Freiburger Professoren Klümper und Keul waren als Doping-Ärzte bekannt. Wer erinnert sich noch an das Buch des früheren Kölner Torwarts der Fußball-Nationalmannschaft, Harald Schumacher, über Doping-Praktiken in der Fußball-Bundesliga?!
Leistungssport nicht glaubwürdig
Mir geht es nicht um Mitleid für Schur oder Drechsler, ich will sie auch nicht verteidigen, und ich will auch nicht als eine Art Nestbeschmutzer nochmal das Thema Fußball-WM in Bern aufwerfen. Auch der Jan Ullrich soll seinen merkwürdigen Ruhm genießen und die Sprinter von Jamaica Weltrekorde laufen und die Schwimmer noch schneller schwimmen. Das ist mir ziemlich egal. „Täve“ Schur könnte man für seine sportliche Lebensleistung ehren. In der DDR war er neben dem ersten ostdeutschen Kosmonauten Sigmund Jähn wohl der bekannteste Zeitgenosse, ein echter Held, nicht wegen seiner SED-Mitgliedschaft oder weil er in der Volkskammer der DDR saß. Schur haben sie verehrt, weil er die Friedensfahrt, die durch die DDR, Polen und die CSSR führte, gewann, eine der härtesten Straßenrennen der Welt. Und weil er Rad-Weltmeister 1958 und 1959, weil er Silbermedaillengewinner bei den Olympischen Spielen in Rom war. Doping, so heißt es, habe zu seiner Zeit keine Rolle gespielt. Wollen wir ihm seine ewige Treue zum längst untergegangenen DDR-Staat vorwerfen, ihn abstrafen? Wirkt ziemlich lächerlich.
Der Leistungssport hat schon seit längerem seine Glaubwürdigkeit verloren. Es macht einfach keinen Spaß mehr, zum Beispiel der einstigen Königin des Sports, der Leichtathletik zuzuschauen. Immer laufen, fliegen und springen die Zweifel mit, ob der gerade erzielte neue Rekord eher den Forschungsarbeiten großer deutscher Pharma-Unternehmen zu verdanken ist. Aber lassen wir dann doch bitte auch die Heuchelei, als hätte es Doping nur in der DDR oder der Sowjetunion gegeben- die bösen Kommunisten und die guten Menschen im Kapitalismus. Als gebe es heute nur das Staatsdoping in Russland und im Westen geht alles sauber zu. Daran glaube ich schon lange nicht mehr. Und die Ruhmeshalle sollten sie auflösen.
Auch hier gilt wieder mal der alte Satz von Gustav Heinemann, des einstigen Bundespräsidenten: Wer mit dem Zeigefinger auf andere zeigt, muss wissen, dass drei Finger derselben Hand auf ihn zurückweisen.
Bildquelle: Wikipedia, Champlax, CC BY-SA 3.0