„Furchtbare Juristen“ heißt das Standardwerk von Prof. Ingo Müller über die unbewältigte Vergangenheit der deutschen Justiz zur Zeit des Nationalsozialismus. Ein beklemmendes Buch, in dem sachlich und fachlich die Willkür deutscher Juristen in der Nazi-Zeit beschrieben wird. Der Titel der kleinen und sehenswerten Wander-Ausstellung „Was damals Recht war…- Soldaten und Zivilisten vor Gerichten der Wehrmacht “, die gerade in der Wandelhalle des NRW-Landtags in Düsseldorf zu sehen ist, erinnert auch bewusst an die Geschichte des früheren baden-württembergischen Ministerpräsidenten und ehemaligen Wehrmachtsrichters Dr. Hans Filbinger(CDU). Die Ausstellung zeigt Opfer und Täter der NS-Justiz, 14 Fallgeschichten von NS-Urteilen gegen Deserteure, Wehrkraftzersetzer und/oder Kriegsverbrecher. Mehr als 30000 Soldaten wurden in Deutschland und in ganz Europa zum Tode verurteilt, 20000 Urteile wurden vollstreckt.
Hochhuth contra Filbinger
Der Schriftsteller Rolf Hochhuth hatte Filbinger einst „einen furchtbaren Juristen“ genannt wegen seiner Urteile aus der Kriegs- und Nachkriegszeit. Filbinger stellte Strafantrag, Hochhuth wurde freigesprochen, der Ministerpräsident, der sogar mal im Gespräch war als möglicher Bundespräsident, musste zurücktreten. In dieser Auseinandersetzung fiel die Äußerung des führenden CDU-Politikers Filbinger, „dass heute doch nicht Unrecht sein könne, was damals Recht war“. Nachzulesen in der Vorgeschichte zum erwähnten Buch von Prof. Müller, einem anerkannten Juristen, der noch einen Kommentar zu den furchtbaren Juristen anfügt: „Dieser Ausdruck der Unbelehrbarkeit , das Beharren auf der Rechtmäßigkeit der unmenschlichen Justiz des Dritten Reichs, zeigte erst die ganze Furchtbarkeit jenes Juristen und vieler Berufskollegen seiner Generation, denn der Marinerichter a.D. Hans Filbinger war kein Einzelfall.“ Wie wahr.
Zur Strafe ohne Waffe an die Front
Die Präsidentin des NRW-Landtags, Carin Gödecke, zitierte zur Eröffnung der Ausstellung aus einem Abschiedsbrief von Franz Fellner an seine Schwester: „Liebe Hilde, wenn Euch dieser Brief erreicht, bin ich nicht mehr. Also lebt wohl, und du, liebe Schwester, wirst mich nicht vergessen, ja? Dein Bruder Franz.“ Fellner war wegen zweifacher Fahnenflucht von einem Marinegericht zum Tode verurteilt worden, sein Gnadengesuch wurde abgelehnt. Fellner erging es wie Zehntausenden anderer Soldaten und Zivilisten in Europa, die durch Hinrichtungen ihr Leben verloren oder durch bewusste Versetzungen an aussichtslose Bereiche der Front. Zum Beispiel mussten sie Minen entschärfen oder unbewaffnet in den Fronteinsatz.
Zum Ausmaß dieser Willkür der NS-Richter die Vergleichszahlen aus dem 1. Weltkrieg: damals gab es ganze 150 Todesurteile gegen deutsche Soldaten, von denen 48 vollstreckt wurden. Oder nehmen wir die Zahl der Urteile in den Reihen der westlichen Alliierten: Die Amerikaner exekutierten einen Soldaten, die Franzosen 102 ihrer Kämpfer, die Briten nur deren 40. Anders die Sowjets: es gab 157000 Todesurteile sowjetischer Militärtribunale gegen Angehörige der Roten Armee.( Quelle: Wikipedia.)
Opfer als Drückeberger beschimpft
NRW-Justizminister Thomas Kutschaty(SPD) erinnerte in Anwesenheit des Brigadegenerals und von 40 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr in seiner kurzen Ansprache daran, dass die Wehrmachtsgerichte Teil des NS-Unrechtsstaates gewesen wären und dass die Opfer über viele Jahre als Drückeberger, Feiglinge und Verräter beschimpft und ausgegrenzt gewesen waren. Rehabilitation und materielle Entschädigung wurde ihnen lange verwehrt, erst in den 80er Jahren habe die Aufarbeitung begonnen. Man muss sich das vorstellen: die NS-Richter machten in der Bundesrepublik Karriere, die Opfer galten sogar als vorbestraft. Dabei lässt sich die Fahnenflucht von Soldaten im Zweiten Weltkrieg damit rechtfertigen, dass die Eroberungsfeldzüge der NS-Wehrmacht wie auch der Vernichtungskrieg im Osten längst als verbrecherische Angriffskriege eingestuft sind.
Unrecht und Willkür, das war die NS-Justiz. Die Ausstellung zeigt u.a. den Fall des U-Boot-Kommandanten Oskar Kusch, der mit 24 Jahren das Kommando über das U-Boot 154 erhalten hatte. Regimekritische Äußerungen wurden ihm zum Verhängnis. Anfang 1944 denunzierte ihn sein Erster Offizier. Kusch wurde wegen „Zersetzung der Wehrmacht“ verurteilt und im Mai 1944 in Kiel erschossen.
Der Fall Johann Süß
Ein anderer Fall: Am 11. Mai 1945, drei Tage nach der Kapitulation der Wehrmacht, wurde der Schlosser Johann Süß hingerichtet, ein Marinegericht hatte ihn zum Tode verurteilt. Süß, der sich während seiner gesamten Dienstzeit nur widerwillig der militärischen Disziplin gebeugt hatte und deswegen zwischenzeitlich zu einer Bewährungseinheit versetzt worden war, diente gegen Kriegsende auf einem Torpedofangbot vor der Küste von Flensburg. Nach der Teilkapitulation deutscher Streitkräfte im Norden des Deutschen Reiches am 6. Mai 1945 hatte Süß offenbar angenommen, der Krieg sei vorüber. Er verlangte Urlaubspapiere und verhielt sich widersetztlich gegenüber seinem Vorgesetzten. Daraufhin veranlasste der Kommandant des Schiffes eine kriegsgerichtliche Untersuchung. Das Todesurteil erging „wegen Untergrabung der Manneszucht“. Text unter dem Foto der Ausstellung.
Der Fall Batschauer
Oder der Fall Erich Batschauer, dessen Gnadengesuch der Marinekriegsgerichtsrat Becker mit den Worten ablehnte: „ Sein Leben, das bisher keinen Wert hatte, wird dann vielleicht nicht nutzlos gewesen sein, wenn er jetzt durch seinen Tod anderen Kameraden ein abschreckendes Beispiel gibt.“ Unmenschlicher geht es kaum. Oder der Fall des Karl Lauterbach, über den es im Text zu seinem Bild in der Ausstellung heißt: Am 7. August 1944 wurde der Gefreite Lauterbach verhaftet. Das Feldkriegsgericht der Division 177 in Wien hielt den Simmeringer vor, er habe sich zweimal den Arm brechen lassen, um nicht wieder an die Front zu müssen. Lauterbach gestand und gab außerdem zu, in einigen Fällen Mithilfe zur Selbstverstümmelung geleistet zu haben. Lauterbach wurde am 7. Februar 1945 gemeinsam mit 13 weiteren wegen Selbstverstümmelung zum Tode verurteilten Männern am Militärschießplatz Kagran erschossen.
Opfer auch in Österreich
Die Ausstellung befasst sich auch mit Tätern und Opfern in Österreich und wurde auch schon an einigen Orten des Alpenlandes gezeigt. Nicht wenige Österreicher hingen dem Glauben an, man sei selber das erste Opfer des Zweiten Weltkrieges gewesen, eine Ansicht, die eine Debatte über Deserteure und ihre Familien lange Jahre verhindert hat. Inzwischen gibt es u.a eine Gedenktafel für die Opfer der NS-Militärjustiz im Wiener Donaupark Kagran mit der Inschrift: „In den Jahren der NS-Schreckensherrschaft 1938-45 wurden ..zahlreiche österreichische Freiheitskämpfer aus den Reihen der Wehrmacht erschossen. Unter den Opfern, die hier hingerichtet wurden, waren auch Angehörige der Wiener Feuerwehr. NIEMALS VERGESSEN!“ Eine Gedenktafel gibt es im ehemaligen KZ Mauthausen, auf der an die Verbrechen gegen die Deserteure und Kriegsdienstverweigerer und Zehntausender weiterer Opfer der NS-Militärjustiz erinnert wird.
Richter, der Justizminister wurde
Hierbei darf ein anderes Kapitel nicht vergessen werden, nämlich das der Richter, die später Karriere machten. Stellvertretend für andere der Fall des Otto Tschaded. Der niederösterreichische Sozialdemokrat, der von 1904 bis 1969 lebte, wurde zunächst 1935 als Sozialistenführer verhaftet und sieben Monate im Anhalterlager Wöllersdorf interniert. Ab 1941 war Otto Tschaded Marine-Kriegsgerichtsrat am Gericht des Küstenbefehlshabers westliche Ostsee in Kiel. Bereits beim ersten Fahnenflucht-Verfahren 1942 wurde der Deserteur Ernst Stabenow zum Tode verurteilt. Tschaded führte dabei den Vorsitz. Das Urteil wurde wenige Wochen später vollstreckt. Tschaded verhängte mindestens drei weitere Todesurteile, unter anderem eines gegen den Obermaat Heinrich Laurien wegen Plünderung. Das Urteil wurde aber vom höchstrangigen Admiralsrichter Joachim Rudolphi in eine zwölfjährige Zuchthausstrafe umgewandelt. Tschaded wurde von den Briten nach dem Krieg zunächst zum Vizebürgermeister von Kiel berufen, kurze Zeit war er dann OB der Stadt, 1946 kehrte er nach Österreich zurück, wurde zunächst Nationalrat und später Justizminister und schließlich Stellvertreter des Landeshauptmanns. Durch seine rege publizistische Tätigkeit gelang es Tschaded, sein Wirken in Kiel zum De-facto-Widerstand gegen den Nationalsozialismus umzudeuten.
Opfer erst 2002 rehabilitiert
Die Ausstellung wurde konzipiert von der „Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas“. Sie soll dazu dienen, die Verbrechen von damals wachzuhalten, die Erinnerung an ein Unrechtssystem, das einen Weltkrieg anzettelte, in dem rund 70 Millionen Menschen ihr Leben ließen und Deutschland am Ende in Schutt und Asche lag. Demgegenüber steht heute eine parlamentarische Demokratie mit ihren Grundwerten, die es zu behaupten gilt. Die Ausstellung soll auch ein Lernort für junge Menschen sein, sich für Freiheit und Demokratie zu engagieren und gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen.
Erst am 17. Mai 2002 kam es zur pauschalen Rehabilitation von Deserteuren in Deutschland. In Österreich wurden erst 2005 alle Urteile gegen Deserteure aufgehoben und ihnen oder ihren Nachkommen eine einmalige Unterstützung gewährt. Und 2009 kam es zu einer Rehabilitation von NS-Justizopfern.
Ausstellung „Was damals Recht war..“. NRW-Landtag, Wandelhalle. Bis 12. Februar. Öffnungszeiten: Täglich 9-18 Uhr, an Samstagen und Sonntagen 11 bis 17 Uhr. Eintritt frei. Vorherige Anmeldung wünschenswert.