Wahlkampf wird ja in Corona-Zeiten kaum gemacht, zumindest nicht, wie wir das über Jahrzehnte in Deutschland-West gewohnt waren und wie das nach der Einheit bundesweit fortgesetzt wurde. Keine Menschen-Massen in Hallen oder auf Plätzen vor Rathäusern, Distanz geht vor Nähe, kein Händeschütteln a la Helmut Kohl. Die Wahlkämpfer touren zwar durch Sachsen-Anhalt, wo am Sonntag ein neuer Landtag gewählt wird, aber es sind nicht die Ereignisse, die die Menschen anlocken. Die Medien berichten darüber, vor allem Umfragen sorgen stets für Schlagzeilen. Ja, man hat den Eindruck, mit Umfragen solle Politik gemacht, Meinung notfalls durch Stimmungsberichte über Prozente verändert werden.
Und es gibt viele Umfragen von vielen Meinungsforschungsinstituten. Kaum ein Tag vergeht ohne eine neue Umfrage. Mal sind die Grünen vorn, mal die CDU, abgehängt ist die SPD, die bei den meisten Medien keine Lobby mehr hat und die plötzlich sogar den Atem des Verfolgers FDP im Nacken spüren soll. Sagt Forsa. Staunend lese ich die Zahlen, höre von einem konservativen Freund aus Berlin die Neuigkeit. Ob das alles so stimmt? Ich weiß es nicht, kann aber auch das Gegenteil nicht belegen. Die Besserverdiener-Partei FDP auf dem Weg zu Platz 3, an der SPD vorbei, die sich um die Belange der vielen kleinen Leute und der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kümmert, was natürlich bei den Herrschaften wenig Eindruck macht, die fordern, alle müssten den Gürtel enger schnallen, die aber selber den Bauch darüber tragen. Die SPD, vor Jahren noch stärkste Partei unter Gerhard Schröder, dessen Namen manche Kreise um die Kühnerts und Eskens nicht so gern hören. Ein Fehler, weil sie das Geschäft des politischen Gegners betreiben. Olaf Scholz, der Kanzlerkandidat der SPD, Bundesfinanzminister in der Groko, hat mit Schröder weniger Probleme. Und das soll hier nicht vergessen werden: Unter den Kandidaten für das wichtigste politische Amt gilt er, nicht nur nach eigener Einschätzung, als der, der Politik kann.
Eine komische Zeit ist das, in der wir leben. Da spricht sich der Ex-Chef von Siemens, Joe Kaeser, für die Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock aus. Das wundert mich nicht, kommentiert ein anderer Freund diese Nachricht. Die Grünen seien nicht mehr die linke Partei, die Opposition, die den ökologischen Umbau der Republik auf ihrer Agenda an Platz 1 hätten, sie seien vielmehr die Partei der Besserverdiener und auch der Spezies, die gut ausgebildet und hochdroben bestens vernetzt seien. Und diese Grünen wollen regieren, nicht nur als Juniorpartner, sondern als Chef das Sagen haben. Das mit dem Koch und dem Kellner war früher. Sie kämen mit der Wirtschaft gut zu Recht, wie man in Baden-Württemberg sehen könne, wo ein Grüner Ministerpräsident namens Winfried Kretschmann eine Politik mache, die sich in vielen Fragen, zumal in denen der Wirtschaft kaum von der seiner CDU-Amtsvorgänger unterscheide, höre ich von einem Kollegen, der sich mit dem Ländle seit Jahren beschäftigt. Stimmt. Ein Musterland der erneuerbaren Energien sei das Land nicht, nur zwölf Windräder wurden 2020 neu aufgestellt, lese ich in einem Beitrag des Bonner Generalanzeigers. Klimaschutz erfordere Verzicht, predigen die Vorleute der Grünen im Wahlkampf. Und so sieht dann die Realität aus. Ähnlich in Hessen, wo der CDU-Regierungschef Volker Bouffier mit dem früheren linken Grünen Tarek Al-Wazir geräuschlos und erfolgreich ein Industrieland regiert. Und zwar so, dass weder der Ausbau des Frankfurter Flughafens-der größte Steuerzahler- noch der der Autobahn 49 Steine in den Weg gelegt würden. Stimmt auch. Pragmatische Politik kann man das nennen. Und kaum jemand regt das auf. Das Establishment nickt zufrieden, die Grünen seien auf Kurs, auf ihrem Kurs.
Vermögensteuer steht im Grundgesetz
Ich bin gespannt, wie die Grünen im Laufe der nächsten Monate ihre steuerpolitischen Pläne den Vorstellungen der Wirtschaft annähern. Dort stößt die Vermögensteuer auf härteste Gegenwehr. Sie sei eine Substanzsteuer, die die Unternehmen direkt destabilisieren würden. Na ja, das Argument kennt man und dem folgt die angebliche Sorge, in diesem Fall würden die Firmen ins billigere Ausland umziehen. Werter Mittelstand: dieses Märchen höre ich seit Jahrzehnten, so haben sie schon zu Zeiten von Helmut Kohl geklagt und der hatte wirklich mindestens ein Ohr für die Belange der Wirtschaft, übersah aber auch die zunehmende Ungleichheit nicht zwischen wenigen Reichen und einem Millionenheer, das so gut wie nichts auf der hohen Kante hat, kein eigenes Haus, keine Aktien, keine Zuflüsse aus Quellen, die die Kassen mancher CSU-Politiker in den letzten Monaten füllten. Übrigens ist die Vermögensteuer Teil des Grundgesetzes. Das aber nur nebenbei. Nicht das gleich wieder jemand beklagt, das Land sei dem Untergang geweiht. Da gibt es andere Kräfte, die die Substanz dieser eigentlich weiterhin gut funktionierenden Republik bedrohen.
Viele Blicke richten sich auf die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt. Es ist ein kleines Land mit gerade mal 2,18 Millionen Einwohnern, mit den Städten Magdeburg und Halle, dem Geburtsort des früheren Außenministers Hans-Dietrich Genscher(FDP). Man schielt auf das Land und sorgt sich darum, wieviele Stimmen dieses Mal die rechtspopulistische oder soll ich besser sagen in Teilen rechtsradikale AfD bekommen. Die Partei, heißt es, werde vom Landesverfassungsschutz mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachtet, was aber leider deren Sympathisanten kaum beeindrucken wird, weil sie sich schnell wieder als Märtyrer sehen. Dabei wollen sie einen anderen Staat, nicht unser Europa, sie polemisieren gegen die Corona-Politik der Regierung und machen Front gegen Flüchtlinge. Was ich erbärmlich finde, auf dem Rücken der Schwächsten Politik zu machen. „Widerstand“ heißt es auf Großflächenplakaten. Sie wollen, da die Linken an Einfluss verloren haben, alle Stimmen einsammeln, die dagegen sind, gegen alles im Grunde. Manche fühlen sich abgehängt, immer noch ist dieses Land eher zerrissen wie andere Teile des Ostens. Der Fall der Mauer hat leider die inneren Mauern in den Gehirnen der Menschen nicht zum Einsturz gebracht.
CDU-Chef Armin Laschet wird den Ausgang der Wahl mit Sorge beobachten. Die Nähe seiner Partei zur AfD wird ein Thema sein, das ihn beschäftigen wird, obwohl er persönlich klar auf Distanz gegangen ist: keine Nähe, keine Zusammenarbeit, nichts. Aber dann ist da ja noch die sogenannte Werte-Union mit einem Herrn Otte, dem eine gewisse Nähe zur politischen Rechts-Partei nachgesagt wird, dann gibt es noch den Herrn Maaßen. Da kann sich Laschet noch so wehren, die politische Konkurrenz wird vorhandene Unklarheiten genüsslich nutzen. Und die AfD wird alles tun, damit diese Unklarheiten möglichst weiterhin bestehen. Dann ist da ja auch noch der Herr Söder, CSU-Chef und Ministerpräsident des Freistaats Bayern, der gern gegen den Kanzlerkandidaten der Union stichelt und stänkert, weil er es nicht verwunden hat, dass Laschet und nicht der große Söder sich ums Kanzleramt bewerben darf.
Bei der letzten Wahl 2016 lag die CDU mit 29,9 Prozent knapp unter der 30-er-Marke, auf Platz 2 kam die AfD mit 24,3 Prozent, die Linke kam nur auf 16,3 und die SPD auf schmähliche 10,6 vh, die Grünen schafften mit 5,2 vh gerade den Sprung in den Landtag, den die Liberalen mit 4,9 vh knapp verpassten. Der Ausgang des Rennens wird knapp werden, Ministerpräsident Rainer Haseloff(CDU) muss seine Mehrheit verteidigen. Leicht wird das nicht für die regierende Kenia-Koalition aus CDU, SPD und Grünen. Einem Jamaika-Bündniss werden Chancen eingeräumt, also für CDU, die Grünen und die FDP. Aber auch eine Deutschland-Koalition aus CDU, SPD und der FDP ist möglich. Sachsen-Anhalt kann man nicht als Steilvorlage für die Ende September stattfindende Bundestagswahl betrachten, dazu ist das Land zu klein, aber einen Vorgeschmack darauf, ein Stimmungsbild können wir am Sonntag bekommen.
Bldquelle: Screenshot ARD-Wahlberichterstattung 29.5.2021