„Theo“ Waigel liebt die Langfassung seines Vornamens „Theodor“. In der ihm eigenen feinen Selbstironie erinnert er gerne daran, dass dieser eigentlich „Geschenk Gottes“ bedeutet. Dabei fügt er in der Regel den Hinweis hinzu, er habe aber Zweifel, ob dies von seinen politischen Freunden und Gegnern immer so empfunden wurde. Diese kleine Anekdote weist auf den außerordentlichen Politiker Waigel hin. Denn Selbstironie ist eine in der Politik rare Eigenschaft.
Normalerweise wird Theo Waigel als „Vater des Euro“ bezeichnet. Die Einführung einer europäischen Währung auf Basis eines Stabilitätspaktes ist ohne Zweifel sein Verdienst. Sie brachte der Volkswirtschaft Deutschlands und der anderen Euro-Mitgliedstaaten enorme Vorteile – mehr als die bloße Mitgliedschaft in der EU. Der Blick auf den Euro verengt allerdings den Blick auf andere historische Leistungen Theo Waigels.
Außerordentlich! Dieses Adjektiv dürfte Theo Waigel und seine Leistungen als Politiker zutreffend beschreiben, der jetzt am 22. April seinen 85 Geburtstag feiert. Ich habe Theo Waigel vor mehr als 50 Jahren als Neuling bei der Jungen Union erstmals getroffen. Ich war frisch gewählter Delegierter zur Landesversammlung der bayerischen JU und er war der Landesvorsitzende des CSU-Nachwuchses. Von da an kreuzten sich unsere Wege immer wieder einmal. Ich wurde Journalist und Theo Waigel Bundestagsabgeordneter. Nach dem Tod des legendären CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß am 3. Oktober 1988 berief er mich als Sprecher der Partei. Ich wurde in den folgenden Jahren zu seinem Wegbegleiter.
Franz Josef Strauß und die CSU waren in den Augen der Öffentlichkeit eins. So wundert es nicht, dass viele Kommentatoren die CSU nach seinem Tod abschrieben und ihr bestenfalls den Status einer Regionalpartei zugestanden. Strauß hatte den Nimbus Weltpolitiker und bayersicher Politiker in einem zu sein. Er verkörperte den Anspruch der CSU, eine politische Kraft zu sein, die bundesweit Geltung hat. Viele Berichterstatter waren skeptisch, ob sein Nachfolger über dieses politische Gewicht verfüge, dass sein Vorgänger für seine Partei in die Waagschale werfen konnte. Auch wenn sie ihm wegen seiner unfreiwilligen Rolle als „Katalysator“ im mitunter spannungsreichen Verhältnis zwischen dem CDU-Vorsitzenden und Bundeskanzler Helmut Kohl und Franz Josef Strauß Respekt zollten.
Doch das änderte sich sehr schnell. Im Rahmen einer Kabinettsumbildung kurz vor Waigels 50. Geburtstag trat er als Bundesfinanzminister in die Regierung ein. Für den neuen CSU-Chef, der noch mit den innerparteilichen Nachwehen des Wechsels ins Amt des Vorsitzenden konfrontiert war, sollte schon bald eine Zeit anbrechen, die ihm nahezu übermenschliche Kräfte für Entscheidungen von historischen Dimensionen abverlangte. Im April 1989 spürten wir die ersten Ausläufer eines Bebens, das die Tektonik der Nachkriegsordnung von Grund auf verändern sollte. Am 3. Oktober 1989 fielen der „eiserne Vorhang“ – die Mauer und die Grenzzäune. Das Sinnbild für die Teilung Deutschlands und Europas wurde Vergangenheit. Im Laufe dieser friedlichen Revolution stand schon bald die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands auf der Tagesordnung der Weltpolitik. Theo Waigel musste dabei die finanziellen Lasten dieses Einheitsprozesses – samt den Schulden der DDR – managen. Und das tat er!
Auch innerparteilich begann damals für den CSU-Vorsitzenden Theo Waigel eine unruhige Zeit. „Deutschland ist größer und protestantischer geworden!“ titelten die Gazetten und stellten die Frage, ob die CSU dabei weiter ihr politisches Gewicht behalten könnte. Ein Zweifel, der sich als falsch herausstellte, aber einige „Parteifreunde“ mehr oder minder laut über eine Ausweitung der CSU in die Gebiete der neuen Bundesländer nachdenken ließ. Das hätte die DNA der CSU und ihr Profil grundlegend verändert. Den „Laden zusammen zu halten“ und dabei eine offene Konfrontation in der CSU zu vermeiden, war in dieser Situation mehr als eine diplomatische Meisterleistung des CSU-Chefs Theo Waigel.
Sein ganzes politisches Geschick musste Theo Waigel auch wieder Ende der 90er-Jahre bei der Einführung des Euro an den Tag legen. Auch dieses historische Projekt wurde unüberhörbar von einem Chor der Skeptiker in der CSU begleitet. Die CSU dabei zu einen und erfolgreich auf Kurs zu halten und dabei auch eine unausgesprochene Machtprobe zu bestehen, steht auch auf der gut ausgestatteten Habenseite des politischen Kontos von Theo Waigel.
Manchmal habe ich mich gefragt, woher er die Kraft für die Bewältigung dieser gigantischen Aufgaben nahm. Sicherlich war es dem Mann aus dem schwäbischen Dorf Oberrohr bei Ursberg nicht gesungen worden, dass er einmal als Parteivorsitzender und Bundesminister in Zeiten historischer Veränderungen derart gigantische Aufgaben stemmen sollte. Seine Fähigkeit weit über den Tellerrand der Parteipolitik zu blicken, dürfte dabei geholfen haben. Sie basiert seiner Verwurzelung im Glauben, die intensive Beschäftigung mit Kunst, Literatur und Philosophie und besonders die Tatsache, dass der Weltmann aus dem Schwäbischen nie die Bodenhaftung verlor..
Wenn ich nach dem wichtigsten Wesenszug des 85-jährigen „Geburtstagskindes“ gefragt werde, fällt mir ein absolut unfreundlich gemeinter Zeitungskommentar ein. Er erschien 1988 kurz nach seiner Wahl zum neuen CSU-Vorsitzenden. Sein Titel „Der nette Herr Freundlich“. Der Autor lag, anders als mit seinen Kommentarzeilen, wenigstens mit seiner Überschrift nicht ganz daneben. Um ihn „grantig“ werden zu lassen, wie man in Bayern sagt, muss schon sehr viel passieren. Auch das zeichnet den Menschen Theo Waigel aus, auch wenn er von sich selbst behauptet, dass er als Christ nicht nur das „Neue Testament“, sondern auch das „Alte Testament“ kennt.
Der junge Politiker Dr. Theo Waigel träumte davon, einmal Landrat in seiner schwäbischen Heimat zu werden. Ausgerechnet sein Freund Bruno Merk ließ diesen Traum platzen. Als bayerischer Innenminister brachte er eine Landkreisreform auf den Weg, bei der ausgerechnet der Heimat-Landkreis Waigels aufgeteilt wurde. In seiner Grundsatzrede bei seiner Wahl zum Nachfolger von Franz Josef Strauß hatte er einen seiner politischen Ziehväter zitiert. „Das Amt muss zum Mann kommen und der Mann zu Amt!“ So kam es dann auch. Mit Bruno Merks Landkreisreform begann zum Glück für unser Land und Europa eine bemerkenswerte und erfolgreiche politische Karriere.
Bildquelle: Wikipedia, Bundesarchiv, B 145 Bild-F082410-0032 / Schaack, Lothar / CC-BY-SA 3.0