„Die Demokratie scheint nur zu funktionieren, wenn der Glaube besteht, dass die Zukunft besser wird“ ist ein Zitat von Samuel Issacharoff einem Verfassungsjuristen an der New York University School of Law.
Dass dem demokratischen Westen dieser Glaube allmählich abhandenkommt, dürfte nicht unberechtigt sein. Es handelt sich um einen logischen Megatrend wie die globale Erwärmung; so wie das Wetter um den Klimatrend herum schwankt, so dass viele Menschen sich mit dem Gedanken trösten, es sei doch immer mal kälter und mal wärmer gewesen, so wird der ökonomische Megatrend von Schwankungen der Konjunktur und des Regierungshandelns überlagert, so dass man stets behaupten kann, die Regierung sei schuld und man könne doch mit einem „Wachstumspaket“ den alten Expansionspfad wieder aufnehmen.
Nicht nur in unserem Bundestags-Wahlkampf werden zwei Argumentlinien für neuen Optimismus benutzt, die beide den Megatrend bewusst oder unbewusst leugnen. Es kommt den Propagandisten dabei auch nicht auf Wahrhaftigkeit an, sondern auf Wählerstimmen:
- man werde die nicht gehaltenen Versprechungen der Vergangenheit nun im besser gemanagten „Weiter so“ ganz sicher erfüllen und sogar mehr an Einkommen und sozialer Sicherheit realisieren
- man müsse nur die von weltfremden Eliten erfundenen und von „Systemparteien“ zur Knebelung des Volkes und des „Gesunden Menschenverstandes“ benutzten Ideologien wie Klimahysterie und Humanitätsduselei bei Minderheiten und Migration beiseitelegen. Ein radikaler „Politikwechsel“ könne den glücklichen Zustand der Vergangenheit wieder herstellen, wo Klima gottgegeben und ewig war und nur weiße Europäer überall hin durften.
Was sind nun diese Megatrends, die die Zukunft der westlichen Demokratien und insbesondere auch Deutschlands prägen werden und schon erkennbar beeinflussen:
- ökonomisch ist es der Wettbewerb mit immer mehr gleich kompetenten Menschen in aller Welt. Auf die Dauer kann kein Land besser leben als ein anderes, wenn beide gleiches Kompetenz- und Leistungsniveau haben; wer von der Natur zusätzliche Nachteile hat insbesondere bei Rohstoffen und Energien, wird sich besonders anstrengen müssen, um auch nur sein Niveau zu halten. Und wer demographisch altert, hat ein zusätzliches Problem. In der Vergangenheit konnten Westeuropäer Waren verkaufen, die für andere fast konkurrenzlos attraktiv waren; so konnten hohe Erlöse erzielt werden. Jetzt bietet z.B. China ebenfalls gute Autos, Laser und Solartechnik an und Indien Pharmazeutika und Stahl. Das Exportland Deutschland merkt dies besonders und muss zugleich erkennen, dass ein Gutteil des „Wohlstandsgewinns“ der letzten Jahrzehnte durch Vernachlässigung wichtiger Infrastrukturen „verdient“ worden ist – Bahn, Brücken und Bundeswehr sind unabweisbare Beweise.
- aus ökologischen Gründen wird die Menschheit insgesamt viel Arbeit und Ressourcen aufwenden müssen, um die geschädigte Natur des Planeten zu sanieren und trotz wahrscheinlich unaufhaltsamer globaler Erwärmung und Extremwetter-Katastrophen gut und sicher zu leben. Man kann dabei Lebensqualität gewinnen aber sicher keinen Zuwachs an Konsum, was für die ganz große Mehrheit der Menschheit die Kardinalfrage jener Hoffnung auf bessere Zukunft ist – auch in den Demokratien.
Demokratische Rechte und Freiheiten werden unverändert dort hoch geschätzt, wo sie fehlen und Gewalt herrscht, nicht aber dort, wo sie selbstverständlich geworden sind, langweilig und oft wegen der vielen Streitereien ärgerlich.
Gerade in Wahlkampfzeiten wie gerade erst in USA oder jetzt in Deutschland wird all das sehr plastisch: die Freiheit wird genutzt, um immer mehr Parteien ins Rennen zu schicken, die immer kleinere Anhängerschaften mit Schlagworten an sich binden wie „Frieden“ oder „Remigration“, die die Langeweile sorgfältigen Abwägens durch Entertainment überwinden, wobei Lügen und Beschimpfungen die notwendige Aufmerksamkeit schaffen. Wieviel ist jenen Freiheit wert, denen gesagt wird, sie seien das Maß guten Urteilsvermögens, repräsentierten den gesunden Menschenverstand, während die Verführer über die mangelnde Kompetenz der Normalbürger und ihre Neigung zum ressentimentgeladenen Vorurteil lachen. Denn es ist wie beim BREXIT: man will ja gar keine „Volksherrschaft“ a la „take back control“, sondern nur die Befriedigung des machtgeilen Egos.
Wenn diese Analyse einigermaßen richtig ist, dann stellt sich die ernste Frage, ob Politiker und Parteien in unseren Demokratien noch fähig sind, die globalen Wahrheiten und Trends selbst zu schildern und die Bevölkerung auf die Herausforderungen einzuschwören. Der ehemalige Ministerpräsident und Verfassungsrichter Peter Müller hat kürzlich in der Süddeutschen Zeitung bei ähnlicher Sicht der Dinge Verständnis geäußert, dass Politiker eben keinen Selbstmord begehen würden; wer negative Wahrheiten erkläre, habe schon verloren.
Wenn also Politiker die Demokratie nicht retten können, dann blieben eben doch nur Persönlichkeiten der Zivilgesellschaft mit Autorität und Beliebtheit, also Künstler, Wissenschaftler, erfolgreiche Unternehmer und Gewerkschaftler, Autoritäten religiöser Gruppen, also die geschmähten Eliten, sich zusammenzutun zu einer riesigen Kampagne für die faktengerechte Darstellung der Lage des Landes in einer Welt, die das Ende des materiellen Wachstums spürt und gerade deshalb den Frieden nur wahren kann, wenn sie auch den ärmeren 7 Milliarden Menschen ihren Aufstieg gönnt und ermöglicht. Europa müsste dabei nicht arm werden – nur ärmer an Schnickschnack und Luxus.
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