Ich muss einräumen, dass ich lange gezögert habe, dieses Buch zu bestellen. „Täuschung“ heißt es in der deutschen Übersetzung. Geschrieben hat es eine berühmte Journalistin von der New York Times, die Pulitzer-Preisträgerin Maggie Haberman, die Donald Trump seit vielen Jahren begleitet und der Trump einige Interviews gewährt hat. 730 Leseseiten, mit Glossar 830. Gewicht(so steht es im Beipackzettel des Verlags): 1,383 Kg. Als Bettlektüre also wenig geeignet, der dicke Wälzer würde mir dauernd aus der Hand fallen. Und ich muss gestehen, dass ich Trump überhaupt nicht mag, sein großes Mundwerk, überhaupt der gestylte Präsident, der sich nur für sich selbst interessiert, sich selbst applaudiert, Golf spielt, dazu seine fiesen Auftritte, bei denen er schon mal einen anderen Regierungschef beim Gruppenfoto aus der ersten Reihe weggestoßen hatte. Ein Egoist, ein Lügner, beschrieb ihn ein US-Journalist, andere urteilten, sein America first sei doch in Wahrheit Trump first. Skrupellos, rücksichtslos. Und doch habe ich das Buch bestellt und muss heute zugeben: Es ist so packend geschrieben, spannend, dass man das Werk, nimmt man es einmal in die Hand, nicht mehr weglegen will.
Maggie Haberman ist dem gewesenen US-Präsidenten seit vielen Jahren auf den Fersen. Sie hat ihn beobachtet, Hunderte von Interviews geführt, um alles Mögliche über Donald Trump zu erfahren. Drei Interviews hat Trump ihr gegeben. Er selbst nennt sie „meine Psychiaterin“, immer wieder redet er mit ihr, obwohl er weiß, dass Maggie Haberman unbestechlich ist und seine Machenschaften öffentlich macht, sie aufdeckt. Sie ist im Grund seine erklärte Lieblingsfeindin, die ihn aber ernst nimmt und ihn auch als eine Gefahr für Amerika entlarvt. Sie beschreibt, wie er regelmäßig Dokumente, Memoranden in der Toilette herunterspülen lässt. Sie schildert immer wieder seine Wutausbrüche, wenn er merkt, dass seine Umwelt in der Politik nicht so funktioniert, wie er sich das als Geschäftsmann vorgestellt hat.
Die Stärke des Buchs ist sicher, dass Haberman den Weg des vermeintlichen Selfmade-Millionärs aus New York ins Weiße Haus beschreibt. Sie schildert das Leben in Amerikas größter Stadt in den 70er und 80er Jahren, wo es einen „Morast aus Korruption und Misswirtschaft“ gegeben habe. Unter den Immobilienunternehmern hätten sich zwielichtige Gestalten getummelt. Teil des Geschäften seien stets Verleumdungen, Klagen, Drohungen, Ermittlungen und „finanzielle Messerstechereien“ gewesen. Wer hier erfolgreich sein wollte, musste skrupellos sein, dreist, frech. Einer sei ihr besonders aufgefallen: Donald Trump.
Dabei erfährt der Leser auch die Abhängigkeit des Sohnes vom Vater, der ihn prägt, was ihn aber auch quält, weil er eben nicht von sich heraus der Erfolgs-Mann ist, der er gern wäre. Den Immobilien-Mogul Donald Trump beschreibt Haberman als Manipulator und als politischen Hochstapler, der nach dem höchsten Amt, das die Weltmacht USA zu vergeben hat, greift und der tatsächlich der mächtigste Mann der Welt wird. Für mich als Beobachter immer noch unbegreiflich, wie das passieren konnte. Wie dieser Mann eine ganze Partei, die Republikaner, in die rechtsextreme Ecke drängt und sie am Ende seiner Präsidentschaft dazu bringt, das Kapitol zu stürmen, das Zentrum der amerikanischen Demokratie. Unvorstellbar, wie ein Präsident aus seinen Anhängern einen zu allem entschlossenen Mob macht, der Gewalt anwendet, weil er dem großen Vorbild, Donald Trump, die Lüge abnimmt, er, Trump sei bei der Wahl betrogen worden. Nicht Bidens Demokraten hätten die Wahl gewonnen, sondern er. Und derselbe Trump weigert sich ja auch tagelang, das Weiße Haus zu verlassen.
Ein Präsident, der eigentlich die Verfassung, das Land schützen soll, ruft quasi zum Sturz der Demokratie auf. Vergleiche hinken, aber unweigerlich denke ich an den ruhigen, wenn man so will langweiligen Wechsel im Amt von der CDU-Bundeskanzlerin Angela Merkel zum SPD-Kanzler Olaf Scholz. Wie selbstverständlich wird der Stab übergeben, während der mächtigste Staat der Welt, die einzige übriggebliebene Weltmacht, ein Bild des Chaos bietet, der Spaltung. Auch nach dem zum Glück gescheiterten Sturm aufs Kapitol machen die Anhänger Trumps die Hälfte der Amerikaner aus. Mehr noch, Maggie Haberman erwartet, dass Donald Trump erneut kandidieren wolle. Man fasst sich an den Kopf. Denkt an die Zukunft der Nato, mit der Trump nie etwas am Hut hatte, überhaupt an Europa, an Deutschland, was ihn alles nicht interessiert, es sei, er könnte Geschäfte machen. Vermutlich weiß einer wie Trump gar nicht, wo die Ukraine liegt.
Trump hat nie inhaltliche politische Ziele. Das beschreibt Maggie Haberman sehr klar. Ihm geht es nur um Trump, um Wolkenkratzer, um Millionen für sich, darum, wie er dasteht und aussieht. „Es ist die schnelle Lüge, das Zurückbeißen, wenn ihn jemand attackiert.“ Und alles geschehe mit einem gewissen Maß an Drama, an Chaos, auch mit dem Ziel, „die Verantwortung von sich selbst fern zu halten.“ Er streitet ab, gibt dann etwas zu und später stellt sich heraus, dass er sehr wichtige Dokumente aus dem Weißen Haus mit in seine Privatgemächer genommen hat. So geschehen mit den Briefen des nordkoreanischen Diktators Kim Jong-Un und Briefe anderer Staatschefs, die er zuerst als „nicht von großer Wichtigkeit“ eingestuft hatte, um nachher damit anzugeben. Typisch Trump. Er dreht sich seine eigene Wahrheit zurecht, so Haberman, was man auch Lüge nennen kann.
Das Buch zeichnet eine Gesellschaft, die auch Rassismus, Gewalt, Homophobie und Sexismus als normal ansieht und sogar teilweise aktiv unterstützt. Haberman beschreibt das alles sehr präzise, wie Trump und seine Helfer mit Lügen, Drohungen, Intrigen, persönlichen An- und Übergriffen rücksichtlos handeln und damit breite Schichten der US-Bevölkerung nicht abschrecken, sondern sie sogar für sich gewinnen. Wie anders wäre seine Wahl zum US-Präsidenten sonst möglich gewesen. Wie anders ließe sich heute seine anhaltende Popularität bei der Hälfte der Amerikaner erklären! Donald Trump bewundert den russischen Kriegstreiber Putin bis heute, seine Fans scheint das so wenig zu interessieren wie seine stundenlangen Aufenthalte im eigenen Resort, um Golf zu spielen. Nach Trump könnte man den Job des US-Präsidenten als Teilzeit-Job bezeichnen, weil der Präsident im Grunde mehr fernsieht und Golf spielt als Akten liest und sich um wichtige Staatsgeschäfte kümmert.
Warum ausgerechnet ein solcher Trump wieder Präsident werden will? Habermans Vermutung: das habe nichts mit Politik, Ideologie oder einem Drang nach Weltverbesserung zu tun, sondern entspringe einzig der Geltungssucht des Kandidaten. Trump diktierte seiner Lieblings-Chronistin in den Block: „Ich kenne viele reiche Männer, die niemand kennt.“ Und auf eines darf sich der amtierende Präsident Biden „freuen“: Trump und seine Anhänger werden es genussvoll ausschlachten, dass Biden Papiere aus seiner Zeit als Vize-Präsident in der Garage gelagert hat. Es wird ihm wenig nutzen, dass er anders als Trump das nicht bestreitet und sogar bei der Sicherung der Unterlagen aktiv mitwirkt. Trump wird ihn attackieren, rücksichtslos. Ob es ihm hilft? Ein Gauner, der einen anderen als Gauner hinstellt, um von sich selbst abzulenken? Amerika, das Land der unbegrenzten Möglichkeiten.