Wer das Holocaust-Museums in der US-Hauptstadt Washington besucht, betritt zunächst einen Raum, der den Aufstieg Hitlers zeigt. Ein riesiges Foto, das Hitler vor einer aufgeputschten Menge von jubelnden Anhängern zeigt – der Führer und seine Gefolgschaft. Solche Fotos habe ich mir immer mit Sorge angeschaut, voller Furcht, meinen Vater oder meine Mutter auf einem dieser Fotos zu entdecken. Denn beide waren in den 1930er Jahren jung und zur Ausbildung in Berlin. Bei meinem Besuch vor einigen Jahren standen etliche kleinere Gruppen aus allen Teilen der Welt vor dem übergroßen Bild und ließen sich erklären, wie alles anfing damals in Deutschland. Allein auf mich gestellt lauschte ich bei einigen Gruppen und war erstaunt, was ich zu hören bekam. „Schauen Sie“, sagte einer der Museum Guides, „die Menschen jubeln Hitler zu. Aber sehen Sie den Mann ganz oben rechts in der Ecke? Der jubelt nicht. Nicht alle, die zu Hitlers Auftritten kamen, kamen freiwillig dorthin. Manche sahen sich gezwungen, durch ihren Vorgesetzten oder ihren Firmenchef.“ Als Deutscher, der erst geboren wurde, als alles vorbei war, der Krieg, die Verfolgung, der millionenfache Mord an Jüdinnen und Juden aus ganz Europa, war ich angetan von den Ausführungen des Tour Guides – vielleicht war es ja tatsächlich so. Nicht jeder, der an Hitlers Aufmärschen teilnahm, war bereit, ihm zu folgen. Manche waren skeptisch, manche mögen die Dunkelheit und das Grauen geahnt haben, in das er Deutschland führen würde.
Nie wäre mir bei dem Besuch des Holocaust-Museums eingefallen, an die USA zu denken, schon gar nicht an Wahlkampfauftritte von Präsidentschaftskandidaten. Die Nazis, die es in den 1930er Jahren in Amerika gab, waren zu unbedeutend. Und die Rechtspopulisten, die sich die Folgen der Weltwirtschaftskrise, die Armut und die Arbeitslosigkeit im Lande, zunutze machen wollten, scheiterten an der Politik von Präsident Franklin D. Roosevelt, der dem Land pragmatisch einen Weg aus der Krise bahnte. Doch im Jahr 2024 komme ich nicht umhin, an das riesige Foto aus dem Holocaust-Museum zu denken. Zu sehr erinnern mich die Wahlkampfauftritte des am 5. November gewählten Präsidenten Donald Trump an das, was damals in Deutschland passierte. Eine junge Republik scheiterte, konservative Strippenzieher ebneten dem Demagogen Hitler den Weg, Unternehmer hielten sich fein zurück und Kirchenmänner begrüßten den starken Mann, der den nationalen Wiederaufstieg einer leidenden Nation versprach. Und viele eifrige Helfer sorgten dafür, dass seine Botschaft in alle Stuben verunsicherter deutscher Mitbürger gelangte.
Wenn ich damals mit heute vergleiche, wenn ich Parallelen entdecke zwischen dem Scheitern der Weimarer Republik und der Wahl eines verurteilten Straftäters zum Präsidenten der USA – neige ich dann zur Panikmache? Oder will ich womöglich mein Gewissen erleichtern, indem ich mir vorstelle, dass das Unheil, das 1933 passierte, auch in der ältesten Demokratie der Welt möglich ist? Warum lehne ich mich nicht einfach zurück und sage: „Schauen wir mal, was kommt?“ Warum erfüllt mich kaum Zuversicht bei dem Gedanken, dass sich Widerstand in der US-Gesellschaft regen wird – in den Medien, in Gerichten, in der Zivilgesellschaft, in den Einzelstaaten? Und dass der gewählte Präsident, wie autokratisch er auch immer regieren mag, keiner derart menschenverachtenden Ideologie anhängt, wie der Mann, den Deutschland 1933 zu seinem Führer erhob?
Ich frage mich auch, wie die Studentinnen und Studenten in den USA darüber denken, die vor vielen Jahren an meinem Kurs zum Scheitern der Weimarer Republik und zur Machtergreifung Hitlers teilnahmen. Hat sie gegen subtile Unterwanderung von rechts gefestigt, was sie damals bei W.S. Allen in seinem Buch „The Nazi Seizure of Power“ gelesen haben? Oder bei Eberhard Jäckel in dessen ins Englische übersetzte Buch „Hitler’s Worldview“? Oder bei Peter Gay, dessen Buch „Weimar Culture“ im Anhang eine konzise Geschichte der Weimarer Republik auf knapp zwanzig Seiten enthält, die man mehrmals lesen muss, um zu verstehen, wie eine Verkettung tragischer Ereignisse und kurzsichtigen Handelns zum Aufstieg der Nazis in Deutschland beitrugen?
Ich bin nicht der einzige, der solche Vergleiche anstellt. Zu meiner Überraschung äußerte sich ein aus dem Film Cabaret bekanntes Gesicht zur Wahl Trumps. Joel Gray, der in dem Film den Concierge spielt und mit schrecklich deutschem Akzent singt, schrieb in der New York Times vom 24. November einen Artikel mit dem Titel „I starred in ‘Cabaret.’ We Need to Heed Its Warning“. Er habe den Emcee gespielt, schreibt der 94jährige in New York lebende Schauspieler. Er sei der „Master of Distraction“ gewesen, “keeping Berlin mesmerized while Nazism slipped in through the back door.” Und weiter: “The democratic election of an authoritarian figure, the normalization of bigotry, the complicity of the frightened masses — none of these are new themes. We have indeed seen this show before, and I fear we do know how it ends. It’s understandable to want to retreat, to find solace where we can, but we cannot afford to look away. History is giving us another chance to confront the forces that ‘Cabaret’ warned us about. The question is: Will we listen this time, or will we keep laughing until the music stops?”
Doch es gibt auch Historiker, die den Vergleich zwischen dem Aufstieg von Trump und dem Niedergang der Weimarer Republik nicht scheuen. Der an der University of Illinois at Urbana-Champaign lehrende Historiker Peter Fritzsche, Autor des Buchs “Hitler’s First Hundred Days: When Germans Embraced the Third Reich”, schreibt in der eher linken jüdischen Internetzeitschrift „The Forward“ zur Diskussion darüber, ob es klug war, Trump im Wahlkampf als Faschisten zu bezeichnen: “In hindsight, it’s clear that to call Trump a fascist was going to accentuate, not reduce, his appeal to those American voters who loved his strongman image, and his promise to fight the system, representing its neglected victims.” Anders formuliert: Bei seinen Anhängern hat Trump mit dem Vorwurf, er sei ein Faschist, eher gepunktet. Hitler wurde von den Deutschen gewählt, weil er Hitler war. „The voters who assembled behind Trump like that Trump is Trump — just as the decades-past swing voters who went Nazi liked that Hitler was Hitler.” Und was in den USA nun folgt, könnte dem ähneln, was in Deutschland im Jahr 1933 passierte: Trump wird neue Anhänger finden, auch unter gemäßigten Republikanern, denn: „This combination of growing consensus and targeted coercion is part of fascism. We know how this can play out — now, we simply have to wait to see how bad it gets.”
Democracy is on the ballot
In der Wahlforschung hat sich seit den 1960er Jahren das Paradigma der Michigan School etabliert, nach dem Wahlentscheidungen beeinflusst werden von der langfristigen Parteibindung, der „Parteiidentifikation“, der Position, die Kandidaten und Wähler zu bestimmten Themen, den „Issues“, einnehmen, und den Einstellungen zu den Kandidatinnen und Kandidaten. Was die Parteibindung anbetrifft, so lässt sich seit längerem eine Polarisierung in den USA beobachten, die sich in negativen Einstellungen zum politischen Gegner zeigt. Für die Demokraten sind die Republikaner eine Gefahr für die Demokratie. Für die Republikaner gilt das Umgekehrte. Aus politischen Gegnern, so könnte man sagen, sind Feinde geworden. Fast ganz verschwunden sind die liberalen Republikaner und konservativen Demokraten, vor allem im Süden der USA. Es hat ein Realignment stattgefunden. Die einen, die Republikaner, sind konservativ und haben sich immer weiter radikalisiert bis zu den Make-America-Great-Again-Republikanern. Bei den Demokraten war die Bewegung weg von der Mitte nicht ganz so ausgeprägt – sie sind geprägt von verschiedenen Strömungen, von progressiv bis „traditionell liberal“. Anders formuliert: Als Kandidat oder Kandidatin für die Demokraten ist es selbstverständlich, in der Frage der Abtreibung „pro choice“ zu sein, während man als Kandidat oder Kandidatin für die Republikaner „pro life“ zu sein hat. Dazwischen gibt es wenig, auch wenn die Wählerinnen und Wähler das differenzierter sehen. Ähnliches gilt für den Besitz von Schusswaffen oder die Schließung der Grenze zu Mexiko. Die Wählerinnen und Wähler sind jedoch nicht so konsistent wie politische Klasse des Landes. Nur wer politisch interessiert ist, neigt auch eher dazu, ideologisch konsistent zu denken.
Mündige Wähler, so nahm man lange an, lassen sich weniger von ihrer Parteiidentifikation leiten, sondern machen sich ein Bild von den Positionen der Kandidaten, vergleichen die mit der eigenen Position, und entscheiden sich dann für den Kandidaten oder die Kandidatin, mit der sie mehr übereinstimmen.
Das ist jedoch gar nicht so einfach, wie schon die Autoren des „American Voter“, also des Klassikers in der Wahlforschung aus dem Jahr 1960 feststellten. Kandidaten legen sich nicht immer genau fest, was sie wollen, und wenn sie das tun, wird die Position nicht unbedingt korrekt wahrgenommen. Da liegt es nahe, wenn die Medien etwas nachhelfen und recherchieren, wofür ein Kandidat letztlich seht. Ein solches Informationsangebot stellte die New York Times zur Verfügung. Die Journalistin Maggie Astor gab sich alle Mühe, aus hunderten von Interviews, Stellungnahmen und sonstigen Papieren herauszufiltern, welche Haltung Donald Trump und Kamala Harris zur Abtreibung, zur Klimakrise, zur Kriminalität und diversen anderen Themen einnahmen.
Darunter auch das Thema „Demokratie“. Doch ist Demokratie ein Thema wie jedes andere – wie Inflation, Einwanderung, Schulden oder Klimawandel? In der New York Times können wir in diesem Abschnitt lesen, dass Trump seine politischen Gegner als „Ungeziefer“ bezeichnet hat, ihnen mit Vergeltung droht und dafür die Unabhängigkeit des Justizministeriums abschaffen will. Aber auch, dass er seine Wahlniederlage im Jahr 2020 nie anerkannt hat, seinen Vizepräsidenten unter Druck setzte und schließlich die Demonstranten am 6. Januar 2021 so in Rage versetzte, dass einige von ihnen glaubten, das Kapitol stürmen zu müssen. All diese Verletzungen demokratischer Spielregeln sind hinlänglich bekannt und gut dokumentiert. Doch sie abzuhandeln, als ginge es um ein Streitthema wie Abtreibung oder Inflation, als ein Streitthema unter anderen, wird der Bedeutung dieses Themas nicht gerecht.
Das gängige Paradigma der Wahlforschung und alle unterstützenden Versuche, den Wählerinnen und Wählern zu einer rationalen Entscheidung zu verhelfen, greift zu kurz, wenn es um den Bestand der Demokratie geht. Ähnliches gibt es bei uns in Deutschland: Die Bundeszentrale für politische Bildung bietet zu Wahlen einen „Wahlomat“, dem die Programme der Parteien zugrunde liegen und der dem Wähler helfen soll, eine möglichst rationale, auf den strittigen Themen basierende Entscheidung zu treffen. Doch wenn ein politischer Akteur die Spielregeln der Demokratie oder grundlegende Werte in Frage stellt, gar als verfassungsfeindlich eingestuft wird, helfen solche Instrumente oder Vergleiche der politischen Positionen nicht weiter. Doch wie kriegen wir das hin, die Frage der Demokratietreue einer Partei oder eines Kandidaten sozusagen vor die Klammer zu ziehen, und erst dann zu weiteren Themen überzugehen, wenn die Frage der Demokratietreue geklärt ist?
Trump hat im Wahlkampf keine Gelegenheit ausgelassen, seine autoritären Neigungen darzustellen. Wer den politischen Gegner vernichten will, den „Feind im Innern“ für gefährlicher hält als den „Feind im Äußeren“, hat sich im Grunde selbst für ein politisches Amt wie das des Präsidenten disqualifiziert. Doch das Gegenteil ist eingetreten, wie wir am 5. November erfahren mussten. Amerikanerinnen und Amerikanern war es wichtiger, ob der von ihnen präferierte Kandidat die Inflation besser in den Griff bekommt als seine Gegnerin. All die warnenden Stimmen derjenigen, die mit Trump in dessen erster Amtszeit zusammengearbeitet hatten wie sein Stabschef, sein oberster General, sein Sicherheitsberater wurden nicht zur Kenntnis genommen, überhört oder verdrängt. Trumps Gefolgschaft von MAGA-Republikanern folgte ihm auf Gedeih und Verderb. Und viele andere schlossen sich ihnen an, von denen wir zumindest annehmen müssen, dass sie den Wert demokratischer Spielregeln und Institutionen nicht zu schätzen wussten.
„Als ich mich entscheiden musste zwischen der Verfassung und Donald Trump“, hat der einstige Vizepräsident Trumps, Mike Pence, gesagt, „habe ich mich für die Verfassung entschieden.“ 76,530,807 Millionen Amerikaner, eine deutliche Mehrheit, haben sich am 5. November anders entschieden. Demokratietreue war ihnen weniger wichtig als die Angst vor illegalen Einwanderern, die steigenden Benzinpreise, das persönliche Wohlergehen.
Das belegen die „Exit Polls“, die in der Regel als erstes herangezogen werden, um ein Wahlergebnis zu interpretieren. Schaut man die an, so stellt man fest, dass nur 25 Prozent der Wählerinnen und Wähler die Demokratie für gesichert halten, 73 Prozent für ungesichert. Wer das eine oder andere glaubte, wählte je zur Hälfte Harris oder Trump. Oder anders formuliert: Von den 73 Prozent, die die Demokratie in ihrem Land für bedroht halten, wählte die Hälfte Trump: 50 Prozent versus 48 Prozent für Harris.
Die Demokraten und alle, die sich mit ihnen verbündet hatten, also die wenigen Republikaner, die Trump ablehnten, kamen mit ihrer Botschaft, Trump sei eine Bedrohung für die Demokratie, nicht durch. Gut 73 Prozent der Wähler waren unzufrieden oder gar wütend darüber, wie die Dinge in den USA liefen. Die Unzufriedenen (42 Prozent) und die Wütenden (31 Prozent) wählten mehrheitlich Trump, die Wütenden sogar zu 73 Prozent.
Wenn man die Zahlen anschaut, wird deutlich: Menschen mit geringerer Schulbildung, mit geringerem Einkommen, Männer eher als Frauen, gerade auch bei den jüngeren, wählten mehrheitlich Trump, weil sie sich härter von der Inflation betroffen sahen, den Zustand der Ökonomie als schlecht empfanden und unzufrieden mit der Biden-Administration waren. Die Demokraten werden nicht mehr wahrgenommen als die Partei der kleinen Leute. Die sind zu den MAGA-Republikanern abgewandert, wo sie den harten Kern der Trump-Wähler, weiße evangelikale Christen und christliche Nationalisten verstärkten und Trump zum Erfolg verhalfen.
Demokratie ist ein Wert, den eine Mehrheit der Amerikaner teilt. Doch sie ist nur ein Wert neben anderen, und wenn man nachbohrt, dann fehlt ein klarer Begriff von Demokratie oder gar ein Konsens darüber, was Demokratie ausmacht. Christopher Beam hat das in der Zeitschrift „The Atlantic“ beschrieben. Sein Fazit: „In the collective mind of U.S. voters, the concept of democracy appears to be so muddled, and their commitment to it so conditional, that it makes you wonder what, if anything, they’d do anything to stop its erosion—or whether they’d even notice that happening.”
Trump steht über dem Gesetz
Wer sich wie ich als Politikwissenschaftler lange mit dem Thema Demokratie beschäftigt hat, weiß, dass es einen Aspekt unserer Demokratie gibt, der nicht leicht zu verstehen ist. Nämlich, dass es in Demokratie nicht nur um Wahlen geht, die wie unser Grundgesetz es sagt, frei, gleich und geheim erfolgen sollen. Sondern dass der Rechtsstaat, die „rule of law“, ein essenzieller Bestandteil einer liberalen Demokratie ist. Und im amerikanischen Rechtsstaat und gängigen Rechtsverständnis steht niemand über dem Gesetz. Niemand, auch nicht der Präsident.
Das dachte man bislang – bis zur Präsidentschaft Trumps. Trump wurde im Frühjahr 2024 von einem New Yorker Gericht durch eine Jury rechtskräftig für schuldig befunden. Doch das Urteil wurde kürzlich von dem zuständigen Richter vertagt, denn ein amtierender Präsident kann nicht, so ein Gutachten aus dem Justizministerium, strafrechtlich belangt werden. Dem hat sich auch Jack Smith gefügt, den Justizminister Merrick Garland als Sonderermittler eingesetzt hatte, um ausreichend Distanz zwischen seinem Ministerium und den Ermittlungen gegen Trump wegen dessen Rolle beim Sturm auf das Kapitol und der Lagerung von Geheimdokumenten an seinem Privatsitz in Mar el Largo in Florida zu schaffen. Trumps Anwälte setzten darauf, diese Verfahren durch Einlegung von Rechtsmitteln immer weiter zu verzögern, während Trump einen erneuten Anlauf auf das Weiße Haus unternahm. Die Strategie ging auf, auch weil der Supreme Court sich sehr viel Zeit ließ zu entscheiden, wie weit die Immunität des Präsidenten reicht. Die Entscheidung wurde schließlich am 1. Juli 2024 verkündet, als der Wahlkampf schon Fahrt aufgenommen hatte. Und er enthält eine bemerkenswerte Definition der Macht des Präsidenten.
Der Präsident ist der alleinige Vertreter der Exekutive und er soll sein Amt führen können ohne „undue caution“, also die Sorge, dass er später für sein Handeln vor Gericht belangt werden könnte, urteilte die konservative Mehrheit der Richter. Dies gelte für die in der Verfassung aufgeführten Kompetenzen wie das Begnadigungsrecht ohnehin, aber auch für einen breiten Kreis von Handlungen, für die Immunität unterstellt werden müsse, so die Richter, um seiner Rolle als tatkräftiger und entschiedener Präsident gerecht zu werden. „The Framers designed the Presidency to provide for a ‘vigorous’ and ‘energetic” Executive’,” heißt es in dem Urteil. “Appreciating the ‘unique risks’ that arise when the President’s energies are diverted by proceedings that might render him ‘unduly cautious in the discharge of his official duties,’ the Court has recognized Presidential immunities and privileges ‘rooted in the constitutional tradition of the separation of powers and supported by our history.’”
Für das von den Verfassungsvätern so sorgfältig entworfene System der „Checks and Balances“ heißt das, dass der Kongress die Macht des Präsidenten nur explizit durch Gesetze begrenzen kann und ihn bei einem Fehlverhalten nur durch ein Amtsenthebungsverfahren an der weiteren Ausübung seiner fast unumschränkten Macht hindern kann. Dieses Instrument hat sich im Zeitalter polarisierter Parteien jedoch als stumpf erwiesen, wie wir in der ersten Amtszeit Trumps gelernt haben. Damals, bei ersten Impeachment-Verfahren, beriefen sich republikanische Senatoren, die Trumps Verhalten missbilligten, darauf, dass das Urteil über die Amtsführung Trumps letztlich von den Wählerinnen und Wählern gefällt werden müsse. Doch als die im November 2020 entschieden, Trump keine zweite Amtszeit zu geben, begann der damit, den Wählerwillen systematisch zu untergraben.
Wir halten fest: Trump hat die Legitimität des Wahlsystems in den USA untergraben, weil er seine Wahlniederlage 2020 niemals eingestanden und seine Anhänger gegen diese Wahlentscheidung mobilisiert hat. Und er hat, auch mithilfe von ihm ernannter Richter, Entscheidungen der Justiz über seine Machenschaften vereitelt. Meine Schlussfolgerung: Er steht damit de facto über dem Gesetz. Das verheißt nichts Gutes über seine zweite Amtszeit, vor allem wenn sich Widerstand gegen die Umsetzung seiner Agenda zeigen sollte. Der wird von den Einzelstaaten, der Zivilgesellschaft und auch einzelnen Richtern kommen. Dass der Widerstand aus der Exekutive selbst kommt, von den Mitarbeitern in den verschiedenen Ministerien, wird Trump durch eine drastische Reform des Civil Service zu verhindern suchen. Ob es wie in der ersten Amtszeit einen Whistleblower gibt, der Trumps Verhalten der Öffentlichkeit preisgibt, darf bezweifelt werden. Damit ist auch die „Vierte Gewalt“, die Medien in ihrer Effektivität eingeschränkt. Ohnehin werden ins Trumps Umkreis schon Rachefeldzüge gegen einzelne Journalisten geschmiedet.
Bei einer Nachwahlbefragung durch die Journalistin Judy Woodruff, die eine Dokumentationsreihe „America at the Crossroads“ für das öffentliche Fernsehen PBS produzierte, äußerte eine Frau in Michigan unumwunden ihre Meinung: „Trump is a rotten human being.“ Meinungsfreiheit gehört zu den Grundfesten amerikanischer Demokratie. Doch was passiert, wenn diese mutige Bürgerin oder auch andere, die Trump laut kritisieren, von Extremisten bedroht würden?
Drohende Gewalt
Eine Zahl aus den Exit Polls sollte uns alarmieren: 70 Prozent der befragten Wähler waren besorgt, dass auf die Wahl Gewalt folgen würde. Nur 28 Prozent sahen das anders. Selbst der amtierende Präsident Joe Biden zeigte sich zuversichtlich, dass die Wahlen fair sein würden, war sich, was die Gewaltlosigkeit anbetrifft, aber nicht ganz so sicher, so der Forscher Robert A. Pape, der an der University of Chicago lehrt und dort seit 30 Jahren zu politischer Gewalt forscht. In einer Umfrage vom September 2024 habe man „disturbingly high levels of support for political violence” gefunden, und zwar auf beiden Seiten des politischen Spektrums. Acht Prozent der Befragten fanden, es sei gerechtfertigt, Gewalt einzusetzen, um Donald Trump daran zu hindern, Präsident zu werden. Sechs Prozent fanden, Gewalt sei angebracht, um Donald Trump wieder zum Präsidenten zu machen.
Die Befürchtung, die Wahl werde zu Gewalt führen, hat sich nicht bewahrheitet. Gewalt wurde nicht verhindert durch die Maßnahmen, die überall im Lande zum Schutz der Wahlhelfer ergriffen wurden. Das Wahlergebnis war zu eindeutig, um es in Zweifel zu ziehen. Donald Trump gewann die Mehrheit der Stimmen landesweit und alle Swing-States, wo noch vor vier Jahren um das Wahlergebnis gerungen wurde. Doch die Bereitschaft zur Gewalt ist weiterhin latent vorhanden.
Was passiert, wenn Trump seine Drohung wahrmacht, sich an seinen Feinden zu rächen? Sie hinter Schloss und Riegel zu bringen? Was passiert, wenn Trumps Helfer damit beginnen, undokumentierte Einwanderer zu deportieren, auch solche, die schon lange im Land leben, als Nachbarn, Kollegen, Freunde, Steuerzahler? Das Gewaltpotential der Trumpschen Politik ist real. Natürlich wird man Gerichte anrufen und politisch aktiv werden können, aber manchem wird das nicht reichen. Und Trump wird Gründe dafür finden, das Militär im Landesinnern einzusetzen, wenn einzelne Staaten oder Städte, sogenannte „sanctuary cities“, dabei nicht mitspielen. Denn für eine so weitreichende Maßnahme ist die Bundesregierung auf die Mitwirkung der Einzelstaaten oder Städte angewiesen.
Milizen wie die Proud Boys könnten die Behörden bei diesen Vorhaben unterstützen, so Amy Cooter, die am Center on Terrorism, Extremism, and Counterterrorism, Middlebury über die Rolle der Milizen forscht. Die verstehen sich oft als Gegner bundesstaatlicher Gewalt. “But militia members’ negative beliefs about immigration and self-declared mission to protect the country could lead them to join a national mass-deportation effort”, so die Wissenschaftlerin.
Sollte sich Protest und Widerstand im Lande regen, wird Trump dagegen hart vorgehen, daran hat er keinen Zweifel gelassen. Er wird solchen Widerstand als kommunistisch oder marxistisch diffamieren, um hartes Durchgreifen zu rechtfertigen. Scheitert er mit seinen politischen Vorhaben, wird der Druck auf die politischen Gegner nur umso größer werden. Nein, man muss nicht einen Bürgerkrieg voraussehen, aber mit Gewalt muss gerechnet werden.
Ein neues Zeitalter des Nationalismus
Trumps erneute Wahl zum Präsidenten der USA weckt Erinnerungen an die Zerstörung der ersten deutschen Demokratie, der Weimarer Republik, und die Machtergreifung Hitlers. Ja, es gibt Parallelen, aber natürlich auch Unterschiede. Und wer sich mit den USA, ihrer Verfassung, den vielen zivilgesellschaftlichen Organisationen, den Watchdogs, den Medien, den Universitäten beschäftigten, mag nicht glauben, dass es gelingen könnte, diese Gesellschaft in ihrer Vielfalt gleichzuschalten, so total und totalitär, wie das den Nationalsozialisten damals in Deutschland gelang.
Doch an einem kann man nicht mehr zweifeln. Wir erleben ein neues Zeitalter des Nationalismus, wo es in vielen Staaten, nicht nur Demokratien, darum geht, starke Männer an die Spitze des Staates zu wählen, die zuvörderst die nationalen Interessen ihres Landes im Auge haben und mit Härte gegenüber anderen vertreten. Trump ist Populist oder auch Rechtspopulist, weil es ihm gelingt, gegen die Eliten des Landes Stimmung zu machen und gegen sie Wahlen zugewinnen. Das empfinden viele seiner Landsleute als urdemokratisch. Doch er ist auch ein bekennender Nationalist. Sein Beispiel macht Schule. Nationalisten in anderen Ländern fühlen sich ermutigt und viele Wählerinnen und Wähler, auch gerade jüngere, halten es für plausibel, wenn ihre Regierung erst einmal nationale Interessen vertritt. „Der autoritäre Nationalismus erobert das Herz der westlichen Demokratie“, schreibt Thomas Assheuer treffend in der ZEIT. Während der Klimawandel mit all seinen Folgen mehr Kooperation seitens der Staaten erfordert, glauben manche, dass Solidarität auf die eigene Nation beschränkt bleiben sollte. Was immer das für den Rest der Welt bedeuten mag, Trump fordert die Ausweitung der Förderung fossiler Energien, ein Ausscheiden aus Klimabkommen, eine Schwächung der UNO, während er gleichzeitig das Land zu einer Festung ausbauen will, um Klimaflüchtlinge von seinen Grenzen fernzuhalten. Die Botschaft lautet: Was immer auf der Welt passiert, wir Amerikaner lassen uns unseren Wohlstand nicht nehmen. America first: Wir werden überleben.
Untermauert wird der Nationalismus in den USA durch den christlichen Glauben, wie die Forschung des Public Religion Research Institute (PRRI) in Washington gezeigt hat. Drei von zehn Amerikanern identifizieren sich als christliche Nationalisten, sei es Anhänger (10 Prozent) oder Sympathisanten (20 Prozent). Sie sind davon überzeugt, dass die Gesetze ihres Landes auf christlichen Werten basieren sollten und dass Gott sie auserwählt hat, in allen Bereichen der Gesellschaft zu dominieren. Christliche Nationalisten sind mehrheitlich der Meinung, das Land brauche einen Führer, der willens ist, Regeln zu brechen. Echte Patrioten müssten, wenn nötig, zu Gewalt greifen, um das Land zu retten.
Auch wenn die Grundlagen in anderen Ländern anders sein sollten, kann der Trumpsche Nationalismus doch Schule machen und Nachahmer finden. Auch in Deutschland. Doch wir sollten und nicht blenden lassen: Nationalisten sind keine friedfertigen Menschen. Eine Internationale der Nationalisten wird es nicht geben. Das haben uns die dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts gezeigt. Ihre Ideologie ist trügerisch, denn der Glaube, man müsse allein seine Grenzen schützen, Einwanderung regulieren, das Land verteidigen, nur so könne man sein eigenes Schicksal kontrollieren, ist eine Illusion. Mehr Gewalt im Innern und nach außen könnte die Folge sein.