Rund 2 Prozent Inflation – das war das geldpolitische Ziel, das die Europäische Zentralbank (EZB) einst verkündete. Inzwischen beträgt die Preissteigerungsrate etwa 8 Prozent und droht noch weiter zu steigen. Auch die EZB musste eine Zeitenwende erleben: Die ökonomische Entwicklung hat sich binnen kurzer Zeit völlig verändert. Die europäischen Volkswirtschaften hatten noch zu Beginn des Jahres 2022 nach der langen Pandemie-Phase mit einer kräftigen ökonomischen Erholung gerechnet.
Viele negative Einflüsse
Doch inzwischen werden fast überall die erwarteten Wachstumsraten nach unten revidiert. Die globalen Bedingungen wirken sich negativ aus: Viele wichtige Lieferketten sind unterbrochen, die industrielle Produktion musste heruntergefahren werden. China kämpfte mit teilweise völligen Lock down-Strategien gegen die Covid-Pandemie und fiel als Motor für die Weltwirtschaft weitgehend aus. Schiffe mit Ladungen wichtiger Waren lagen vor oder in den Häfen fest. Schließlich überfiel Russland am 24. Februar die Ukraine mit totaler Brutalität. Die Sanktionspakete der EU sollte nPutin in die Knie zwingen und seine Kriegsführung finanziell ausbluten. Die Einschränkung vor allem der Energielieferungen aus Russland führte zu einer Explosion der Gas- und Ölpreise. Hinzu sind wesentlich höhere Preise für Holz, Metalle und insbesondere auch Nahrungsmittel gekommen. Weltweit droht eine Verknappung von Getreide, denn die Lieferungen aus Europas Kornkammer – aus der Ukraine und Russland – sind schier durch den Krieg logistisch weitgehend unmöglich geworden. Ebenso werden viele Vorprodukte und Zulieferungen wie etwa Kabelbäume aus der Ukraine ausbleiben; das hat gar zu Kurzarbeit in der Autoindustrie und anderen Branchen geführt.
EZB unter Druck
Die EZB ist mehr und mehr unter Druck geraten. Die US-Notenbank Fed hatte bereits vor einiger Zeit auf die geldpolitische Bremse getreten und die Zinsen erhöht. Großbritannien, die Schweiz und einige andere Länder folgten der Fed. Nun wird die EZB im Juli den Leitzins zaghaft um 0,25 Prozent erhöhen. Das ist ein Trippelschritt, der wohl kaum die hohe Inflation in der europäischen Währungszone, vor allem auch nicht in Deutschland deutlich ausbremsen wird. Wirksamer wird indessen sein, dass die EZB das so expansive Programm beim Ankauf von Anleihen beenden wird. Damit konnten viele Länder ihre Haushalte in den letzten Jahren einfach und zinsgünstig finanzieren.
Bittere Folgen höherer Zinsen
Mit dem Anziehen der Zinsschraube werden die Euro-Staaten wieder höhere Milliarden-Beträge für ihre Schuldzinsen zahlen müssen; das gilt auch für Deutschland. Das gilt jedoch vor allem für Länder wie Spanien, Italien, Portugal und Griechenland, deren Staatsverschuldung mehr oder weniger deutlich über 100 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts liegt. Fiskalpolitisch müssen die Euro-Staaten auf die Bremse treten, was gewiss für das Wirtschaftswachstum nicht förderlich sein wird. Noch dreht sich die Preis-Lohn-Spirale in Deutschland relativ langsam. Doch die Gewerkschaften geraten unter den Druck ihrer Mitglieder, die mehr und mehr über die sinkende Kaufkraft ihrer Löhne und Gehälter klagen, die vielfach mit ihren Einkommen angesichts der hohen Kosten für Benzin, die Heizung und Lebensmittel kaum noch über die Runden kommen. Die von der deutschen Bundesregierung beschlossenen Maßnahmen mit Spritrabatt, 9-Euro-Fahrschein usw. sind da nur ein Tropfen auf den heißen Stein und übergehen auch noch einige einkommensschwächere Gruppen wie zum Beispiel die Rentner. Die Tarifpartner stehen somit vor der schwierigsten Herausforderung seit langem – vor allem dann, wenn sie von der Politik nicht sehr schnell entlastet werden.
Gegen die Explosion der Kosten für Energie, Rohstoffe und Materialien ist die EZB hilflos, gegen die Preis-Lohn-Spirale kann sie auch kaum etwas machen, für die nationalen Staatshaushalte sind die einzelnen Regierungen im Euro-Land verantwortlich. So sind die Gefahren sehr groß, dass allzu forsche und starke geldpolitische Bremsmanöver in eine Phase der Stagflation mit bösen Folgen führen.