Verseuchtes Trinkwasser! Kranke Kinder! Nein, es ist diesmal nicht von China oder korrupten Wasserlieferanten in Afrika die Rede, sondern von der Stadt Flint in den USA. Mit Entsetzen schaut die Welt in die USA und reibt sich die Augen. Während überall versucht wird, mit Aufbereitungsverfahren einwandfreies Trinkwasser zu liefern, hat der falsch verstandene Sparzwang zu massiven Erkrankungen der Menschen in der mit 100.000 Einwohnern viertgrößten Stadt im Staat Michigan geführt. Der Fall hat sogar schon einen eigenen Eintrag bei Wikipedia erhalten.
Das selbstverschuldete Drama begann vor knapp zwei Jahren als Sparmaßnahme der chronisch finanzschwachen und vorm Bankrott stehenden einstigen Autostadt Flint. Statt das Trinkwasser weiterhin aus dem benachbarten Detroit zu beziehen, wurde das Wasser ab Frühjahr 2014 aus dem Flint River entnommen. Etwa die Hälfte der Leitungen ist aus Blei, das nach und nach ins Wasser gelangte. Später wurde Medienberichten zufolge bekannt, dass aggressives Wasser hätte speziell aufbereitet werden müssen – was aber unterlassen wurde. Stattdessen versicherten städtische und staatliche Stellen der zunehmend besorgten Öffentlichkeit immer wieder, ihr Wasser sei sicher. Der – inzwischen abgewählte – Bürgermeister Daune Wallung trank sogar vor laufenden Fernsehkameras demonstrativ aus einem Glas. Als Wissenschafter an der Universität Virginia Tech im vergangenen August das Wasser in 271 Häusern testeten, trauten sie ihren Augen nicht. In manchen Fällen, berichtete die „Washington Post“, war der Bleigehalt so hoch, dass das Wasser nach EPA-Standards in die Kategorie „Giftmüll“ fiel.
Sparzwang einer bankrotten Kommune
Falsch verstandener Sparwahn hat zu der Katastrophe geführt. Die Stadtoberen hatten ausgerechnet, dass der Wasserbezug von Detroit aufgrund steigender Preise in 2015 mit 16 Millionen US-Dollar zu veranschlagen gewesen wäre, die jährlichen Kosten für den Bezug der neu gegründeten Karegnondi Water Authority, die das Wasser des Flint-Flusses liefert, nur 12,5 Millionen. Diese Rechnung dürfte jetzt nicht aufgehen, denn aufgrund der starken Belastung des Wassers müssen jetzt voraussichtlich Leitungsnetze im großen Umfang ausgewechselt werden. Dabei sind die in Folge der Verteilung von Flaschenwasser entstandenen Kosten vermutlich die bekannten „Peanuts“.
Wie die Zürcher Zeitung schreibt, haben schon 8.000 Kinder Bleivergiftungen erlitten. Zwar lagen schon im Sommer 2014 Indizien einer Versuchung des Wasser vor, das Umweltschutzamt Michigans soll den den Ergebnissen aber nicht nachgegangen sein. Offenbar wußte auch die im VW-Skandal so aktive Bundes-Umweltbehörde EPA in Washington seit langem von der Verseuchung, betrachtete sich aber als nicht zuständig. Wie die Stadt in ihrem „2014 Annual Water Quality Report“ berichtet, war die Entnahme von Wasser aus dem Fluss Flint für Trinkwasserzwecke als vorübergehende Maßnahme geplant gewesen: „The use of the Flint River as a source water for the City of Flint Water Treatment Plant was a temporary move, driven largely by economics and the financial state of the City.“ Dabei hätte man schon 2014 wach werden müssen, als das Online-Magazin Michigan LIVE berichtete, dass der Automobilhersteller General Motors wegen der korrosiven Wasserqualität den Bezug einstellt. Die Süddeutsche schreibt: „Die Bürger hatten geahnt, dass der als fließende Müllhalde zweckentfremdete Flint River kein sauberes Wasser liefern kann. Sie haben die stinkende Brühe gesehen, die aus dem Wasserhahn kam, doch als sie nachfragten, wurden ihnen Lügen erzählt. Eine „Wasserkrise“ nennen es die amerikanischen Medien, doch es ist eine Katastrophe. Für die 100.000 Bewohner von Flint, aber auch für das Vertrauen in sämtliche Institutionen.
Jetzt wird auch die Politik wach – es ist Wahlkampf
Jetzt ist die Lage so dramatisch, dass Präsident Barack Obama für die Region den Notstand ausgerufen hat. Tausende Eltern bangen um die Gesundheit ihrer Kinder. Bürger ziehen vor Gericht, die Umweltbehörde EPA und Michigans Justizminister ermitteln, ob Vorschriften verletzt wurden. Wie sich herausstellte, war Eisen daran schuld: Das Wasser hatte die Rohrleitungen angegriffen. Die politische Dimension dieses Ereignisses wird auch durch das zwischenzeitliche Einschalten der demokratischen Präsidentschaftsbewerberin Hillary Clinton deutlich. Der unter Beschuss stehende Gouverneur des Staates Michigan, der Republikaner Rick Snyder, hat Anfang dieser Woche eine „Transparenzoffensive“ gestartet und seine gesamte Korrespondenz zu diesem Fall ins Internet gestellt klick hier!. Ob das seinen Kopf retten kann, wird sich erst noch zeigen müssen, denn schliesslich steht der Wahlkampf vor der Haustür und der scheint das Thema „Wasser in Flint“ erkannt zu haben.
„Wir haben in den 25 Jahren unserer Arbeit niemals solche hohen Bleiwerte gesehen“, sagte Mediziner Marc Edwards nach einem Bericht des österreichischem „Der Standard“. Erst im vergangenen Herbst, so beklagen die Bürger, räumten die zuständigen Stellen schließlich ein, dass es ein Problem gibt. Seitdem hilft die Nationalgarde, Wasser an die Einwohner auszuteilen. Zwar wurde Flint im Oktober wieder an das Detroiter Versorgungssystem gekoppelt, aber da die Leitungen bereits angegriffen sind, fließt weiter bleihaltiges Wasser aus ihnen, das nach Einstufung von Experten nur zum Waschen, aber nicht zum Trinken geeignet ist. Jetzt wird überall saniert und repariert: an den Leitungen, an der Gesundheit der Betroffenen und an der Glaubwürdigkeit der Politik und der Überwachungsbehörden. Während sich die Leitungen austauschen lassen, die Menschen hoffentlich genesen werden, dürfte die Glaubwürdigkeit zerstört sein und den Verantwortlichen mindestens den Job kosten. Das Vertrauen in die Qualität des Wassers dürfte aber nicht nur in Flint massiven Schaden genommen haben. Dort wird vermutlich niemand mehr entspannt zum Wasserhahn greifen, um Leistungswasser zu trinken.
Was sind die Lehren?
Diese Entwicklung lehrt Politiker und Konsumenten, dass falsch verstandener Sparzwang und politisch motivierte Kostenphobie bei Trinkwasser katastrophale Folgen haben können. Trinkwasser ist ein elementarer Baustein für die Gesundheit der Menschen. Die Aufbereitung von Oberflächenwasser für den menschlichen Genuss ist nicht zum Schnäppchenpreis zu haben. Wenn „Geiz ist geil“ irgendwo völlig unangebracht ist, dann bei Trinkwasser.
Wasserkrisen können politische Karrieren beenden. Das haben auch schon einige Kommunalpolitiker in Deutschland lernen müssen. Wasser bewegt die Menschen. Right2Water hat über 1,6 Millionen Unterschriften bewegt. Berlin ist rekommunalisiert worden. Immer standen auch die Wasserpreise im Fokus. Wer dabei experimentiert, könnte schnell die Quittung bekommen.
Wenn Kosten reduziert werden sollen, dann wäre es Aufgabe der Politik, der Verunreinigung von Gewässern Einhalt zu gebieten. Das gilt nicht nur für die USA, sondern auch für Deutschland. Auch hierzulande haben wir Kommunen, die vor dem Finanzkollaps stehen, auch hier haben wir eine Kosten- und Preisdiskussion, wenn auch nicht – und das gilt es ausdrücklich zu betonen – nicht mit diesen Folgen. Aber, stopp, bevor wir uns entspannt zurücklehnen: Nitrate, Arzneimittel, Röntgenkontrastmittel, Mikropartikel, TOSU, PFT …. Also, kann hier nicht passieren? Und: hatten das die USA-Amerikaner nicht bisher auch angenommen?
Der Originalbeitrag wurde auf www.lebensraumwasser.de publiziert.