Seit den Mordanschlägen von Paris tobt im Netz eine Diskussion über das Trauern. Das mutet absurd an, denn Trauer ist ein zutiefst emotionaler, innerlicher Vorgang, der sich jeder Beurteilung oder gar einer Verurteilung entzieht. Da gibt es kein Richtig oder Falsch. Trauer ist ein Gefühl, das durch Trauer überwunden sein will. Jeder trauert auf seine Weise.
Gleichwohl gibt das kollektive Trauern in Zeiten des Terrors Einblicke in die Gemütslage der Gesellschaft. Statt wortreicher Beileidsbekundungen verbreiten die Nutzer von Facebook schlichte Gesten und Symbole. Das Friedenszeichen mit dem Eiffelturm im Zentrum, die Slogans „Nous sommes unis“ und „Pray for Paris“, vor allem aber die über das Profilbild gestülpte Tricolore vervielfachen sich in Windeseile, signalisieren Anteilnahme, bekunden Solidarität und stiften zugleich ein Gefühl von Gemeinschaft.
Errungenschaften der Aufklärung
Auch in der realen Welt tauchen Gebäude in das Blau-Weiß-Rot der französischen Nationalfahne, etwa das Brandenburger Tor in Berlin und der U-Turm in Dortmund, die Marseillaise erklingt in der New Yorker Metropolitan Opera wie im Londoner Wembley-Stadion. Wenn wir darin eine Botschaft erkennen wollen, dann ist es über jedes nationale Pathos hinaus die von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, die von den Errungenschaften der Aufklärung, von den universellen und unteilbaren Menschenrechten.
Doch dieses Bekenntnis aus den Gesten herauszulesen, hieße wohl, den Gehalt von Beileidsbekundungen überzubewerten. Vielmehr entstehen um das öffentliche Trauern im Netz neue Rituale, die Form geben, Ängsten begegnen, einen Mausklick als Handlungsoption gegen Ohnmacht und Verunsicherung setzen. Auch das findet seine Entsprechung im Realen. Der im Nationalsozialismus als Heldengedenktag begangene Volkstrauertag zeigt bis heute die Schwierigkeiten des öffentlichen Trauerns. Er gilt nicht mehr nur den Gefallenen, sondern allen Opfern von Krieg und Gewalt. Wohl keine Gedenkfeier kam in diesem Jahr an den verbrecherischen Morden von Paris vorbei. Doch bleibt die Mahnung ungehört. Auch hier sind ritualisierte Trauerworte nicht Ausdruck politischer Haltungen.
„Wir weinen mit Ihnen“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel den französischen Nachbarn unmittelbar nach den blutigen Anschlägen zu. Doch ebenso schnell kamen Giftpfeile aus ihrer bayerischen Schwesterpartei, die in der Stunde von tiefer Trauer und Verunsicherung ihre flüchtlingsfeindliche Politik propagierte und Ängste schürte. Und ebenso schnell verfielen auch Politiker in Deutschland, gar Bundespräsident Joachim Gauck, in eine Kriegsrhetorik, die den Blick auf die Bedrohungslage verstellt und letztlich den Terroristen in die Hände spielt. Ihr Ziel ist es, Angst und Schrecken zu verbreiten, Staaten zu Überreaktionen zu provozieren, die Freiheit der Sicherheit zu opfern.
Comments 1