Die Türkei befindet sich in einer prekären Situation: Brände, Überschwemmungen, die Wirtschaft lahmt. Und nun strömen wieder massenhaft Flüchtende ins Land. Nicht, dass der Migrationsstrom seit dem EU-Türkei-Abkommen (2016) je zum Erliegen gekommen wäre. Doch die Nachrichten waren in Deutschland meist spärlich gesät – weggefiltert, von der Pandemie überlagert, unter dem west-östlichen Diwan verschwunden.
Neuer Strom afghanischer Flüchtlinge ?
Jetzt droht eine weitere Welle. Die radikal-islamischen Taliban haben in Afghanistan die Macht übernommen; Menschenmengen am Flughafen in Kabul, Todesangst geht um. Das ist es, was wir in Deutschland mitbekommen. Die Lage in der Türkei wird immer ernster: Denn zusätzlich zu den rund 3,5 Mio. Geflüchteten aus Syrien befinden sich längst fast doppelt so viele inoffizielle Asylsuchende in dem geopolitisch so wichtigen Land – aus dem Iran, dem Irak und aus anderen Krisenregionen. Die südöstlichen Grenzgebiete waren schon annähernd zu 50 Prozent überfremdet, bevor sich die Lage in Afghanistan rund um den Abzug der internationalen Truppen so unselig zugespitzt hat. Die Konsequenz: Seit Wochen werden vorwiegend junge afghanische Männer von Schleusern in türkische Großstädte gebracht und dort sich selbst überlassen. Oder sie stranden halb verhungert knapp hinter der Grenze, verstecken sich, wissen nicht wohin und wie weiter.
Migrationskrise am Bosporus
Fakt ist: In der Türkei eskaliert die Migrationskrise. Daran schuld sind die NATO und die EU mit ihrer Ignoranz. Doch der Ball wird weitergegeben. Denn die Geflüchteten aus Afghanistan haben das Ziel, in die Länder der Europäischen Union zu gelangen. 2300 km lang war schon der Weg über den Iran in die Türkei. Aussicht auf Asyl haben sie dort nicht; vielmehr erwartet sie ein Leben in der Illegalität. Die Chance, sich legal in der Türkei aufzuhalten, ist gering. Afghanen haben kein Anrecht auf Asyl, denn anders als Syrer sind sie nicht Teil des Flüchtlingsabkommens mit der EU.
Bei allem Verständnis: Viele westeuropäisch orientierte Türken fühlen sich in ihrer Lebensweise bedroht. Sie fürchten, dass die Islamisierung noch stärker an Fahrt aufnimmt. Der ohnehin instabile soziale Frieden gerät noch mehr ins Wanken – ein Gradmesser sind u.a. die Sozialen Netzwerke, in denen sich unversöhnliche Fronten bilden.
Im Westen des Landes sind die öffentlichen Plätze bereits voll mit jungen Männern aus den Krisengebieten. Deren Sprache und Umgangsformen passen nicht in die westlich geprägte türkische Gesellschaft. Oft schaut die Polizei weg, weil sie sich nicht in Bandenkriegen zwischen den Menschen aus Syrien, Afghanistan und Afrika aufreiben will. Insbesondere Mädchen und Frauen fühlen sich gestört, während Taliban-Anhänger gerade den Siegeszug feiern. Im Zentrum von Istanbul verteilen sie verharmlosende Süßigkeiten, während freigeistige Frauen und Männer in Kabul um ihr Leben fürchten.
Gegen Überforderung der Türkei
Wer sich in der Türkei kritisch über die Flüchtlingsströme äußert, muss sich rechtfertigen, dass dafür keine rassistischen oder nationalistischen Beweggründe vorliegen. In Wirklichkeit sind es tagtägliche Erlebnisse, die Ängste hervorrufen und Meinungen bilden. Die Argumente der EU-freundlichen Bevölkerung werden deshalb in ein falsches Licht gerückt. Darüber sollte auch in Deutschland nachgedacht werden. Denn in Krisensituationen war und ist es überall auf der Welt dieselbe Vorgehensweise von Schuldzuweisungen und verhärteten Positionen. Gegenseitiges Verständnis wäre wichtig und auch eigene Fehlentscheidungen eingestehen. Dies zwischenmenschlich wie auch auf politischer Ebene: Die Türkei kann mit diesem neuerlichen Migrationsdruck nicht weiter alleingelassen werden. Sie wird ihn weitergeben – vor allem an Deutschland, denn dort wollen die meisten Geflüchteten hin. Es ist höchste Zeit, dass die EU-Kommission und auch die deutsche Bundesregierung mit der Türkei verhandeln und eine Lösung für das neue Flüchtlingsproblem finden, damit es nicht zu einem nicht mehr beherrschbaren Drama wird.
Bildquelle: Flüchtlingslager Türkei, Screenshot Youtube