Im Leben des Autors hat Technologie-Politik eine dominante Rolle gespielt, insbesondere die Energietechnologien mit all ihren Wurzeln in der Materialforschung, der Informationstechnik und natürlich der Physik. Insofern trifft ein Plädoyer für Technologie-Offenheit auf ein offenes Ohr und ein aufmerksames Hirn.
Absolut positiv wird dabei die Offenheit gegenüber Forschungsfragen gesehen. Aber auch da gibt es Grenzen, die bei zu hohen Kosten liegen – „zu hoch“ ist dabei im Vergleich zu alternativen Verwendungen der finanziellen Ressourcen zu beurteilen.
Eher unseriös erscheint ein Plädoyer für Offenheit bei erkennbar dauerhaft subventionsbedürftigen Technologien, doppelt unseriös, wenn das Plädoyer von Personen und Gruppen kommt, die an anderer Stelle Hüter des Subventionsabbaus sein wollen. Reden sie von Technologieoffenheit, weil sie die Fakten nicht kennen oder wollen sie diese Fakten nicht kennen, weil sie sich in der Nähe der 5%-Hürde Stimmen von ähnlich uninformierten Bürgern erhoffen?
Das Syndrom ist umso merkwürdiger, als nicht nur die kompetenten Wissenschaftler, sondern auch die im Markt tätigen Unternehmer abraten, Technologien wie Kernenergie oder e-fuels für PKWs als Problemlöser anzuerkennen.
Als der Autor vor Jahrzehnten Physik studierte, war er natürlich fasziniert von der Welt der Atome, wie man sie zu nützlicher Chemie zusammenführen und sogar zur Energieerzeugung spalten kann. Als er später im Bundeskanzleramt und im Forschungsministerium die Kernenergiepolitik der SPD richtig fand und sogar mit dem Bürgerdialog Kernenergie einen wesentlichen Beitrag zur Verteidigung dieser Technologie und der Politik von Helmut Schmidt leisten durfte, waren die ersten kommerziellen Kernkraftwerke (KKW) in Deutschland rentabel und sicher – „sicher“ in dem Sinne, dass nicht nur nichts Furchtbares passiert ist, sondern die technische Zuverlässigkeit dieser Reaktoren regelmäßig an der Spitze aller weltweit betriebenen KKWs lagen.
Gleichwohl zeigte gerade die „Bürgerdialog“ genannte Kampagne mit ihren zahllosen Dialogveranstaltungen, dass die Bevölkerung eher denen glaubte, die große Gefahren befürchteten, als denen, die von ausreichender Sicherheit sprachen. Eine besondere Rolle spielte dabei die Frage, wo und wie der sehr langlebige radioaktive Müll gelagert werden sollte. Es zeigte sich, dass das demokratische Deutschland keine Bereitschaft zeigte, diesen Sorgen eine klare technisch-praktische Lösung entgegenzusetzen. Der Autor ist seitdem und für die nächsten Jahrzehnte überzeugt, dass es in Deutschland trotz gut gemeinter Kommissionen und ernstem Bemühen keinen Endlagerungs-Standort mit ausreichender öffentlicher und politischer Akzeptanz geben wird.
Der nukleare Müll ist in Deutschland eine Ewigkeitssorge, die nicht einmal eine bei 5% zitternde Partei ignorieren darf.
Es kommt hinzu, dass die hohen Investitionen jenseits der ebenfalls großen Forschungskosten in keinem demokratischen Staat sinnvoll sind, in dem jede Wahl mit Oppositionssieg ihre sofortige Abschreibung bedeuten könnte; das ist ja auch der Grund, warum die deutsche Energiewirtschaft stabile Klarheit beim Kernenergie-Aus fordert.
Apropos Kosten: Wer immer noch davon träumt, Kernkraftwerke seien billig und wirtschaftlich, der sollte sich Neubau-Projekte wie Flamanville in Frankreich (seit 17 Jahren im Bau!) und Hinkley Point C in England (2017 begonnen) anschauen, dem die britische Regierung höhere Stromkosten garantieren musste als Windparkbetreibern; Wikipedia ist eine einfache Wissensquelle! Im Moment sieht es so aus, als seien neue KKWs in Europa wirtschaftlich unvernünftig; die meisten Neubauten oder Planungen werden von russischen und chinesischen Firmen in ihren eigenen und technologisch weniger entwickelten Ländern betrieben. Das beunruhigt!
Zu der Vorstellung, die Kernfusion werde eine Lösung sein, kann man nur sagen: Das steht noch in den Sternen! – sowohl als kommerziell reife Technik wie auch als wirtschaftliche Stromquelle, ist also kein Vektor praktischer Energiepolitik. Dass sich Deutschland kräftig an der internationalen Forschungsstrategie beteiligt, ist vernünftig; vielleicht gibt es gegen Ende dieses Jahrhunderts tatsächlich Fusionskraftwerke in energiewirtschaftlich relevanter Zahl.
Das 2. Lieblingsthema der Klagen über ideologisch blockierte Technologieoffenheit ist der Verbrenner-PKW. Dabei scheint es nicht der Weisheit letzter Schluss zu sein, den Verbrenner-PKW zu einem bestimmten Datum zu verbieten; es müsste reichen, den elektrischen Strom bei der Produktion klimaneutraler Flüssig-Kraftstoffe („e-fuels“) keinesfalls stärker zu subventionieren als den Ladestrom für Batteriefahrzeuge. Dann würden in klimaneutralen Märkten ganz von selbst keine Verbrenner-PKW mehr gekauft werden und die existierenden Fahrzeuge würden nach und nach ausgemustert oder in ausländische Märkte ohne vergleichbaren Klimaehrgeiz verkauft. Da andererseits solare Flüssig-Kraftstoffe sicher für Flugzeuge, Schiffe und sehr schwere Fahrzeug für klimaneutralen Betrieb erforderlich sein werden, wird man ja lernen, zu welchen Kosten und Preisen dies möglich wird – Hauptsache, die Nutzer dieser Transportmittel müssen den echten Preis ihres Kraftstoffs bezahlen. Eine insofern offenere Haltung gegenüber E-Fuels wäre also angebracht, zumal niemand davon ausgehen sollte, dass die Welt mehrheitlich so ehrgeizig ist oder sein wird, wie es sich die Vereinten Nationen, das IPCC, die Grünen der Welt und auch der Autor wünschen.
Der verbale Ehrgeiz Deutschlands und der EU wird der Bevölkerung ohnehin noch schwer auf die Füße fallen – nicht weil es falsch wäre, möglichst rasch globale Klimaneutralität zu erreichen, sondern weil es mit realen Menschen nicht realistisch ist, dies Ziel in den nächsten 4 Jahrzehnten zu erreichen. Deutschland und die EU sollten ihren Ehrgeiz in Anpassung an die erkennbaren Akzeptanzprobleme bei der eigenen Bevölkerung soweit reduzieren, dass sie die relevanten Emissionswerte schneller als andere senken, aber eben nicht so schnell, dass sie sich selbst aus den Märkten nehmen und populistische bis faschistische parlamentarische Mehrheiten riskieren, die dann gar nichts tun, was irgendwie nach ökologischer Zumutung riecht.
Spätestens Gelbwesten- und Bauerndemonstrationen haben stellvertretend für den Großteil der europäischen Bevölkerung klar gemacht, wie wenige Menschen für Klimaschutz und Nachhaltigkeit spürbare Einkommens-, bzw Kaufkraftverluste hinnehmen möchten – jedenfalls, wenn diese auf transparente Weise von der Politik gewollt und durchgesetzt werden. Dabei scheint das Wörtchen „transparent“ von besonderer Bedeutung, denn das erfolgreiche europäische Emissionshandelssystem ETS ist relativ protestarm über die Bühne gegangen – wahrscheinlich weil es langsam wirkte und es die Bürger beruhigte, dass es ja „nur“ die Kraftwerke und Großanlagen der Industrie betraf, wenn es überhaupt in der Breite verstanden worden ist.
Da es allerdings eine wichtige Tugend freiheitlicher Gesellschaften ist, alles sehr transparent zu machen und friedlichem Widerstand große Verzögerungs- und Verhinderungsrechte einzuräumen, tun sich solche Gesellschaften sehr schwer, Opfer für eine wichtige, im Falle Nachhaltigkeit sogar notwendige Sache zu bringen Es ist dabei kein Trost, dass autoritäre Systeme so etwas erst gar nicht versuchen. Man frage sich, ob man ein einziges undemokratisches System kennt, dass in Sachen Klimaschutz und Nachhaltigkeit mehr geleistet hat als die EU.
Das aber gefällt jener technologieoffenen 5%-Partei auch nicht; warum plakatiert sie wohl im beginnenden Europawahlkampf „Freiheit statt Richtlinien“, wo doch „Richtlinien“ aus Brüssel bisher die erfolgreichsten Instrumente globaler Klimapolitik waren und bleiben müssen, z.B. das oben gerühmte ETS.
Aber auch deutlich über 5% liegende Parteien sollten über die Bedeutung von Technologieoffenheit nachdenken. Es ist in der ökologischen Stress-Situation unserer Pflanzenwelt sicher falsch, die Beschleunigung von Züchtungsverfahren durch Gentechnik verbieten zu wollen. Und es ist auch nicht Teufelswerk, CO2 in tiefe Aquifere zu pressen, wenn die geologische Stabilität dieser Lager genügend gesichert ist. Man muss doch herausfinden, ob das zuverlässig genug geht und ob das eine wirtschaftlich vernünftige Ergänzung der Hauptstrategien mit erneuerbaren Energiequellen und sparsamem Energieeinsatz sein könnte.
Zusammenfassend ist festzustellen, Technologieoffenheit ist ein positiver Begriff, der zurzeit politisch missbraucht wird, um den Rufern Aufmerksamkeit und Unterscheidbarkeit zu sichern.
Schade!
Auch dieser Autor scheint von einer Verwendungskonkurrenz von E-Fuels und E-Autos um hier erzeugten Strom auszugehen.
Das ist schlicht falsch. So gut wie niemand plant, in Europa in großindustriellem Maßstab E-Fuels herzustellen. Die E-Fuels-Produktionsanlagen sollen in anderen Kontinenten errichtet werden – so weit von uns entfernt, dass der dort erzeugte elektrische Strom unmöglich per Leitung zu uns gelangen kann.
Windräder und PV-Anlagen haben in Deutschland nur eine geringe Ausbeute. Technisch gleiche Anlagen produzieren an günstigeren Standorten die mehrfache Leistung. Die berühmt-berüchtigten großen Wirkungsgradunterschiede gibt es stets nur zwischen Teilsystemen. Aussagen über die Effizienz des Gesamtsystems lassen sich daraus nicht ableiten. Bezieht man alle Bereitstellungsverluste ein, also auch die Stromerzeugung, gehen die Effizienzvorteile des E-Autos wieder verloren. Die mehrfach höhere Ausbeute der Energiewandler an günstigeren Standorten die Verluste der nachfolgenden Umwandlungsschritte bei der Herstellung der E-Fuels nahezu oder sogar vollständig kompensiert.
Hinzu kommt:
* Außerhalb Europas werden noch jahrzehntelang Verbrenner gebaut werden. Wie will man diese Autos ohne E-Fuels defossilisieren?
* Für Schiffe, Flugzeuge und Schwerlastfahrzeuge wird man auf jeden Fall E-Fuels brauchen. Dabei entstehen die Autokraftstoffe als Nebenprodukte. Erst der große Markt für den Autoverkehr wird die gewaltigen Investitionen lohnend erscheinen lassen. Das ist eine zwingende Voraussetzung für sinkende Preise.
* Selbst die optimistischsten Klimawendeszenarien nehmen an, dass Länder wie Deutschland sich im Jahre 2050 nicht autark mit EE versorgen können, sondern 30 bis 70 % der Energie importieren müssen. Für den interkontinentalen Energiemarkt gibt es gar keinen anderen Vektor als E-Fuels!
Weitere Anmerkungen:
Die durchschnittliche Bauzeit von Kernkraftwerken beträgt 7,5 Jahre. Fünf Jahre wäre kein Problem, wenn man die Reaktoren in technisch höher entwickelten Ländern wie Südkorea bestellen würde.