Olaf Scholz, der amtierende Stoiker im Bundeskanzleramt, kann in die bevorstehenden Verhandlungen über den Haushalt 2024 in dem Bewusstsein gehen, dass jedenfalls seine Partei ihn in diesem Existenzkampf der Ampel nicht im Stich lassen wird. Zwar gibt es in der SPD eine erkennbar wachsende Gruppe von Kritikern und Enttäuschten, vor allem unter den Jusos, aber längst nicht nur dort, die jene von „Olaf“ verbreitete Zuversicht nicht teilen, dass die Koalition sowohl die aktuelle Hürde nimmt als auch alle anderen Probleme löst, die da warten: Migration, Klima, Transformation. Scholz hat, nach diesem Parteitag, die große Mehrheit der SPD hinter sich und ebenso den harten Kern einer Wählerschaft, die sich traditionell hinter der Kanzler-Partei versammelt, aber eben auch ziemlich geschrumpft ist in den vergangenen Jahren.
Gewiss ist die Aufgabe, vor der SPD, Grüne und FDP gerade stehen, nicht unlösbar, da hat Olaf Scholz ja recht. Aber in ihrer gegenwärtigen Verfassung erscheint die Ampel insgesamt, sind besonders die sie tragenden Parteien nicht eben in einem Zustand ausreichender Kompromissfähigkeit. Zwar haben der Kanzler und seine Genossen auf ihrem Kongress keine roten Linien für die Gespräche mit Grünen und FDP markiert, aber doch deutlich gemacht, wo für sie wenig bis gar nichts geht – bei den Sozialausgaben. Das wird bei den Freidemokraten als Mangel an Bereitschaft interpretiert werden, Kürzungen über die gesamte Breite des Staatsetats vorzunehmen, und die ohnehin limitierte Offenheit der Liberalen reduzieren, Abstriche an der Schuldenbremse zu machen oder über Erhöhungen bei Vermögens- und Erbschaftssteuer auch nur nachzudenken.
Finanzminister Christian Lindner steht dabei in den eigenen Reihen unter massivem Druck, und tatsächlich erweist sich der FDP-Boss mit seiner schon fast manischen Weigerung, staatliche Investitionen in die Zukunft mit dem Hinweis auf die Finanzverfassung der Bundesrepublik wenigstens in begrenztem Umfang zu billigen. Lindners Kurs deutet darauf hin, dass er sich als Gralshüter eines von exekutiven Fesseln freien Marktes und einer strikten Disziplin bei Staatskrediten gerieren will und notfalls als ordoliberaler Märtyrer in die politische Geschichte einzugehen gedenkt. Es gibt Indizien, so sehen es zumindest führende Repräsentanten von SPD und Grünen, für einen zunehmenden Trend bei Lindner und seinen Getreuen an der FDP-Spitze, das schwierige Bündnis mit Rot-Grün vorzeitig zu verlassen oder den Rauswurf der Liberalen zu provozieren. Da auch die Grünen, im Bund wie in den Landesverbänden, derzeit so instabil sind wie schon lange nicht mehr, ergibt sich innerhalb des Regierungslagers eine Gemengelage, die nicht bloß von unterschiedlichen, teilweise gegensätzlichen Interessen bestimmt wird, sondern mehr und mehr von einer gefährlichen Eigendynamik. Die strukturellen Fliehkräfte innerhalb der Bundesregierung und in den drei Ampel-Parteien, befeuert noch durch die internationalen Krisen und eine schrille mediale Begleitung, könnten demnächst so übermächtig werden, dass alle Besonnenheit des Kanzlers und sogar die Aussicht auf verheerende Folgen für alle Beteiligten bei dann unausweichlichen Neuwahlen vor dem eigentlichen Termin im Herbst 2025 nicht mehr helfen. Deshalb gehört nicht viel Mut zu der Prognose, dass diese Bundesregierung bereits kurz nach der Hälfte ihrer Amtszeit an innerer Zerrissenheit, fehlendem Willen zum Konsens und einem Defizit an Entschlusskraft scheitern kann.