Zuletzt war es still geworden um Günter Grass. Und wenn, dann waren es eher negative Schlagzeilen, mit denen der Schriftsteller in den vergangenen Jahren von sich Reden machte. Sei es im Sommer 2006 mit seiner allzu späten Beichte, als Jugendlicher Mitglied der Waffen-SS gewesen zu sein, oder aber im April 2012 mit seinem israelkritischen Gedicht „Was gesagt werden muss“. Grass’ Ruf als moralische Instanz der Deutschen drohte im Alter zu bröckeln. Nun ist der Literaturnobelpreisträger mit 87 Jahren gestorben. Was bleibt, ist ein großartiges literarisches Werk und die Erinnerung an einen im besten Sinne streitbaren und intellektuellen Geist.
Günter Grass wollte nicht gefallen. Er war ein durch und durch politischer Mensch und Schriftsteller, scheute keine Auseinandersetzung. Im Gegenteil: Wortgewaltig mischte er sich Zeit seines Lebens in gesellschaftspolitische Debatten ein, wohlwissend, sich nicht nur Freunde zu machen. In den 1960er Jahren machte er Wahlkampf für die SPD. Er unterstützte Willy Brandts Ostpolitik, um sich viele Jahre später aus Protest gegen die Asylpolitik der SPD wieder von ihr loszusagen. In Israel wurde er 2012 zur Persona non grata erklärt.
Sein Tod aber hat international für Bestürzung gesorgt. Künstler wie Politiker zollen einem großen Literaten Respekt und trauern um einen Freund.
Den Grundstein für eine mehr als 50 Jahre dauernde Karriere als Schriftsteller, die 1999 mit dem Literaturnobelpreis gekrönt wurde, legte Grass im Jahr 1959 mit dem Roman „Die Blechtrommel“. Wohl kaum einer hierzulande, der die Geschichte von Oskar Matzerath, dem kleinen Jungen aus Danzig, der im Alter von drei Jahren beschließt, nicht mehr zu wachsen, nicht kennt. Das Buch, das über drei Millionen Mal verkauft und in 24 Sprachen übersetzt wurde und dessen exzessive, deftig derbe Sprachgewalt zunächst nicht jedem gefiel, gilt noch heute als wegweisend. Es markierte sozusagen den Anfang vom Ende der piefigen und deutschtümelden Nachkriegsliteratur.
Gemeinsam mit der Novelle „Katz und Maus“ (1961) und dem Roman „Hundejahre“ (1963) bildet „Die Blechtrommel“ die Danziger Trilogie, in der Grass die eigene sowie auch die Geschichte der Deutschen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aufarbeitet. Er selbst schrieb später einmal: „Die meisten meiner Bücher beschwören die untergegangene Stadt Danzig. (…) Verlust machte mich beredt.“
Am 16. Oktober 1927 in Danzig geboren, absolvierte er nach dem Krieg zunächst eine Steinmetzlehre in Düsseldorf, bevor er von 1948 bis 1952 an der dortigen Kunstakademie Grafik und Bildhauerei studierte. Mit die „Die Blechtrommel“ legte er dann 1959 seinen Debütroman vor – und galt fortan international als einer der wichtigsten deutschen Autoren.
Vierzig Jahre später würdigte die Schwedische Akademie das Werk des Deutschen mit dem Literaturnobelpreis. In der Erklärung hieß es damals, Grass habe „in munterschwarzen Fabeln das vergessene Gesicht der Geschichte gezeichnet“. Tatsächlich hat sich der Genussmensch, der Grass auch war, bei seinen Werken ein ums andere in der Tierwelt bedient. Bücher wie „Der Butt“ (1977), „Die Rättin“ (1986), „Unkenrufe“ (1992) oder auch „Im Krebsgang“ (2202) zeugen davon.
Zu ersten Verwerfungen mit dem Literaturbetrieb kam es schließlich 1995, als Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki Grass’ Roman „Ein weites Feld“ auf dem Titel des Magazins „Der Spiegel“ buchstäblich zerriss. Es folgte eine Debatte darüber, was Literaturkritik darf und was nicht. Sie war jedoch längst vergessen, als Grass 2006 in seinem autobiografischen Buch „Beim Häuten der Zwiebel“ erstmals erwähnte, als 17-Jähriger als Panzerschütze in der Waffen-SS gedient zu haben. Seinen Kritikern kam das Geständnis zu spät. Viel zu spät. War Grass doch selbst einer der größten Kritiker der nicht erfolgten Aufarbeitung der deutschen Vergangenheit.
Heute, angesichts des Todes von Günter Grass, ist dies wohl lediglich noch eine Randnotiz.