Es wirkte so, als wollte Ursula von der Leyen Versäumnisse bei der Impfstoff-Beschaffung einräumen, aber der erste Eindruck trog. Das mit den Versäumnissen bezog sie auf die EU, die sie wegen ihrer Größe mit einem schwerfälligen Tanker verglich, dagegen seien einzelne Staaten wie Schnellboote zu steuern. Und überhaupt bezog sie die Schuld nicht auf sich selbst, die ja immerhin die Präsidentin der Kommission ist, sondern nahm alle in Mithaftung. „Das hätten wir früher machen können“. Wir statt Ich, das ist ihr Stil schon immer gewesen, wenn es darum ging, Fehler auf andere abzuwälzen. So ist die Ursula von der Leyen.
Dabei ist die 62jährige CDU-Politikerin sehr ehrgeizig. Letzteres sollte man nie unterschätzen, wenn man mit ihr zu tun hat. Sie kann lächeln und liebevoll in die Kamera blicken, als könnte sie niemandem etwas antun. Vorsicht ist geboten. Die Tochter des früheren niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht wurde von ihrem Vater zwar „Röschen“ genannt, aber auch kleine Rosen haben Dornen, an denen man sich verletzen kann. Die kleine und zierlich wirkende Mutter von 7 Kindern ist von Haus aus eine Kämpfernatur, was die Durchsetzung ihrer eigenen Interessen angeht. Dann geht sie schon mal auf Schmusekurs, wie sie das tat, als sie unbedingt Präsidentin der Europäischen Kommission werden wollte. Niemand hatte sie zuerst auf dem Schirm, es gab andere Kandidaten, die sich verdient gemacht haben für die europäischen Idee, aber plötzlich wurde die Geschichte erzählt, der französische Präsident Macron habe Ursula von der Leyen auserwählt als seine Favoritin für das hochbezahlte Amt in Brüssel. Und als die Bundeskanzlerin Angela Merkel sich den Wunsch des Franzosen zu eigen machte(oder war es doch umgekehrt?), war die Sache so gut wie gelaufen.
Europa war nie ihr Thema
Nie wurde geklärt, ob von der Leyen die Lieblingskandidatin der Kanzlerin wirklich war. Ursula von der Leyen war zwar in Brüssel geboren, aber mit dem Thema Europa hatte die frühere Familien- und Arbeits- und dann Verteidigungsministerin nie etwas am Hut. Der Wechsel von der Leyens in die belgische Metropole gefiel manchen in der Union, zumal sie als Verteidigungsministerin nicht unbedingt erfolgreich tätig war. Das Gegenteil ist eher der Fall. Experten sprachen beim Abschied der Ministerin von Berlin nach Brüssel davon, man atme auf, dass von der Leyen das Ministerium gegen ein Amt in Belgien tausche. Man muss hier keine weiteren Einzelheiten aufzählen, sondern kann die gesamte Bilanz der Verteidigunsministerin als mindestens bescheiden bezeichen, Kritiker warfen ihr gar vor, einen Scherbenhaufen angerichtet zu haben. Scherzhaft nannte man ihre Zeit als Chefin des Wehr-Ressorts als reine Friedensmission, weil Panzer nicht mehr fuhren, Hubschrauber am Boden blieben, Gewehre ihren eigentlichen Zweck nicht mehr erfüllten. Oder man denke an das Millionengrab der Gorch Fock. Wie auch immer, sie selber verstand es, die Schuld bei anderen zu suchen. Auch die umstrittene Beschäftigung von Beratern konnte ihr am Ende nicht schaden. Im Untersuchungsausschuss lächelte sie alle Vorwürfe weg.
Auch in der Union reagierten -natürlich inoffiziell- die meisten erleichtert, hatten doch einige befürchtet, die ehrgeizige Frau von der Leyen würde ihren Hut in den Ring werfen, wenn es um die Nachfolge von Merkel gehen würde. Da war schließlich der Vorsitz der CDU neu zu besetzen und die Frage der Kanzlerkandidatur war und ist ja immer noch nicht geklärt. Jetzt scheint sie auf Armin Laschet oder Markus Söder zuzulaufen, „Röschen“ ist nicht im Gespräch.
Zu langsam reagiert
Zurück zu Corona und dem Debakel mit der Impfstoff-Beschaffung: Zu langsam reagiert, zu schlecht verhandelt, zu unerfahren, dann noch die Peinlichkeit mit der Forderung nach Kontrollen an der inneririschen Grenze. Auch wenn sie das dann zurücknahm. Europa steht nur mit wenigen Impfdosen da, weil die Kommission viel zu zögerlich mit den Herstellern verhandelt hatte. Die Erklärung greift ja wohl nicht, dass man nicht hätte wissen können, welcher Impfstoff zuerst zugelassen werde. Schon im Sommer 2020 waren die Erklärungen von Biontech und Pfizer hoffnungsvoll. Ende Juli griffen die Amerikaner zu, dann Großbritannien, die EU wartete ab. Warum? Dann die Sache mit der Firma Moderna, auch hier Zögern und Zaudern.
Es ist nicht rund gelaufen, Ursula von der Leyen stand eher auf der Bremse, als Vollgas hätte gegeben werden müssen. SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz sprach ein vernichtendes Urteil: Es sei „scheiße gelaufen“. Und damit hatte er Recht. Hier geht es um Leben und Tod von Millionen Menschen in Europa, ja in der ganzen Welt. Man hätte über die „Herausforderungen der Massenproduktion nachdenken“ müssen, so ihre Worte in der SZ. Wie immer sagte sie „Wir“, wenn sie besser hätte „Ich“ sagen müssen. Also hätte es im Interview heißen müssen, wenn sie wirklich Verantwortung hätte übernehmen wollen: Ich hätte darüber nachdenken müssen, neue Lieferketten aufzubauen, die Fertigung hochzufahren. Das hätte ich früher machen können.“ Pardon, Frau von der Leyen wählte natürlich nicht die „Ich“-Form, sondern die „Wir“-Form.
Einen Untersuchungsausschuss wird es noch nicht geben, habe ich gelesen, wenngleich es einzelne Forderungen danach gibt. Die Erklärung von Manfred Weber, die gemeinsame europäische Impf-Strategie teile er „voll und ganz“, sollte sie nicht überbewerten. Die Vorbehalte gegenüber der Präsidentin sind nie verschwunden. Ursula von der Leyen war nie die Kandidatin des Europäischen Parlaments für das Amt des Präsidenten der Kommission. Sie hat keine gute Presse wegen ihres Impf-Debakels, es mag verfrüht sein, von ihrem Sturz zu reden, zumindest ist sie ins Stolpern geraten. Mit Lächeln allein wird sie ihre Probleme nicht lösen.
Bildquelle: Wikipedia, European Parliament from EU – Ursula von der Leyen presents her vision to MEPs, CC BY 2.0