Jedes Jahr legen Hunderttausende, Männer, Frauen, Schüler und Jugendliche das Sportabzeichen ab. In nahezu jedem Dorf und jeder Stadt der Republik, von Flensburg bis Garmisch und von der deutsch-holländischen bis zur deutsch-polnischen Grenze laufen und springen Jahr für Jahr eine knappe Million Bundesbürger, sie stoßen die Kugel und werfen den Schleuderball und hüpfen ins Becken des Schwimmbads, um das Sportabzeichen in Gold, Silber oder Bronze abzulegen: Von 1911 bis Ende diesen Jahres über 36 Millionen Menschen. Eine stolze Bilanz. Einer, der seit knapp 40 Jahren im rheinischen Bad Honnef das Sportabzeichen abnimmt, ist Günther Strack, 77 Jahre alt, ein ehemaliger Postbeamter, der über den Leistungssport zum Sportlehrer, genauer Fachübungsleiter, wurde. Über 400 Zeitgenossen zwischen 8 und 82 Jahren haben bei Günther Strack inzwischen das Sportabzeichen abgelegt. Nächste Ehrung bei Speisen und Wein Anfang Dezember.
Blog-der-Republik: Herr Strack, wie kommt ein Postbeamter zum Sport?
Strack: Ich habe Leistungssport gemacht, Zehnkampf und 400-m-Hürden-Lauf. Und dabei lernte ich einen Dozenten der Sporthochschule kennen, der mich fragte, ob ich denn glücklich wäre in meinen Beruf. Das habe ich verneint und darauf hat er mir gesagt, dann kommen Sie doch zur Sporthochschule. Ich habe nach dem Studium an der Handelsschule in Bad Honnef unterrichtet und war anschließend beim Sportamt der Stadt Bonn beschäftigt.
Blog: Zurück zum Leistungssport. Nennen Sie mir ein paar Ihrer Hausnummern.
Strack: 1958 erreichte ich im Zehnkampf 6501 Punkte und über die 400-m-Hürden lief ich 55,7 Sekunden.
Bendlin riss die Achillessehne
Blog: Haben Sie einen Vergleich parat?
Strack: Der Europameister im Zehnkampf, Werner von Moltke, erzielte Anfang der 60er Jahre 7900 Punkte.
Blog: Sie haben auch den einstigen Weltrekordler im Zehnkampf Kurt Bendlin trainiert.
Strack: Stimmt. Bendlin trainierte für die Olympischen Spiele in München, die 1972 stattfanden. Ich war sein Konditionstrainer, Bundestrainer Overbeck aus Leverkusen war für die technischen Disziplinen verantwortlich. Leider verletzte sich Bendlin, mit 8100 Punkten Weltbester 1970/71, bei einem Speerwurf-Test schwer, seine Achillessehne riss und damit war der Traum von Olympia in München ausgeträumt.
Blog: Und warum nun das Sportabzeichen? Ist das nicht Wald-und-Wiesen-Sport für einen einstigen Leistungssportler?
Strack: Das würde ich so nicht sagen. Wenn jemand Sport treibt, steckt da auch immer Ehrgeiz und Eitelkeit dahinter und zwar in jedem Alter. Man will beweisen, dass man noch fit ist. Der eine oder andere legt kurz vor Erreichen des 70. Geburtstages das Sportabzeichen ab, um seinen Kindern zu zeigen: Seht her, was ich geschafft habe. Sie tragen ihre Nadel in Gold stolz am Revers ihres Jacketts.
Es wird richtig trainiert
Blog: Die Leistungen sind auch mal bemerkenswert?
Strack: Das ist schon lange kein Seniorensport mehr, den man so nebenbei macht. Es wird richtig trainiert, wir drehen ein paar Runden zum Warmlaufen, dann üben wir ein paar Sprints, laufen 200 Meter, erholen uns, laufen erneut die 200 Meter und nach einer kurzen Verschnaufpause wird die Stadionrunde gelaufen, also 400 Meter. Jeder nach seinen Möglichkeiten, aber man merkt, wie die Freunde sich anstrengen. Und hin und wieder vergleiche ich einige der bei gelaufenen Zeiten mit denen in den Jahrgangs-Bestenlisten in NRW und Rheinland-Pfalz. Da können wir uns schon hin und wieder sehen lassen.
Blog: Sie machen also richtig Intervalltraining?
Strack: So ist das. Zum Beispiel laufen wir 1000 Meter, machen eine Pause von wenigen Minuten und laufen noch einmal 1000 Meter. Da liegen dann die Zeiten bei rund fünf Minuten. Oder jemand läuft die 2000 Meter-Strecke und schaut, dass er es unter 12 Minuten schafft. Das gilt natürlich nicht für jeden. Jeder macht es so, wie er es körperlich packt. Auch die Walker trainieren, gehen und laufen ihre Runden, um am Ende eine Zeit von zwischen 66 und 70 Minuten für die 7,5 Kilometer-Strecke zu erreichen. Oder nehmen wir das Kugelstoßen, wo der 70jährige 7.70 Meter weit stoßen muss, um die Punkte für das Goldabzeichen in Gold zu erreichen. Derselbe muss dann 3,40 Meter weit springen, was nicht einfach ist Die meisten haben den letzten Weisprung absolviert als Schüler, also zwischen 14 und 18 Jahren. Oder: Werfen Sie mal den Schleuderball 27 Meter weit. Auch die 3000 Meter zu laufen in einer Zeit unter 20 Minuten, das muss trainiert werden.
Blog: Was sind das für Leute, die das Sportabzeichen ablegen und dafür Montag für Montag in das Stadion in Bad Honnef kommen?
Strack: Wenn ich das über die Jahrzehnte vergleiche, dann waren und sind darunter Hausfrauen, Ärztinnen, die fünf Kinder zur Welt gebracht haben, ehemalige Lehrerinnen, Selbständige, Professoren, Journalisten, Politiker.
Norbert Blüm hat das Abzeichen
Blog: Bekannte Politiker und Journalisten?
Strack: Der frühere Bundesarbeitsminister Norbert Blüm hat mit seiner Frau Marita bis Anfang der 2000er jedes Jahr das Sportabzeichen erworben, die ehemaligen Korrespondenten des Hamburger Nachrichten-Magazins, „Der Spiegel“, Klaus Wirtgen und Peter Christian Müller waren und sind darunter, Peter Müller zum 35. Mal.
Blog: Der frühere Bundespräsident Richard von Weizsäcker hat doch auch jedes Jahr das Sportabzeichen erworben.
Strack: Ja, aber nicht in Honnef, sondern in Bonn. Er hat Laufen durch 1000-Meter-Schwimmen ersetzt und ich war als Zeitnehmer dabei. Weizsäcker war bis in hohe Alter fit, wenn ich das mal so sagen darf, er war richtig kernig.
Der Jüngste ist 8, der Älteste 82
Blog: Wer war der jüngste Teilnehmer, wer der Älteste?
Strack: Jüngste Teilnehmerin war meine Enkelin, die mit acht Jahren das Sportabzeichen machte und dabei u.a. 200 Meter schwimmen und 800 Meter laufen musste. Letzteres schaffte sie in 4.41 Minuten. Im letzten und in diesem Jahr hat der 10jährige Enkel von Friedhelm Ost, Ex-Regierungssprecher des früheren Kanzlers Helmut Kohl, das Sportabzeichen abgelegt, wie übrigens auch seine sportliche Oma Erika, die das Abzeichen in diesem Jahr zum 30. Mal errungen hat.
Blog. Und der Älteste?
Strack: Das ist Charlie Weber, ein selbständiger Steuerberater, der war von Anfang an dabei. Charlie ist 82 Jahre alt und hat zwei Herzinfarkte hinter sich. Und trotzdem trainiert er regelmäßig für das Sportabzeichen, gerade hat er den Schleuderball auf rund 18 Meter geworfen. Das Laufen hat er durch Fahrradfahren ersetzt und unterbot die geforderte Norm für die 20-Kilometer-Strecke von 64,30 Minuten um zehn Sekunden. Um das zu schaffen, hat er die letzten Kilometer in einem Tempo von rund 28 km/h zurückgelegt. Er hat sich vorher von seinem Arzt beraten lassen, was er machen darf und wie er es machen soll. Nach dem Radfahren schnaufte der Charlie nur ein paar Mal kurz durch und dann haben wir einen Kaffee getrunken.
Blog: Es kann also im Grunde jeder das Sportabzeichen machen?
Strack: Heute geht das etwas leichter, weil Turnen nicht mehr dazu gehört und die Anforderungen etwas reduziert wurden. Früher war es im Grunde eine Männer-Domäne, heute legen auch viele Frauen das Sportabzeichen ab. Schon um das Jahr 2000 lag der Frauen-Anteil bei knapp unter 45 Prozent. (So die offizielle Statistik) Es ist also eine richtige Volkssport-Bewegung geworden für nahezu alle Altersklassen.
p.s.Sport ist Mord, wie man es einst aus dem Mund des britischen Staatsmanns Winston Churchill vernahm, der die Zigarre und den Whiskey dem Sport vorzog? Prof. Wildor Hoffmann stellte dazu vor Jahren in einem Vortrag fest: „Die einzige wissenschaftlich gesicherte Möglichkeit, altersbedingten Leistungs- und Funktionseinbußen entgegenzuwirken, ist ein breitbasig angelegtes körperliches Training… Sinn des Sportabzeichens soll es sein, breitbasig die körperliche Leistungsfähigkeit zu steigern und dies in einem ganzjährigen Training anzustreben. Nicht die Prüfung, sondern das Training soll im Vordergrund stehen.“
Bildquelle: Wikipedia, Spirobranchus, CC-BY-SA 4.0
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