Die olympischen Spiele sind beendet. Aus Pierre Coubertins Idee ist ein wuchernder, sich selbst zuerst bedienender Koloss geworden, von Mal zu Mal unbeliebter und wegen öffentlicher Ablehnung ständig auf der Suche nach neuen Wettbewerbsideen. Seit den jetzt zu Ende gegangenen Spielen wird in der Halle um die Wette geklettert. Sie können davon ausgehen, liebe Leserin, lieber Leser, dass in den Spielen, sollten sie wieder in Deutschland Station machen, Sebastians Kneipps Kaltwassertreten olympischer Wettbewerb werden würde: Mit Haltungs- und Gestaltungsnoten.
Für den internationalen Verein Olympia mit Sitz in der Schweiz sind die Spiele in Tokio so oder so ein Milliardengeschäft, weil die Einnahmen aus den Übertragungsrechten an die Lausanner „Olympioniken“ fließen. Die japanischen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler müssen freilich tief in die Tasche greifen, weil der Vorfinanzierung der Spielstätten und der Infrastruktur keine Einnahmen gegenüber stehen. Nach Schätzungen klafft eine Lücke zwischen 20 und 25 Milliarden US-Dollar.
Die Spiele sind ein fortbestehender Widerspruch: Da rennen, werfen, reiten, schwimmen allesamt junge Frauen oder Männer, tun es Columbus gleich, der Segel setzte, pardon setzen ließ, ja sie hauen sich gegenseitig, werfen sich auf den Boden und springen, aber wo sie das tun, wann sie das tun, und wie sie das tun, das entscheiden nicht sie sondern ältere als sie, vor allem ältere Männer und einige Frauen. Sport habe mit Politik nix zu tun, sagen diese Mitglieder des Internationalen olympischen Komitees (IOC), und wer sich daran nicht hält, der muss damit rechnen, dass die „Sheriffs“ des IOC die politisch agierenden oder argumentierenden Jüngeren aus den Spielen entfernen. Die IOCs selber hingegen sind weitgehend Produkte der jeweilig geltenden oder herrschenden Politik beziehungsweise der herrschenden sozialen Verhältnisse, was dazu führt, dass sich unter der IOC –Hundertschaft Adelsgeschlechter finden, als habe die sogenannte Regenbogenpresse über die Mitgliedschaft entschieden. Ist das nicht eigenartig?
Es sind übrigens allesamt Ehrenamtliche, so wie die Vorstandsmitglieder in Bürgervereinen und Amateurclubs. Der IOC –Chef Thomas Bach, ein deutscher Jurist, erhält als Aufwandsentschädigung für die Aufgaben seines Ehrenamtes laut Spiegel 225 000 €. pro Jahr. Das ist etwas weniger als das Jahresgehalt der… sagen wir Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer. Und wenn die reifen Lausanner Olympioniken nebst Anhang und Tross in die Spielländer reisen (ich könnte auch schreiben „einfallen“, aber so weit will ich nicht gehen), wohnen sie natürlich nicht in der Pension Schöller, sondern sie übernachten im Feinsten, was der Beherbergungsmarkt bietet. In Japan hat das ziemlichen Unwillen erregt.
Da muss Mensch im sportlichen Wettkampf aufpassen was er tut. Als Tommie Smith und John Carlos auf dem Siegertreppchen der 400 Meter- Läufer 1968 in Mexiko die Arme hoben und jeweils eine Hand zur Faust ballten, aus Protest gegen Rassentrennung und Rassendiskriminierung, wurden sie zu geächteten Außenseitern. Damals war Avery Brundage IOC-Präsident, dem nachgesagt wurde, Nazi-Sympathisant zu sein.
Der Spiegel berichtete später über Smith und Carlos, die Brundage hatte entfernen lassen: „An ihren Trainingsjacken hing ein Button mit der Aufschrift OPHR: Olympic Project for Human Rights. So nannte sich die Bewegung der schwarzen US-Athleten, die lange vor den Spielen in Mexiko einen Boykott der Spiele diskutiert hatte“. Und: „Der dritte Mann auf dem Siegerpodest trug ebenfalls einen OPHR-Button. Peter Norman, der australische Silbermedaillengewinner, hatte kurz vor der Siegerehrung mitbekommen, was Smith und Carlos planten. `Kann ich euch helfen? ` hatte er gefragt.“
Die FAZ berichtete mit Blick auf die Spiele von 1968: „Aber die ersten Spiele in Lateinamerika boten auch eine außergewöhnlich vielschichtige, leicht erkennbare Verknüpfung von Sport und Machtpolitik auf allen Ebenen. Sie zeigte sich bei der brutalen Niederschlagung protestierender mexikanischer Studenten Anfang Oktober, weil das Internationale Olympische Komitee Ruhe gefordert hatte.“
Die Widersprüche entwickelten sich rasant weiter: Bis auf den heutigen Tag. Das Internationale Olympische Komitee unter Führung Bachs weigerte sich, die Spiele in Tokio 1 Minute anzuhalten, um des Abwurfs einer Atombombe auf Hiroshima zu gedenken. Das ZDF wusste hingegen bereits einen Tag vor Ende der Spiele am 8. August: „Es waren tolle Spiele.“
In wenigen Monaten sollen in Peking die olympischen Winterspiele stattfinden. Dem Vernehmen nach haben über 100 Menschenrechtsorganisationen gegen diese Festlegung protestiert. Geändert hat das nicht. Das kann daran liegen, dass der wuchernde Koloss seine verlässlichsten Unterstützer unter den Autokraten der Welt findet, die solche Spiele nutzen, um ihre Images zu polieren. Soll das immer so weitergehen? Immer weiter? Oder wird es nicht Zeit für einen „Neustart“? Kein pompöser Apparat mehr im Hintergrund. Kein Händchen-Halten mehr mit Wladimir. Finanzierung von Sportstätten und Infrastruktur – auch- über IOC- Einnahmen. Eine scharfe Finanzkontrolle. Echte Mitbestimmung der Aktiven. Gleichberechtigung. Haben Sie weitere Ideen in diesem Zusammenhang?
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