Es mutet schon wie ein Rückgriff ins frühere Jahrhundert an, wenn man sich das Aufmacher-Bild des Bonner Generalanzeiger anschaut: Anlässlich des 149. Geburtstages von Konrad Adenauer versammelten sich neben dem Enkel des Alten CDU-Prominente am Grab des ersten Kanzlers der Nachkriegszeit, darunter Friedrich Merz, der CDU-Partei- und Fraktionschef sowie Kanzlerkandidat der Union. Ein Treffen, das jährlich stattfindet am Grab des Gründungsvaters der CDU auf dem Waldfriedhof im schönen Rhöndorf. Aber dieses Mal hat das Treffen politischen Charakter- es ist Wahlkampfzeit, Merz will es nutzen für sich und eine Botschaft für die Wahl am 23. Februar. Also titelt das Blatt die Seite-3- Geschichte: „In der Tradition Adenauers“. Merz hält auch die Festrede zum Geburtstag in der Rotunde auf dem Petersberg vor 400 Gästen. Er zieht dabei Parallelen, als wenn die Zeiten von damals, 1949, als Deutschland geteilt war, am Boden lag unter den Trümmern des von Nazi-Deutschland angezettelten Zweiten Weltkriegtes, und heute, wo es Probleme gibt im Land, die Wirtschaft unter Fachkräftemangel klagt und manch einer aus der Union auf eine Art neues Wirtschaftswunder setzt, hervorgerufen durch einen Regierungswechsel unter Leitung von Merz, dieselben Kreise und Merz aber tunlichst übergehen, dass es einen riesigen Nachholbedarf gibt bei der Sanierung der Infrastruktur, weil CSU-Bundesverkehrsminister es über Jahre versäumten, die Bahn zu modernisieren, die Straßen zu reparieren, die Autoindustrie anzutreiben, damit sie umschalte vom Verbrenner auf E-Autos, dafür den teuren Murks mit der Maut verantworteten, um nur einige Bereiche zu nennen.
Wir sind im Wahlkampf, deshalb die Polemik, die aber auf Fakten beruht. Die Zeiten sind andere als 1949, das weiß auch Merz, der klarer Favorit ist für die Wahl, dessen CDU weit vor der SPD rangiert, legt man Umfragen zu Grunde. Und doch ist eine gewisse Unsicherheit zu spüren in allen Reihen, auch wenn Olaf Scholz und die SPD seit Wochen sogar hinter der rechtsextremen AfD liegen, bei mageren 16 Prozent, doppelt so stark ist die CDU. Und klar, dass sich einer wie Friedrich Merz das auf seine Kappe geschrieben hat. Seit Merz Chef der Union ist, hat die stärkste Oppositionspartei die Sozialdemokraten abgehängt. Die Ampel ist Geschichte, der Kanzler, umstritten auch in den eigenen Reihen, ist nur noch ein Regierungschef ohne Mehrheit, weil Scholz FDP-Chef Lindner die Leitung des Finanzressorts entzog und den Liberalen aus der Koalition schmiss. Zu Recht.
Die Parteien haben ihre Kampagnen begonnen. Die SPD setzt auf Scholz, das zeigt die ersten Plakatwelle mit dem Kanzler vor der Deutschlandfahne, das Wort Sicherheit ist fett gedruckt. Gemeint, dass die SPD alles dafür tun werde, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor einem wirtschaftlichen Absturz zu bewahren. Klingt leicht, beschwert aber offensichtlich Millionen, weil sie sich vor der Zukunft ängstigen. Sie sind der gut verdienende Mittelstand der Deutschen, noch, muss man hinzufügen. Untersuchungen haben diese Sorgen herausgefiltert. Noch geht es diesen Millionen arbeitenden Menschen gut, noch, aber bei ihnen geht die Sorge um, abstürzen zu können. Scholz selbst habe den „Made in Germany“-Bonus präsentiert, lese ich in Berichten. Dabei handelt es sich um eine Prämie zur Ankurbelung der heimischen Wirtschaft. Das ist von der SPD so gewollt, sie will sich absetzen von den Steuersenkungsplänen der Union zugunsten der Unternehmen.
Sicherung von Industriearbeitsplätzen und Wirtschaftswachstum, das könnte von Gerhard Schröder, dem früheren SPD-Kanzler stammen, der mit ähnlichen Parolen seinen erfolgreichen Wahlkampf 1998 gegen Helmut Kohl führte und gewann. Begründung Schröders: „Wir können ja nicht davon leben, dass wir uns gegenseitig die Haare schneiden.“ Polemisch gesagt, aber nicht falsch, sogar treffend, ein Jeder begriff, was er meinte. Eine Richtungsentscheidung damals und heute. Es steht viel auf dem Spiel, viele Unternehmen kämpfen um Aufträge, fordern den Abbau von sie lähmender Bürokratie, Hilfen des Staates, wie eben Boni, um die Wirtschaft flott zu machen.
Sie kennen mich
Die SPD setzt zudem einen Schwerpunkt auf den direkten Vergleich Scholz-Merz. Scholz, der erfahrene Politiker, er war Arbeitsminister, Hamburger Bürgermeister(also eine Art Ministerpräsident), Bundesfinanzminister unter der Kanzlerin Angela Merkel und seit 2021 Bundeskanzler. Dagegen kann Merz nicht ein einziges Ministerium vorweisen, das er geleitet hätte, geschweige, dass er eine Landes- oder Bundesregierung geführt hätte. Merz ist obendrein oft genug impulsiv, Scholz wirkt dagegen eher gelassen, überlegt, Kritiker legen das als zögerlich aus. Scholz kommt oft daher im Stile von Merkel, die mit dem berühmten Satz im Wahlkampf punktete: Sie kennen mich. Will sagen, keine Experimente, verlassen Sie sich ruhig auf mich, ich achte auf ihr Geld, ihr Haus, ihren Job. Nicht einfach für den 69jährigen Herausforderer. Merz weiß natürlich um dieses Manko seines Lebenslaufs, er weiß, dass die Weltpolitik eine Rolle im deutschen Wahlkampf spielen kann und wird. Am 20 Januar ist die Amtseinführung von Donald Trump als neuer US-Präsident. Niemand kann sagen, was der dann mächtigste Mann des mächtigsten Staates der Welt wirklich macht, ob er nur weiter droht oder wirklich nur noch Politik macht im Stil seiner Parole: Make America great again. Also hohe Zölle auf Auslandwaren? Wie Autos. Ob er Deutschland zwingen wird, seine Verteidigungsausgaben drastisch zu erhöhen? Da geht es um viele Milliarden Euro/Dollar. Was hat Trump mit der Nato vor? Mit der Ukraine, mit Putins Russland? Trump als Friedensstifter zu Lasten der Ukraine? Oder geht mit ihm der Krieg erst richtig los? Ganz nebenbei will er ja Grönland haben, den Panamakanal, Kanada. Alles das kann die Situation ziemlich verändern. Da hilft Merz die Erinnerungskultur und der Rückgriff auf Adenauer wenig.
Den Kanzler zu attackieren, weil der sich geweigert hat, der bedrängten Ukraine Taurus-Marschflugkörper zu liefern, damit diese Ziele in Russland angreifen, das wird sich Merz sehr überlegen. Auch wenn die Union dafür ist, die FDP auch und die Grünen. Die Mehrheit der Deutschen ist auf der Seite von Scholz. Seine Begründung, er wolle verhindern, dass sich der Krieg ausweite, taugt kaum zur Gegenattacke der CDU auf Scholz. Es ist mehr als fraglich, ob es der Union hilft, wenn einer ihrer führenden Politiker eine vermeintliche Nachricht in die Welt setzt, der Kanzler plane eine Reise nach Moskau. Scholz hat das umgehend dementiert, es wäre infam, versuchte die Opposition mit solchen Nachrichten den Ruf von Scholz zu demolieren. Bei allem Verständnis für eine harte Wahlkampf-Kampagne müssen die Demokraten schon darauf achten, dass sie nach der Wahl noch miteinander reden können. Denn das müssen sie schon allein deshalb, weil sie miteinander koalieren müssen.
Offene Flanke
Als offene Flanke könnte sich für Merz und die Union erweisen, dass die SPD darauf zielt, die Christdemokraten als die Partei hinzustellen, die die Reichen noch reicher machen wolle. Die SPD will sich dagegen postieren als Partei derjenigen, „die jeden Tag dieses Land am Laufen halten.“ Gemeint das Meer der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Millionen und Abermillionen. Und deshalb wolle die SPD 95 Prozent der Menschen im Land entlasten und dazu u.a. die Vermögensteuer wieder aktivieren und eine Reichensteuer einführen. Dass ganz nebenbei Friedrich Merz, der Pilot, der mal eben nach Sylt jettet zur Hochzeit von Christian Lindner, als vermögender Zeitgenosse hingestellt wird, „als Mann des Kapitals“, dürfte das Thema noch anheizen. Merz, der Chef der Partei der „Besserverdienenden“(Generalanzeiger)
Die Rolle und Bedeutung der Grünen im Wahlkampf einzuschätzen, ist schwer. Der Küchen-Wahlkampf von Robert Habeck, ihrem Kanzlerkandidaten, kommt mir etwas kindergartentauglich vor. Wen will der Wirtschaftsminister damit beglücken oder gar überzeugen? Die Grünen liegen in Umfragen ein wenig hinter der SPD. Mir erscheint fraglich, ob eine Aufholjagd möglich ist, wenn Habeck fordert, der Verteidigungsetat der Bundeswehr müsse auf 3,5 Prozent erhöht werden. Das sind am Ende fast 100 Milliarden Euro. Aus dem Mund eines Grünen, zu deren DNA es mal gehörte, eine Friedenspartei zu sein. Solche Äußerungen wie von Habeck hätte ich von einem Rüstungspolitiker erwartet, von Frau Strack-Zimmermann vielleicht, der Liberalen, die im Europa-Parlament sitzt. Schwarz-Grün ist offensichtlich das Ziel solcher inhaltlichen Annäherungsversuche, das Kanzleramt selber ist außer Reichweite für den Grünen Minister. Und selbst die Juniorrolle in einem Kabinett unter Leitung von Merz erscheint aus heutiger Sicht eher ein Wunsch der Medien zu sein denn realistischer Überlegungen. Gerade hat CSU-Landesgruppenchef Dobrindt noch einmal die Haltung seines Parteichefs Söder bekräftigt. In einem Interview betonte Dobrindt: „Die Grünen sind nicht regierungsfähig.“ Wo gibt es da noch Chancen?
Bliebe die FDP, die für eine schwarz-gelbe Koalition wirbt. Das wirkt ein bisschen lächerlich. In allen Umfragen liegen die Liberalen unterhalb der Fünf-Prozent-Grenze. Zwar hat CDU-Chef Merz gelegentlich Verständnis für die FDP geäußert, aber an Zahlen kommt auch er nicht vorbei. Da dürfte auch nicht helfen, dass der FDP-Vize Kubicki eine Wette auf den Einzug der Freidemokraten in den Bundestag abgeschlossen und dabei seinen halben Weinkeller als Preis ausgesetzt hat.
Musk, Kickl und die AfD
Und die AfD? Macht sich Hoffnung auf Wahlhilfe durch Trump-Berater Musk? Oder die Entwicklung in Österreich? Wo der Rechtsextreme FPÖ-Chef Herbert Kickl vor dem Einzug ins Wiener Kanzleramt ist? „Die neue Festung Österreich“, schreibt Klaus Prömpers in der „Neuen Westfälischen“(Bielefeld), spiele keine Rolle mehr für die Weltordnung. Ganz nebenbei, dass die Österreicher ihm das verübeln werden, weil sie gerade dabei sind, die Vier-Schanzen-Tournee als eine Art Landesmeisterschaft unter sich auszumachen, hat Prömpers Recht. Dafür ist die Alpenrepublik zu klein. Kickl verstärke, kommentiert Prömpers weiter, die Euroskeptiker im Europäischen Rat, Ungarns Orban, Robert Fico(Slowakei), demnächst Andrej Babis(Tschechien), der die Wahl dort im Mai gewinnen werde. Kickl habe nach der Europawahl seine Partei in die neue europäische Fraktion der „Patrioten für Europa“ geführt, mit der Frankreichs Rassemblement-Nationale-Chef, Jordan Barbella, nun die drittstärkste Kraft im Europa-Parlament stellt. Sie wollen, so Prömpers, mit Orban, Italiens Lega unter Matteo Salvini sowie Babis ANO und fünf anderen Parteien die Euroäische Union ablösen. Ihre Ziele: Flüchtlinge und Asylbewerber möglichst draußen halten , weniger Klimaschutz, weniger Kompetenz für das Europäische Parlament, die Kommission und den Rat der EU-‚Rats- und Regierungschefs, dazu gute Beziehungen zu Moskau unter Putin für billigeres Gas, egal ob die Ukraine verliert. Also mehr Nationalstaaterei. Am Ende wäre die Europäische Union ,oder was dabei herauskäme, bedeutungslos, Spielball zwischen Amerikanern, Chinesen und Russen.
Kickl habe im Wahlkampf von der „Festung Österreich“ gesprochen , daran erinnert Prömpers. Er blende dabei aus, dass nur ein geeintes Europa die neue Weltordnung mitgestalten könne, die die USA, China, Russland, Indien, Brasilien, Südafrika mit einem geeinten Europa aushandeln würden. Eine Festung Österreich spiele darin keine Rolle.
Und was folgt aus allem? Berlin braucht keine Festung. Ich setze auf eine demokratische Regierung.
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