Mehr als die Hälfte der Deutschen glaubt, dass eine Rückkehr in die „Große Koalition“ der SPD zum Schaden gereichen würde. Damit wird eine Stimmungslage deutlich, die auch den SPD-Parteitag bestimmte. Alles, was da an Ergebnissen abzurufen ist, war Widerhall dieser Lage. Die Ergebnisse der Vorstandswahlen zeigen dies ebenfalls, wie auch die Debatte um den Leitantrag des Vorstandes, der zwar Gespräche mit der Union ermöglicht, aber ohne jeden Automatismus ergebnisoffen geführt werden soll.
Wie sehr die Delegierten dabei darauf achten wollen, dass „ergebnisoffen“ keine Mogelpackung wird, zeigen auch die Wahlergebnisse des engeren Parteivorstandes. Mister Hunderprozent landete bei guten 80 Prozent Zustimmung, was nach der Entschuldigung von Martin Schulz für das schlechteste Wahlergebnis der SPD ein Ergebnis war, was so nicht von vornherein zu erwarten gewesen ist. Gleichzeitig wurde Hamburgs Bürgermeister Scholz mit weniger als 60 Prozent Zustimmung abgestraft. Seine kaum verhüllten Interviews zur Lage der Partei, die als Kritik an Schulz gedeutet wurden, um das Gelände für eine Gegenkandidatur zu sondieren, hatten dazu beigetragen.
Versprechen reicht nicht
Dennoch reichte den Delegierten das Versprechen nicht, dass Schulz sein Wort gab, dass er wirklich in ergebnisoffene Gespräche mit der Union gehen wolle. Zumal es erst herauszufinden sei, ob die Union überhaupt verhandlungsfähig sei und wie groß also der politische Spielraum wäre, die die bayerische CSU der CDU lassen werde. Der neue Vorstand musste jedenfalls hinnehmen, dass der Parteitag die Vorstellung zurückwies, erneut könne ein Konvent entscheiden, ob das Ergebnis der Gespräche in Sondierungen für eine erneute Große Koalition führen könne. Das wird ein Parteitag zu entscheiden haben, dem am Ende der Verhandlungen die Abstimmung der Mitglieder folgen wird.
Insgesamt waren die ersten zwei Tage im Messezentrum in Berlin nicht das von manchem vorausgesagte mutlose Zurückweichen, sondern höchst lebendige Debatten und im Blick auf die Lage Europas eine Standortbestimmung, die im Wahlkampf gefehlt hat. Die Mutlosigkeit und Abwesenheit einer klaren Haltung zu Deutschland in Europa wiederholte sich in Berlin jedenfalls nicht. Geht es nach der SPD wird Europa jedenfalls nicht als Europäische Verteidigungsgemeinschaft enden. Die von Schulz als politisches Ziel beschworene Finalisierung der Vereinigten Staaten von Europa, bis 2025 zu erreichen, wurde vom Parteitag mit großer Zustimmung aufgenommen. Ein Europa, das sozial gerecht, friedenspolitisch und in bunter kultureller Vielfalt geeint, allein kann die großen Fragen wie Klimawandel, soziale Spaltung zwischen Süd und Nord, oder die Herausforderungen der Globalisierung annehmen und zu ihrer Lösung beitragen.
SPD will ein Einwanderungsgesetz
Es wird sich zeigen, ob die Union sich einer solchen Zielsetzung öffnen kann, oder ob es bei national verengten Antworten bleibt, wie sie vor allem von der CSU, aber auch von EU-Mitgliedern wie Polen, Ungarn oder der Tschechischen Republik gefordert wird Das gilt auch für die von der CSU geforderte Obergrenze für Flüchtlinge und den Familiennachzug für Flüchtlinge, die darauf einen Anspruch haben.
Die SPD will ein Einwanderungsgesetz, das endlich klärt, dass Deutschland Einwanderung braucht, und längst Einwanderungsland ist, auch um die Sozialsysteme zu sichern und Altersarmut abzuwehren, die eine hinter nationalen Grenzen verkümmernde alternde Gesellschaft nach sich zöge.
Erst wenn die für Mitte der nächsten Woche vereinbarten und beginnenden Gespräche aus dem ungefähren Merkelschen Politikverständnis herausführen und sich eine Koalition herausmendelt, die tatsächlich einer Politik folgt, mit der Deutschland Europa stärkt, wird sich zeigen, ob der SPD-Parteitag den Anstoß dazu geben konnte und seine Verhandlungsdelegation die Mission nicht verleugnet, die der Parteitag ihr aufgetragen hat.