Von Johannes Rau habe ich vor vielen Jahren den Satz als eine Art Leitmotiv gehört: Einander achten und auf einander achten. Wenn ich mich umhöre und umschaue, scheint dieser gegenseitige Respekt nicht jedem geläufig zu sein. Rüpelhaftes Benehmen gegenüber Polizisten, Sanitätern, Leuten, die dazu da sind, anderen zu helfen. Man kann darüber nur den Kopf schütteln. Denn eines Tages könnten die, die heute auf Polizisten, Sanitäter, Feuerwehrleute einschlagen, selber deren Hilfe gebrauchen. Und dann? Werden sie sie ablehnen? Das werden sie nicht tun. Und gleichwohl werden die Helfer denen helfen, von denen sie gerade noch bespuckt wurden. Es ist ihre Pflicht. Sie versehen einen wichtigen Dienst in und an der Gesellschaft, der nicht hoch genug angerechnet werden kann. Wenn jetzt jemand reagiert mit dem ziemlich dämlichen Spruch: Ist mir doch egal! der sollte, wenn er dazu fähig ist, ein paar Sekunden nur darüber nachdenken. Unsere Gesellschaft ist auf dem bekannten Dreiklang aufgebaut: Die Jüngeren helfen den Älteren, die Gesunden den Kranken, die Reichen den Armen. Ich weiß selber, dass das nicht immer funktioniert-leider- und ich habe Ungerechtigkeiten des öfteren kritisiert. Der Dreiklang bleibt dennoch richtig und wichtig.
Wer heute durch Fußgängerzonen geht, wird immer wieder erleben, dass nicht alle der Maskenpflicht nachkommen. Das ist nicht nur leichtsinnig, das ist auch rücksichtslos. Wenn alle ohne Masken herumliefen, könnten manche Innenstädte bald zu Geisterstädten werden. Die Maske schützt den Gegenüber. Und wenn der Gegenüber auch Maske trägt, schützt der auch mich. Ist das so schwer zu verstehen? Ich sah heute beim Einkaufsbummel in Bonn ein paar Jüngere, kann sein Deutsche, kann sein Ausländer, die ohne Maske durch die Stadt schlenderten, palaverten. An jeder Ecke war das Maskengebot-Schild zu sehen. Sie ignorierten es. Was ich vermisst habe beim Gang durch die Stadt waren Ordnungshüter und/oder Polizisten. Wer diese lebensnotwendigen Regeln missachtet, muss dafür bezahlen. Es ist kein Spaß, es geht um Leben und Tod. Wir dürfen das nicht länger hinnehmen, dass bestimmte Leute die Warnungen und Verbote nicht ernstnehmen. Sie vergessen, dass es jeden treffen kann. Corona macht nicht halt vor einem 20jährigen oder gar einen Bogen um ihn.
Fast 19500 Menschen sind in Deutschland im Zusammenhang mit Corona gestorben. Mehr und mehr Krankenhäuser halten ihre Intensivbetten für Corona-Erkrankte bereit, es wird davon gesprochen, dass sie am Limit seien, mehr und mehr Kliniken verschieben andere Operationen. In einem Krankenhaus in Solingen werden nur noch schwerste Fälle außer Corona behandelt, zum Beispiel Leute mit Schlaganfall. Die Lage ist also ernst. Wir hören es täglich aus den Nachrichten, dass die Infektionszahlen steigen und steigen. Und mit ihnen auch die Zahl der Toten. Leute, das ist längst bitterer, tödlicher Ernst. Zwischen 400 und 500 Todesfälle meldet das RKI Tag für Tag, Todesfälle wegen Covid-19. In einer Woche über 2600 Tote. Merkwürdig ist für mich die Gleichgültigkeit, mit der viele, zu viele diesem tödlichen Drama begegnen. Ich muss mich schon wundern, dass der Bundesliga-Betrieb im Fußball einfach so weiterläuft, ohne Zuschauer. Hauptsache, die Herren Millionäre bekommen ihre satten Gehälter weiter samt Prämien. Ich habe früher gern Fußball geschaut, aber seit Corona interessiert es mich nicht mehr, ob Schalke absteigt, Bayern zum xten Mal deutscher Meister wird, was der BVB erreicht. Es geht nur noch ums Geld. Gerade haben sie die TV-Gelder neu verteilt. Die Bayern kriegen das meiste. Weil sie die Besten sind. Aber lassen wir das. Champions-League, Pokalgewinn, Meisterschale. Mich langweilt diese Diskussion, mehr noch, ich finde sie abstoßend. Was Herr Löw macht, oder Herr Bierhoff oder oder? Gerade las ich, der Herr Löw sei wütend. Donnerwetter! Wen interessiert das?
Söder setzt seine Alleingänge fort
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder ist mal wieder vorgeprescht und will im Freistaat wegen Corona die Freizügkeit seiner Bewohner einschränken. Fast könnte man sagen, der Mann hat Recht, wenn er denn den Sprüchen Taten folgen ließe. Der Freistaat hat mit die höchsten Corona-Zahlen. Und dennoch soll Weihnachten gefeiert werden mit zehn Personen, ein Familienfest. Der Franke Söder nimmt mal wieder den Mund sehr voll, um den Eindruck zu erwecken: Bayern als Vorbild. Uns nach. Das ist gelinde gesagt: Unsinn. Söders Bayern haben eher Nachholbedarf. Soll er doch vorangehen und den Laden dichtmachen, den Unterricht teils nach Hause verlagern, Ausgangssperren verhängen. Aber er inszeniert das alles nur, nimmt eine drohende Haltung ein, weil er sich sorgt um seine Wählerinnen und Wähler, um die Eltern, die Wirtschaft, die selbst in einem reichen Land wie Bayern nicht unentwegt Geld verschenken kann. Söder verschärft die Sprachregelung, so die SZ in ihrem München-Bayern-Teil. Das ist es. Dabei wäre Verzicht angebracht, weil Verzicht Leben retten kann. Aber Verzicht heißt auch Demut, heißt zugeben, dass nicht alles funktioniert im schönen von der CSU erfundenen Bayern-Land, bedeutet auf Muskelspielchen verzichten a la Söder, von dem man nicht genau weiß, was er will. München oder doch Berlin? Was Strauß und Stoiber gegen Schmidt und Schröder nicht geschafft haben, könnte er, folgt man Umfragen, packen. Das Kanzleramt.
Wir hätten auf die Kanzlerin hören sollen, die schon vor Wochen gemahnt hatte: Bleiben Sie zu Hause. Kein Kontakt ist besser als ein Kontakt. Aber Angela Merkel hat an Autorität verloren, seit sie den CDU-Vorsitz an Annegret Kramp-Karrenbauer abgegeben hat, die aber früh erkennen musste, dass das alles eine Nummer zu groß ist für sie. Seitdem ist die CDU ohne Führung, streiten sich Laschet, Merz und Röttgen. In Sachsen-Anhalt und anderswo ist zu besichtigen, wie kopflos die Union dasteht. Dazu kommt, dass die Kanzlerin durch ihre Ankündigung, nicht mehr anzutreten, ihren Einfluss eingebüsst hat. Niemand muss sie mehr fürchten, niemand kann mehr auf eine Beförderung hoffen durch Merkel. Sie moderiert die Runden mit den Ministerpräsident´innen, aber sie kann sich nicht mehr durchsetzen. Die Damen und Herren in den Staatskanzleien der Länder machen, was sie wollen.
Dabei darf man doch zu Recht fragen, was wichtiger ist? Geld oder Leben? Ja, darum geht es. Warum wird überhaupt noch darüber diskutiert, ob geböllert werden darf oder nicht. Lasst doch den Quatsch sein! Es geht um Leben und Tod, in jeder Stadt. Es kann die Alten in den Heimen treffen, die Kranken, aber auch die Jüngeren sind nicht immun gegen diese heimtückische Pandemie. Am besten wäre es natürlich, wenn wir bundesweit die gleichen Regeln hätten, aber Föderalismus ist ein mühsamer demokratischer Prozess, da kann nicht irgendein Politiker bestimmen, was Sache ist. Das Risiko besteht, wenn wir in jedem Land eigene Regeln erlassen, hier Hotels schließen und ein paar Kilometer weiter sie öffnen, wenn hier die Kneipen öffnen, aber im nächsten Land dichtbleiben, dann wird das die Reisetätigkeit bestimmter feierhungriger Zeitgenossen anstacheln. Mit allen bekannten Folgen.
Weniger Kontakte, weniger Infektionen, weniger Tote
Dazu kommt, das mussten Merkel und Co auch lernen: Das jeweilige Parlament entscheidet. Die Abgeordneten im Bundestag wollen gefragt werden, sie wollen mitreden. Das Hohe Haus gehört ihnen, den Volksvertretern. Außerdem: Wer Verbote fordert, bekommt den Protest derer, die gegen diese Einschränkungen ihrer Freiheiten wettern. Ist es wirklich so schlimm, wenn eine Ausgangssperre verhängt wird? Wenn Kneipen geschlossen sind, wenn wir den Skiurlaub verschieben, Masken tragen müssen, Abstand halten, Hände waschen, keine Umarmungen? Weniger Kontakte, weniger Infektionen, weniger Kranke, weniger Tote. Niemand will hier Grundrechte abschaffen. Was spricht gegen eine andere Organisation des Schulunterrichts, der entzerrt wird, teils zu Hause stattfindet, dann in der Schule, wenn wir dafür sorgen, dass die Schulbusse nicht so voll sind. All das könnte helfen gegen Corona. Und würde gleichwohl die Bildungsrechte der Kinder nicht reduzieren.
Im Frühjahr sind wir fast aus dem Sessel gefallen, als wir die Bilder aus Italien sahen, aus Bergamo. Als die Toten mit Lastwagen abtransportiert wurden. Eine Zeitlang konnte man den Eindruck gewinnen, als käme die Gesellschaft zur Ruhe, als würde nachgedacht. Ja, man konnte die Hoffnung haben, dass die Leute ihre Ellenbogen einfahren, mit denen sie sich früher Platz verschafft hatten. Es wurde wieder über Solidarität geredet, Solidarität gegenüber den Schwachen, den Alten, den Kranken. Die solidarische Gesellschaft schien wieder aktuell zu werden. Rücksicht ersetzte Rücksichtslosigkeit, man sah, dass der eine dem anderen auswich, Platz machte. Ich habe solche Bilder als angenehm empfunden. Es wurde auch nicht gedrängelt, vor den Türen zu den Geschäften sorgten umsichtige Menschen in Uniformen dafür, dass immer nur einige wenige in die Geschäfte gelangten. Gut, das mit dem Klopapier war manchmal komisch, weil man Leute sah mit drei oder vier Paketen, man sah leere Regale, in denen früher Nudeln und Dosen mit Fleischgerichten angeboten wurden. Als drohte ein Versorgungsengpass. Ich fand das ziemlich komisch.
Aber längst hat diese Diskussion der alten Debatte Platz gemacht. Jetzt wird wieder gedrängelt, als gäbe es kein Morgen. Die Frage ist plötzlich wieder: Verkaufsoffener Sonntag, Ja oder Nein, als hinge alles davon ab. Das Geschäft ist wieder in den Vordergrund gerückt, nicht die Sorge um Corona-Erkrankte. Dass die Politik Geld bereit stellt, damit die Firmen überleben, deren Kosten weiterlaufen, die aber auf Einnahmen verzichten müssen. Kneipen und Restaurants sind dicht wie viele Hotels. Man möchte nicht in deren Haut stecken. Hoffentlich kommen sie durch, drückt man manchem Italiener die Daumen oder dem Wirt an der Ecke. Was wird aus den Betreibern von Skiliften im Sauerland, in Bayern, überhaupt in den Alpen? Das sind Fragen, die nicht von der Hand zu weisen sind. Aber nochmal, die Politik schultert schwere Pakete, um möglichst vielen das Überleben zu sichern. Milliarden über Milliarden Euro.Der Bundesfinanzminister Olaf Scholz, um den herauszugreifen, tut das ja nicht, weil er Spaß daran findet, Geld zum Fenster rauszuwerfen. Er will Solidarität fördern, Gemeinsinn, Gemeinschaft. Und wir alle werden später dafür bezahlen müssen. Das ist ok. Wer dagegen ist, möge bitte bedenken, wie dankbar er wäre an der Stelle mancher Wirte, die nur durch diese Euro-Hilfen über die Runden kommen.
Wir reden seit Wochen darüber, wie Weihnachten gefeiert werden kann. Oder Silvester. In einer Runde mit bis zu fünf oder zehn Leuten soll es möglich sein. Weihnachten das Fest der Familie. So wichtig es ist, dass wir dabei gerade auch an Einsame denken, an Großeltern, Alleinerziehende. So wichtig vieles sein mag: Gesundheit und Leben gehen vor. Es macht keinen Sinn, ein paar Tage auf den Putz zu hauen und alle Vorsicht sausen zu lassen, wenn deswegen die Infektionen wegen Corona und die Anzahl der Toten in die Höhe schnellen. Jeder muss hier selber verantwortlich handeln, muss die Regeln einhalten, die uns vor Corona schützen sollen, was aber wegen der Unverletztlichkeit der eigenen vier Wände nicht kontrolliert werden darf.
Solidarität ist gefragt, Rücksichtnahme. Einander achten, aufeinander achten. Das ist doch nicht zuviel verlangt. Und es kann Leben retten, von Freunden, Bekannten, Familienmitgliedern.
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