Eines muss man der Kanzlerin und ihrem Fraktionschef von CDU/CSU im Bundestag, Volker Kauder, schon lassen. Sie schaffen es, sich von eigenen Vorschlägen zu distanzieren, und dann auch noch dem Koalitionspartner den Schwarzen Peter in die Hand zu drücken. So geschehen bei der Diskussion über die Zukunft des Soli.
Wir erinnern uns: Am 21. Juli 2013 antwortet die Kanzlerin in einem Interview mit der WELT auf die Frage „ Und der Soli?“ mit den Worten: „Wenn ich auf die nächsten Jahre blicke, sehe ich großen Investitionsbedarf, und zwar in ganz Deutschland, etwa in Straße und Schiene. Außerdem wollen wir in der nächsten Legislaturperiode endlich Staatsschulden zurückzahlen. Ich sehe nicht, wie wir einen Betrag in dieser Höhe an anderer Stelle einsparen könnten. Die Union hat deshalb keine Pläne zur Abschaffung des Solidaritätszuschlags.“ Ein Jahr später, vor den Landtagswahlen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen sagt sie am 13. August 2014 in einem Interview mit der „Thüringischen Landeszeitung“, der „Thüringer Allgemeinen“ und der „Ostthüringer Zeitung“, sie sehe derzeit nicht, dass der Solidarzuschlag kurzfristig abgeschafft werde.
Das hat selbst ihr Finanzminister, Wolfgang Schäuble, geglaubt. Das Aufkommen aus dem Solidarzuschlag spielt bei seinen Überlegungen, wie die Finanzströme zwischen Bund und Ländern auf eine solide Grundlage gestellt werden könnten, eine zentrale Rolle. Die Idee, den Soli in die Einkommensteuer zu integrieren, kam nicht von Rot-Grün und entstand erst recht nicht erst am vergangenen Sonntag, als sich die Regierungschefinnen und Regierungschefs der von SPD, Grünen und Linken gebildeten Landesregierungen in Düsseldorf trafen, um eine gemeinsame Linie abzustimmen.
Der Hamburger Erste Bürgermeister Olaf Scholz hatte sich zunächst vielmehr wie Nordrhein-Westfalen und einige andere Länder dafür ausgesprochen, die Mittel aus dem Solidarzuschlag zumindest teilweise auch für den Schuldendienst der Länder einzusetzen, die ihren Umbau seit Jahrzehnten ohne Soli selber finanzieren mussten und deshalb hohe Kreditbestände aufgebaut haben. Es wäre nicht mehr als recht, diese Länder im Nachhinein aus Mitteln der Solidargemeinschaft ein Stück zu entlasten. Damit nicht einverstanden waren Länder, die entweder wegen ihrer hohen Steuerkraft relativ wenige Altschulden haben – wie etwa Bayern – oder keine Kredite aufnehmen mussten, weil Ausgleichszahlungen anderer Länder und Bundeshilfen sie davor bewahrt hatten. Das gilt für einige der ostdeutschen Empfängerländer.
Weil der Altschuldentilgungsfonds mehr Gegner als Befürworter hatte, aber alle gemeinsam ohne eine Entlastung der Länder keine Möglichkeit sahen, neben der Einhaltung der Schuldenbremse auch noch die substanziellen Investitionen in die Zukunft vorzunehmen, kam der Vorschlag einer Einbeziehung des Soli in die Einkommensteuer auf den Tisch – und zwar gemeinsam getragen von Olaf Scholz, SPD, und Wolfgang Schäuble, CDU. Von vornherein war klar, dass diese Integration für keinen Steuerzahler zu einer Mehrbelastung führen dürfe. Dafür gibt es auch Lösungen.
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hatte gute Gründe für diesen Weg. Da die Einkommensteuer zu je 42,5 Prozent an Bund und Länder und zu fünfzehn Prozent an die Kommunen fließt, würde sich der Bund so dauerhaft knapp die Hälfte des Aufkommens sichern – nach gegenwärtigem Stand immerhin rund sechs Milliarden Euro. In Zeiten der lautstark propagierten „schwarzen Null“ ist das keine Kleinigkeit. Die Gefühle der Länder waren eher gemischt. Warum ein so hoher Anteil für den Bundeshaushalt? Und wie würde das Ungleichgewicht korrigiert, das entstünde, wenn der Länderanteil nicht zuvörderst den finanzschwachen, sondern den einkommensteuerstarken Ländern zufiele? Es war nicht einfach, die Bedenken mit dem Hinweis zu zerstreuen, dass das über Zahlungsströme im Wege des Ausgleichs zwischen den Ländern zu erfolgen habe.
Genau das war offenbar der Grund für Bayern, in den Widerstand zu treten. Denn Bayern würde von der Integration des Soli in die Einkommensteuer unbeabsichtigt am meisten profitieren – und müsste dementsprechend von seinem Zugewinn einen Teil abgeben anstatt seine Zahlungssumme senken zu können. Diese Sorge einer ungünstigen Optik zusammen mit der erkennbaren Taktik interessierter Kreise, den Ersatz des Soli durch höhere Steuertarife wahrheitswidrig, aber wohl wirksam als Steuererhöhung zu brandmarken, hat die Kanzlerin mit sanftem Druck aus München offenbar zur Kehrtwende veranlasst. Das wollte man sich dann doch nicht ans Revers heften lassen: CDU/CSU knicken ein und wollen eine Steuererhöhung.
Dann lieber den Bundesfinanzminister düpieren, der diesen Vorschlag mitentwickelt hatte und der jetzt verständlicherweise erkennbar schweigsam ist. Oder aber noch besser: Den Spieß einfach umdrehen und so tun, als hätten SPD und Grüne den Einbau des Soli in die Einkommensteuer erfunden. Bayerns Finanzminister Markus Söder und der Fraktionschef von CDU und CSU im Bundestag, Volker Kauder, geißeln ohne mit der Wimper zu zucken einen Vorschlag des Bundesfinanzministers als Vorstoß von Rot-Grün und behaupten auch noch dreist, dieser Vorschlag einer reinen Verschiebung des Soli von einer Ergänzungsabgabe zu einer regulären Steuer sei eine Erhöhung, obwohl kein einziger Steuerzahler mehr abzugeben hätte. Versuchen kann man es ja.
Man darf nur gespannt sein, wie die Kanzlerin und ihr Gefolge aus der selbstgewählten Sackgasse herauskommen. Verzichten will und kann Frau Merkel nicht auf die Einnahmen aus dem Soli. Wenn sie gegen die ehrliche und rechtlich einwandfreie Integration in die Einkommensteuer ist, darf man auf ihre Alternativen gespannt sein. Den Soli einfach weiterlaufen zu lassen und die Mittel nach der Melodie „O Soli mio“ allein für den Bundeshaushalt zu beanspruchen, dürfte kein Hit, sondern ein Flop werden. Diejenigen, die die Kanzlerin jetzt mit Steuererhöhungslegenden vor sich her treiben, werden nicht zögern, jede halbseidene Alternative vor dem Bundesverfassungsgericht zu beklagen. Ein Fortschritt auf dem Weg zu geordneten Finanzbeziehungen von Bund und Ländern, die alle in die Lage versetzen, auf Kredite zu verzichten und dennoch dringend notwendige Investitionen in die Zukunft vorzunehmen, sieht anders aus.
Bildquelle: Bundesministerium der Finanzen, Foto: Ilja C. Hendel