„Die Ampel muss weg.“ So die fast tägliche Forderung von CSU-Chef Markus Söder. Dass der bayerische Ministerpräsident im Stil der AfD tönt und dies nicht nur am Aschermittwoch in Passau, scheint diesen nicht zu stören. Es geht gegen die von ihm ungeliebte Ampel-Regierung aus SPD, den Grünen und der FDP. Dass erst im Herbst 2025 der neue Bundestag gewählt wird, interessiert Söder nicht. Er will sie weghaben, möglichst jetzt, vielleicht durch eine Neuwahl im Sommer, dann wenn die Europa-Wahl stattfindet. Sie sei die schlechteste Regierung, die es je in Deutschland gegeben habe, tönt sein CSU-Landesgruppenchef in Berlin, Alexander Dobrindt, der vergessen haben muss, dass er einst zur Reihe der Bundesverkehrsminister aus der CSU gehörte, die den teuren Maut-Beschluss zu verantworten haben, der gerichtlich zurückgenommen wurde und die deutschen Steuerzahler rund 245 Millionen Euro kostet. Die Ampel muss weg. Dass Söder selber mit einem umstrittenen Mann wie Hubert Aiwanger regiert, der die Demokratie zurückholen will und der die in Berlin beschimpft, die hätten doch wohl den Arsch offen, ist wohl Nebensache. Wie auch das mit dem Bau der Windräder, der im großen Bayern-Land nur mäßig vorankommt. Politisch wird gepoltert auf Deubel komm raus.
Man ist ja einiges gewohnt, wenn man politische Debatten regelmäßig verfolgt. Ich kann mich noch an Franz Josef Strauß, den CSU-Chef und bayerischen Ministerpräsidenten, erinnern und seine Attacken auf die Sozialdemokraten. Der Untergang des Abendlandes stand zumeist am Horizont, wenn Strauß über die angeblich fehlende Regierungstauglichkeit der Sozis herzog. Und auch Herbert Wehner, der legendäre SPD-Fraktionschef in Zeiten der sozialliberalen Regierungen unter den Kanzlern Willy Brandt und Helmut Schmidt, hatte oft seine Samthandschuhe weggelegt, wenn er sich über den Abgeordneten Dr. Kohl lächerlich machen wollte. Und diesem zurief „Mahlzeit“, wenn der CDU-Chef davon sprach, es seit Zeit für dies oder das. Oder wenn Wehner den politischen Gegner schlicht und einfach als „Strolch“, „Quatschkopf“ oder „Dreckschleuder“ titulierte. Oder einem Christdemokraten riet, er möge sich zuerst mal waschen. Zimperlich waren beide nicht, andere übrigens auch nicht. Da wurde richtig gehend geholzt.
Adenauer: Brandt alias Herbert Frahm
Der große Kanzler Konrad Adenauer war auch nicht zurückhaltend, wenn er über seinen Widersacher von der SPD, Willy Brandt, redete. Der Alte kannte keine Verwandten im Wahlkampf, also sprach er über „Brandt, alias Herbert Frahm“, um herauszustellen, dass der SPD-Kanzlerkandidat Willy Brandt ein uneheliches Kind war. Damals, in den 60er Jahren, eine Ungeheuerlichkeit, aber nicht das Zitat von Adenauer, sondern die Tatsache, dass Brandt ein uneheliches Kind war. Als hätte er was Unrechtes getan. Die Attacke war gemein, fies. Aber sie schadete dem Christdemokraten Adenauer nicht.
Im Wahlkampf 1980, Strauß kandidierte gegen Schmidt, sprach die SPD der Union die Friedensfähigkeit ab. Nicht die feine Art des Angriffs auf den Gegner. Denn was will man dem anderen damit unterstellen? Dass er nicht für Frieden ist? Wahlkampf halt, so argumentierte man einst, Strauß konnte einstecken, er teilte aber auch aus und unterstellte der sozialliberalen Koalition unter dem „Weltökonomen“ Helmut Schmidt, dass sie mit Geld nicht umgehen konnte. Nicht schlimm? Sagen sie heute. Damals war das ein täglicher verbaler Angriff wie früher der Verdacht Adenauers gegenüber der SPD, sie plane gemeinsame Sache mit den Sowjets in Moskau, werde von den Kommunisten bezahlt. Später machte ein CDU-Generalsekretär Heiner Geißler daraus die „Fünfte Kolonne Moskaus“. Geißler, auch kein Kind von Traurigkeit im Umgang mit dem politischen Gegner, bezeichnete Wehner als „größte parlamentarische Haubitze aller Zeiten.“ Und Geißler nannte den Kanzler Schmidt einen „Rentenbetrüger“. Als Schmidt, selber nicht pingelig, hieß er doch nebenbei Schmidt-Schnauze, mit Klage drohte, setzte der CDU-Generalsekretär das Wort „politischer“ vor den Rentenbetrüger.
Um noch bei Wehner zu bleiben. „Onkel Herbert“, wie ihn die Sozialdemokraten in seinen besten Zeiten liebten, kassierte im Bundestag in Bonn 57 oder 58 Ordnungsrufe. Ein Allzeit-Rekord. (Schon der kommunistische Abgeordnete Wehner hatte im sächsischen Landtag während der Weimarer Republik über ein Dutzend Ordnungsrufe bekommen.) Berühmt die Wortverdrehung Wehners gegenüber dem Berliner CDU-Abgeordneten Wohlrabe, aus dem Wehner kurz und trocken eine „Übelkrähe“ machte, um ihn anschließend als „Schwein“ zu beschimpfen und diesen dann noch zu fragen: „Wussten Sie das?“ Den CDU-Mann Todenhöfer taufte er in „Hodentöter“ um. Dem SPD-Abgeordneten Josef Zebisch, der sich bei ihm über die nach dem Alphabet ausgerichtete Sitzordnung beschwert hatte, riet er, „sich in Genosse Arschloch“ umzubenennen.
Wehner und der Kopfab-Jäger
Ja, es waren harte Auseinandersetzungen unter Demokraten, die sich hart angingen, aber immer auch in der Lage waren, miteinander Politik zu machen in einer Koalition. Sie waren politische Gegner, keine Feinde. Man schonte einander nicht. Als der CSU-Abgeordnete Jäger, damals auch Vizepräsident des Bundestages, den SPD-Abgeordneten Friedhelm Farthmann bat, sich bei der Qualifikation der Zwischenrufe von Kollegen zurückzuhalten, rief Wehner lautstark dazwischen: „Nur so kann man Ungeziefer abwehren, Herr Präsident.“ Eben diesen meinte Wehner damit, weil Jäger zu den wenigen Mandatsträgern gehörte, die die Wiedereinführung der Todesstrafe forderten. Deshalb hieß der CSU-Mann auch mit dem Spitznamen „Kopfab-Jäger. Und als dieser Jäger dann in einer Debatte über die Pornographie redete, rief Wehner dazwischen. „Glied ab!“ Jahre später bekam es der CDU-Abgeordnete Rainer Barzel mit Wehner zu tun. Barzels Einwurf „Ich habe nicht die Absicht, einen Pappkameraden hier aufzubauen, wie Sie das nannten“, konterte der SPD-Politiker: „Sie sind ja selber einer.“ Das Protokoll verzeichnete Beifall bei der SPD und lebhafte Zurufe bei der Union, Motto: „Unerhört.“ Der amtierende Parlamentspräsident Herbert Schmitt-Vockenhausen(SPD) musste eingreifen, fragte Wehner: „Herr Abgeordneter Wehner, haben Sie den Herrn Abgeordneten Dr. Barzel eben als Pappkameraden bezeichnet?“ Darauf Wehner: „Lesen Sie das bitte im Protokoll nach, Herr Präsident“. Darauf Schmitt-Vockenhausen: „Ich werde es im Protokoll nachlesen.“ Dann rief für die Union der Abgeordnete Rasner dazwischen: „Ein unverfrorener Mensch“. Rösing von der CDU/CSU empörte sich: „Sie sind ja selber einer, hat er gesagt.“ Die Stimmung beruhigte sich, Rainer Barzel fuhr fort: „Bleiben wir also bei den Pappkameraden.“ Darauf Wehner: „Schleimer wäre richtiger.“ Worauf Wehner erneut einen Ordnungsruf erhielt. Die Debatte ist nach einem Artikel in der Zeitung „Die Welt“ zitiert.
Journalisten wurden von ihm auch nicht geschont. Den ARD-Reporter Ernst Dieter Lueg redete Wehner während eines Interviews mit „Herr Lüg“ an, dieser revanchierte sich mit den Worten: „Vielen Dank Herr Wöhner“.
Das kann man fast als kabarett-reif qualifizieren, liest man es heute nach. Damals, in den 70er Jahren, herrschte im Bundestag eine mehr oder weniger gereizte Stimmung, aufgebracht, kämpferisch. Die Union konnte und wollte sich nicht mit der ihr ungewohnten Rolle in der Opposition begnügen, dazu die Ostpolitik der Regierung Brandt/Scheel, die sie mit aller Macht und Emotion bekämpfte, vom Ausverkauf Deutschland schwadronierte, aber letztendlich ohne Erfolg. Denn der Verlust der Ostgebiete war längst Realität, eine Folge des von Hitler entfachten Weltkrieges. Da ging es im Hohen Haus oft hoch her, es flogen die Fetzen, man schenkte sich nichts, im Parlament und draußen. Und einer wie Herbert Wehner schonte die eigenen Leute nicht, nicht mal den Kanzler Willy Brandt, dem er auf einer Moskau-Reise bescheinigte: „Der Herr badet gern lau.“ Eigentlich eine Unverschämtheit, die zur Entlassung Wehners hätte führen müssen, doch der blieb im Amt.
Wir kennen die verbalen Entgleisungen eines Joschka Fischer, als dieser dem amtierenden Bundestagspräsidenten Richard Stücklen zurief „Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch.“ Weil wegen des Endes der Sitzung das Mikrofon abgeschaltet worden war, kamen die Zeilen Fischers nur im Flüsterton an die Ohren des CSU-Mannes Stücklens und die der Öffentlichkeit. Aufregung darüber gab es im Grunde keine, der CSU-Mann war da nicht pingelig. Er selber gehörte neben Strauß zu den Hardlinern gegenüber dem SPD-Chef, Kanzler und Friedensnobelpreisträger Willy Brandt, die diesem die bösartige Frage gestellt hatten, wo er denn während der Nazi-Zeit und des Krieges gewesen sei. Dass Brandt vor den Nazis geflohen war, um sein Leben zu retten, war bekannt, die Frage enthielt aber die infame Unterstellung, dass Brandt auf der anderen Seite gegen die Deutschen gekämpft habe. Emigrant gewesen zu sein, das machte einen in den Augen manches Deutschen nicht beliebt. Und natürlich warfen sie Brandt ungesagt vor, dass er nach dem Krieg als Journalist für eine norwegische Zeitung über die Kriegsverbrecherprozesse gegen Göring und Co. in Nürnberg berichtet hatte. So nach dem Motto des Vaterlandverräters.
Ton ist ruppiger geworden
Der Ton in den öffentlichen Debatten ist ruppiger geworden, wird geklagt. Frank-Walter Steinmeier, Bundespräsident, früher Bundesaußenminister, Kanzleramtschef unter Gerhard Schröder, äußerte sich vor Wochen zu den Demonstrationen der Landwirte gegen die Kürzungsvorschläge der Ampel, die die Bauern finanziell treffen. Kritik an der Regierung gehöre zur Demokratie, die Grenze sei aber überschritten, wo zu Hass und Gewalt aufgerufen werde, wo gewählte Politikerinnen und Politiker beschimpft, verunglimpft und angegriffen, ihnen und ihren Angehörigen gar mit dem Tod gedroht würden. Wut sei kein guter Ratgeber. Ihn habe schockiert, dass der Wirtschaftsminister Robert Habeck(Grüne) so bedroht worden sei, dass er die Fähre nicht verlassen konnte und sich in Sicherheit bringen musste. Auch die Vorkommnisse in Biberach, wo die Grünen-Chefin Lang so angegriffen wurde, dass sie die geplante Aschermittwoch-Veranstaltung absagen musste, ist ein ungutes Signal. Es gibt Vermutungen, die Demonstrationen seien von Rechtextremisten unterlaufen, die die Proteste dazu nutzen, Stimmung gegen den Staat und die Demokratie zu schüren.
Es ist etwas ins Rutschen geraten, urteilen Forscher. Wenn an Traktoren Galgen hängen, (wie einst bei Pegida Plakate mit den Köpfen von Merkel und Gabriel am Galgen), wenn Aufrufe kursieren mit Umsturzfantasien, wenn völkisch-nationalistische Symbole getragen werden, dann ist das kein demokratisch legitimierter Protest mehr. Diesen Demonstranten geht es nicht um den Agrardiesel, sie benutzen den Protest der Bauern nur als Vorwand, um den Staat Bundesrepublik lahmzulegen und diesen zu zerstören. Dass die AfD die Absage des politischen Aschermittwochs als Resultat gelebter Demokratie würdigt, zeigt einmal mehr, welches Demokratieverständnis die Rechtspopulisten und Rechtsextremisten haben. Ihnen scheint alles recht zu sein, was diesen Staat und seine Repräsentanten untergraben. Es ist beschämend, was hier passiert ist. Und Politiker wie Söder müssen sich fragen, ob ihre Kampagne gegen die Grünen nicht dazu beigetragen hat, diese Stimmung mit zu befördern. Ein Vergleich der Grünen-Ministerin Steffi Lemke mit der einstigen DDR-Politikerin Margot Honecker ist voll daneben. Steffi Lemke hat 1989 in der DDR gegen die SED-Diktatur demonstriert, für Freiheit und Demokratie. Wer so attackiert wie Söder jetzt oder wie im zurückliegenden Wahlkampf darf sich nicht wundern, wenn er selber zum Teil des Problems erklärt wird und die Angriffe auf die Grünen auch ihm und seinen Reden angelastet werden.
Weniger ist mehr, scheint für einen wie Söder nicht zu gelten. Immer feste drauf. Söder vergreift sich im Ton, wieder mal. Dabei müsste er abrüsten, für Entspannung sorgen, nicht länger die Stimmung aufheizen. Dass seine rüden Attacken der AfD helfen, müsste ihm eigentlich klar sein. Gerade jetzt, da sich die Demokraten in Deutschland versammeln, für die Demokratie und gegen die Rechtsextremisten und die AfD, wäre Besonnenheit des bayerischen Ministerpräsidenten gefragt, müsste er sich einreihen. Neben die Grünen stellen. Sie sind Demokraten, politische Mitbewerber, aber der Feind steht rechts. Und ganz nebenbei ist die erneute Absage Söders an Schwarz-Grün in Berlin ziemlich dumm. Dass er eine Koalition mit einem wie Aiwanger einem Bündnis mit den Grünen vorzieht, ist kein Ausweis politischer Klugheit Söders. Die Grünen koalieren in NRW mit der CDU wie auch in Schleswig-Holstein, in Baden-Württemberg stellen sie den Ministerpräsidenten Kretschmann in einem Bündnis mit der Union. Sie tun das besonnen und erfolgreich. Demokratisch. Wenn Söder so weitermacht, ist er bald isoliert in den Reihen der Demokraten.