„Es geht um das Ansehen Bayerns“, sagte Staatskanzleichef Florian Herrmann(CSU) noch am Montag und begründete damit die Einbestellung des stellvertretenden Ministerpräsidenten des Freistaats, Hubert Aiwanger, durch seinen Chef, Markus Söder. Der hatte nach Bekanntwerden des vor Antisemitismus nur so triefenden Flugblatts, das einst in der Schultasche des 17jäjhrigen Schülers Hubert Aiwanger gefunden worden war, betont, das Papier sei „eklig“. Und weil die Vorwürfe gegen die vermuteten Autoren mit Recht so heftig waren, war eigentlich für den normalen Bundesbürger klar, was der Chefredakteur der „Süddeutschen Zeitung“ , Wolfgang Krach, in seinem Leitartikel zur Causa Hubert Aiwanger kommentierte: „Hubert Aiwanger ist nicht mehr haltbar. Nicht für seine Partei, nicht für seinen Koalitionspartner CSU- und auch nicht für Bayern“. Aber das mit dem Ansehen Bayerns sah Ministerpräsident Söder offensichtlich etwas anders. Er wird damit sein Amt gemeint haben, um das es geht in diesem Wahlkampf und das er mit wenig Glanz, aber um so mehr Gloria verteidigen will. Und das er sich nicht durch Aiwanger und so ein Flugblatt gefährden lassen will. Also fasste der Söder, Markus, immer schon gern eine Art Maulheld, den Beschluss, der Aiwanger müsse einen Fragenkatalog mit 25 knallharten Fragen beantworten. Dann! Dann? Sage ich mal, kann die Koalition der Heimat aus CSU und Freien Wähler ihre Arbeit fortsetzen. Passt, oder?
Der Blog-der-Republik hatte am Wochenende, die SZ pausenlos zitierend, über dieses schlimme Flugblatt berichtet. Die Münchner Zeitung hatte es ans Licht der Welt gebracht, was sich 1987/88 an einem Gymnasium im niederbayerischen Mallersdorf ereignet hatte. Hubert Aiwanger sagte auf Fragen der SZ, er habe kein antisemitisches Flugblatt geschrieben, er habe nur „eines oder wenige“ dieser Pamphlete, in denen das „Vergnügungsviertel Auschwitz erwähnt wird, in seinem Schulranzen gehabt. Möglicherweise habe er ein paar dieser wirklich üblen rechtsextremistischen Hetzschriften, in denen ein „einjähriger Aufenthalt in Dachau(„Freie Kost und Logie“)“ ausgelobt wird, verteilt. So genau sei ihm das heute aber nicht mehr erinnerlich. Was er weiß, der Hubert Aiwanger, dass er den Inhalt „ekelhaft und menschenverachtend“ findet und er sich „auch nach 35 Jahren vollends von dem Papier“ distanziere.
Warum war das Flugblatt im Ranzen?
Die Frage war ja auch von Anfang an, warum der Hubert Aiwanger das Papier möglicherweise mit sich im Schulranzen herumgetragen habe? Kann sein, dass er nicht der Verfasser des Flugblatts ist, möglich, dass die Version des Bruders Helmut stimmt, der sich irgendwann am Wochenende zu Wort meldet, er sei der Verfasser der Schrift gewesen. Er habe sich über die Schule schwer geärgert, weil er sitzengeblieben sei, deshalb habe er das Stück geschrieben. Aber warum ist dann der Hubert vom Disziplinarausschuss der Schule -wenn auch nur milde- bestraft worden? Es fällt auf, dass der Sprecher des bayerischen Wirtschaftsministers Aiwanger die Behauptungen der SZ zurückgewiesen hat und „gegen diese Schmutzkampagne im Falle einer Veröffentlichung mit juristischen Schritten drohte. Warum nur? Hubert Aiwanger hat eingeräumt die Sache mit dem Schulranzen, dann die mit dem Disziplinarausschuss, sogar das mit dem Verteilen der Flugblätter schloss er nicht aus, sondern hielt es für möglich.
Die Fassung mit seinem Bruder Helmut kam spät. Als die SZ sich der Drohung nicht gebeugt hatte. Und dann analysierte Helmut, der Hubert habe die Pamphlete wieder einsammeln, deeskalieren wollen. Aber ganz sicher ist sich der Bruder Helmut auch wiederum nicht. Und klar, distanziert sich Helmut heute von dieser Schrift, die er nicht verfasst habe, „um Nazis zu verherrlichen oder den Holocaust zu leugnen“. Er sprach von einer „stark überspitzten Form der Satire“. Darauf muss man erst mal kommen. Und das mit der „Jugendsünde“ erwähnte Helmut auch. Im übrigen „schäme“ er sich „für diese Tat“ und bitte „vor allem meinen Bruder um Verzeihung für die damals verursachten Schwierigkeiten, die auch noch nach 35 Jahren nachwirken.“
Erkundungen beim Lehrer
Selbst wenn man diese Erklärungen des Bruders Helmut für bare Münze nimmt, wie verhält es sich mit dem Vorgang aus dem Jahre 2008? Damals soll Aiwanger durch das Freie-Wählerin-Mitglied Jutta Widmann habe erkunden lassen, „ob aus der Geschichte noch Ärger zu befürchten sei“. Schreibt die SZ in ihrer Dienstag-Ausgabe. Das Blatt beruft sich auf einen früheren Lehrer des Burkhart-Gymnasiums in Mallersdorf-Pfaffenberg. Frau Widmann sitzt seit 2008- das Jahr, als die Freien Wähler das erste Mal in den Landtag einzogen- bis heute im bayerischen Landesparlament im Maximilianeum. Bei der Geschichte habe es sich eindeutig um das Flugblatt gehandelt, so die SZ und beruft sich auf den Lehrer, der aus Furcht vor Repressalien seinen Namen öffentlich nicht nennt. Das Blatt kennt seinen Namen jedoch. Damals sei der Lehrer von einer „Jugendsünde“ Aiwangers ausgegangen, drum habe er abgewunken und das Thema nicht öffentlich gemacht. Erst Hubert Aiwangers Auftreten und Rede bei der Demo in Erding gegen das Heizungsgesetz habe seine Meinung geändert, weil Aiwanger dort gefordert hatte, „die große schweigende Mehrheit“ müsse sich „die Demokratie zurückholen“. Dazu ergänzt die „Süddeutsche Zeitung“, dass der erwähnte Lehrer „eine von mehreren Quellen“ sei, „die die Recherchen der SZ übereinstimmend bestätigen“. Jutta Widmann, schreibt die Zeitung, wolle sich zu dem Vorgang aus 2008 nicht äußern. Aber damit ist es wohl nicht genug, wie ich aus der SZ erfahre. „Erst vor kurzem“ soll sie „erneut bei dem Lehrer angerufen und sich nach den Gerüchten erkundigt haben“. „Im Auftrag Aiwangers“, das soll sie eigens dazu gesagt haben“. Auch, so das Münchner Blatt, dass sich beide dazu nicht äußern wollten.
Zurück zum Leitartikel des SZ-Chefredakteurs unter dem Titel „Im Strudel“. Wolfgang Krach betont in seinem Stück, Hubert Aiwanger habe „die Unwahrheit gesagt und seine Lüge am Samstag wieder einkassiert. Warum soll man die Geschichte mit dem Bruder also jetzt glauben?.. Die Gefahr“, schreibt Wolfgang Krach weiter, „die Aiwanger drohte, war, dass jemand die Wahrheit wusste über ihn. Und hätte er nicht ein schreckliches Geheimnis aus seiner Vergangenheit zu verbergen gehabt, hätte niemand für ihn irgendwo anrufen müssen. Aiwanger hat die Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit selbst gestiftet und Vertrauen zerstört- ob er das Flugblatt nun verfasst hat oder nicht. Auf die Urheberschaft kommt es nicht mehr an. Der Rest ist schon schlimm genug“.
Entsetzen von Knobloch
Dass Markus Söder zögert, ist feige. Warum handelt er nicht? Was sind Äußerungen seines Staatskanzleichefs Florian Hermann wert, Söder habe das Schutzversprechen für das jüdische Leben in Bayern immer sehr ernst genommen. Gerade in einer Stadt wie München muss man mehr erwarten vom bayerischen Ministerpräsidenten. Muss man daran erinnern, dass diese Stadt einst den wenig schmackhaften Beinamen trug „Hauptstadt der Bewegung“?Hier kann es doch nicht um irgendeine Strategie im Wahlkampf gehen. Hier geht es, da hat Hermann Recht, um das Ansehen Bayerns und das wurde mit diesem Flugblatt in den braunen Schmutz gezogen. Die Judenvernichtung zu verhöhnen, den Holocaust zu verharmlosen, das geht über das Erträgliche weit hinaus. Das Entsetzen von Charlotte Knobloch spricht Bände. Man schämt sich, weil ein Ministerpräsident seine Koalition mit den Freien Wählern offensichtlich höher hängt.
Und dann noch ein paar Bemerkungen zu bestimmten Medien, die sich mit dem Thema Flugblatt beschäftigt haben. Sie hätten gut daran getan, die Recherche-Leistung der „Süddeutschen Zeitung“ zu würdigen. Die teils geäußerte Kritik an der Arbeit des Blattes ist billig, unteres Niveau. Wer das Flugblatt mit den Hitler-Tagebüchern des „Stern“ auf eine Stufe stellt, bekennt nur, dass er keine Ahnung hat. Die Hitler-Tagebücher waren eine Fälschung, das Flugblatt existiert. Und was die journalistische Qualität angeht: Es gibt immer wieder Fälle, wo Zeugen darum bitten, ihren Namen nicht zu erwähnen. Das schwächt die Stärke dieser wirklich hervorragenden Arbeit der Kollegen aus München in keiner Weise. Ich habe eher den Eindruck, dass hier der Neid manchen Kollegen den Blick verstellt.
Hut ab, vor der SZ-Berichterstattung in der Causa Aiwanger. Sie war und ist vorbildlich. Große Klasse!