Es ist nicht überraschend: Vorfälle im Strafvollzug werden gern medial, aber vor allem politisch ausgeschlachtet. Der Strafvollzug wird so zum politischen Schleudersitz. Dabei ist ein gewisses Muster zu erkennen: Ein Oppositionspolitiker wittert einen Skandal und schwingt wütend die kriminalpolitische Keule gegen den Strafvollzug – natürlich nur echt mit einer Rücktrittsforderung gegen die zuständige Justizministerin beziehungsweise den zuständigen Justizminister. Das ist nicht nur schade, sondern auch bedenklich, wie ein aktueller Fall aus Niedersachsen zeigt.
Vorfall in der JVA Meppen
Skandal im Strafvollzug, genauer gesagt im offenen Vollzug der JVA Meppen. Der „NDR“ berichtet: „Sauf-Video aus JVA Meppen: Ministerin verteidigt offenen Vollzug“. Der Skandal: Gefangene filmen sich, wie sie Schlagermusik hören und – trotz Verbot – Alkohol und synthetische Drogen konsumieren. Schließlich steht auch noch die Zellentür offen.
Hier geht es nicht um Verharmlosung, aber schon diese Berichterstattung spart geflissentlich aus, dass der offene Vollzug anders funktioniert als der geschlossene. Es gibt hier keine beziehungsweise nur niedrigschwellige Sicherheitsvorkehrungen und Gefangene haben bewusst mehr Freiheiten als im geschlossenen Vollzug. Sie dürfen die JVA zu bestimmten Zeiten sogar verlassen.
Skandal statt Kriminalpolitik
Wirklich skandalös wird es doch erst, wenn die Politik dieser Berichterstattung aufsitzt und sich an der Skandalisierung beteiligt. Das erkennt man meist daran, dass vollzugliche Realitäten bewusst ignoriert und der gesetzliche Resozialisierungsauftrag ausgeblendet werden. Skandal und Politik werden so vermischt – mit dem Ziel, den politischen Gegner abzustrafen. Die Empörung über den Vorfall wird instrumentalisiert und weicht der Empörung über den politischen Gegner; das eigentliche Problem aber gerät zur Nebensache, das Interesse am Strafvollzug geht gegen null.
Tut man dies nicht, hätte man in diesem Fall erkennen müssen, dass Schlagermusik und verbotener Alkoholkonsum im offenen Vollzug so wenig zum echten Skandal taugen wie am „Ballermann“. Mehr noch: Es braucht eine kriminalpolitische Debatte darüber, ob ein generelles Alkoholverbot im Strafvollzug – mit Blick auf das Resozialisierungsziel und die Verhältnisse in der Außenwelt, wo der Alkoholkonsum längst üblich ist – noch sinnvoll und geboten erscheint.
Dabei gibt es im Strafvollzug natürlich Probleme. Neue synthetische Drogen etwa. Sie werden meist auf dem Postweg eingeschmuggelt, sind geträufelt auf Papier und nur schwer zu dosieren. Sie sind eine ernste Sicherheitsgefahr im Vollzug – für Konsumenten wie auch für das Vollzugspersonal. Darauf muss die Justizverwaltung fraglos reagieren. Zum großen kriminalpolitischen Skandal taugt dieses Problem jedoch nicht. Denn Drogen gehören – wie übrigens auch Mobiltelefone – längst zum Vollzugsalltag. Ganz egal, ob in Niedersachsen, Berlin oder Bayern – man wird bundesweit wohl kaum eine Anstaltsleitung finden, die ihr Gefängnis als drogenfrei bezeichnet.
Schlussbemerkung
Wer skandalisiert, übt Macht aus. Und zwar indem er die Deutungshoheit an sich reißt. Welchen Bärendienst Politiker dem Strafvollzug mit ihrer Skandalisierungswut bisweilen leisten, ist ihnen oft nicht bewusst und viel zu oft gleichgültig. Dabei geraten nicht nur wichtige kriminalpolitische Fragen aus dem Blick, sondern letztlich auch das Ziel des Strafvollzugs. Es geht darum, gefangene Menschen zu resozialisieren. Das hat immer auch mit individuellem Scheitern zu tun. Und skandalös ist, wenn dies aus politischen Motiven skandalisiert wird.