Da bin ich aber beruhigt: Mein Smartphone erkennt zwar meine Stimme und „Siri“ beantwortet meine Fragen schnell und freundlich, aber inhaltlich doch eher bedeutungsleer. Auf die knappe Frage, „Wen soll ich wählen?“ kommt die Antwort, „den Kandidaten, der am besten geeignet ist“, bei einem zweiten Versuch: „Die Entscheidung kann dir niemand abnehmen, die musst du ganz alleine treffen.“ Und bei genaueren Fragen danach, wen ich bei der kommenden Bundestagswahl wählen soll, kommt der Hinweis auf den Wahl-O-Mat der Bundeszentrale für politische Bildung sowie auf Zeitungsberichte darüber. Auch Amazons Sprachassistentin „Alexa“ lässt sich derartige Fragen stellen und liest dreißig Fragen zur politischen Einstellung vor, die man mit „ja“ oder „nein“ beantworten kann. Dahinter steckt ein Non-Profit-Projekt eines Berliner Start-ups, ähnlich wie bei der Bundeszentrale erfährt man zum Schluss, mit welchem Parteiprogramm es die größte Übereinstimmung gibt.
Nach all dem Gerede über die Sammelwut der „Datenkraken“ Apple, Google, Facebook und Amazon finde ich das Ergebnis fast schon enttäuschend. Sie haben von meinen politischen Interessen offenbar keine Ahnung, meine Aktivitäten für meine Partei nicht mitbekommen, meinen eigenen, öffentlich zum Beispiel bei Wikipedia nachlesbaren Hintergrund nicht analysiert. Ganz zu schweigen davon, dass meine Emails mich eindeutig zuordnen würden. Gleichzeitig bin ich aber nur etwas beruhigt, denn je mehr ich darüber nachdenke, umso mehr kann ich mir vorstellen, was für ein Potential in der Auswertung der über mich vorhandenen, allein öffentlich zugänglichen Daten steckt. Genauso, wie es Agenturen gibt, die den Parteien für ihre Haustürbesuche die Adressen von Wählern liefern, die ihnen geneigt sein könnten, weil sie in Gegenden bzw. Straßen wohnen, wo das bisherige Wahlverhalten stark zu ihren Gunsten ausfiel, genauso werden mit weiteren Daten und entsprechender intelligenter Verknüpfung noch viel relevantere Erkenntnisse zu erzielen sein. In den USA, wo der Datenschutz eine geringere Rolle spielt als bei uns, ist man da anscheinend schon weiter, zumindest liest man das in manchen Wahlanalysen der letzten Präsidentenwahl.
Die Wissenschaft arbeitet auf jeden Fall schon intensiv an derartigen Analysemethoden. Stichworte wie Machine Learning, Data Mining oder Daten-Scraping lassen erahnen, um was es dabei geht. Im positiven Sinne können die sogenannten Big-Data-Wissenschaften etwa dem datenbasierten Journalismus helfen, die Qualität öffentlicher Debatten zu befruchten, aber andererseits ist die Grenze zum Eingriff in die Privatsphäre schnell überschritten. Und dass der Staat Interesse an den Daten seiner Bürger hat, ist auch kein Geheimnis, aber das ist ein anderes Thema. Da der Mensch ein Gewohnheitstier und sein Verhalten in vielen Alltagssituationen relativ leicht zu durchschauen und vorhersehbar ist, wundert es mich nicht, wenn ich lese, dass in den USA aus der Präferenz für eine bestimmte Automarke auch eine Präferenz für das Abstimmungsverhalten bei der Präsidentenwahl zu prognostizieren war. Sage mir, welches Auto du fährst, und ich sage Dir, was Du politisch denkst.
Hier geht es bisher wohlgemerkt um öffentlich zugängliche Daten, aber wer sagt mir, dass nicht auch meine eigenen Daten, die ich tagtäglich im Netz hinterlasse und die ich für vertraulich halte, etwa meine Mails und meine Chats mit Freunden, ausgewertet werden? Technisch ist das kein Problem, nur der relativ strenge Datenschutz hierzulande verhindert das (noch?). Aber da WhatsApp mein Adressverzeichnis längst ausgelesen hat und alle möglichen Anwendungen nur funktionieren, wenn ich den ständigen Zugriff auf meinen jeweiligen Standort, meine Fotos oder meine Schrittzahl erlaube, fehlt mir der Glaube, dass diese Daten nicht analysiert und mit anderen kombiniert werden. Sie werden analysiert, nur weiß ich nicht, für welchen Zweck oder besser, für welche Zwecke. Und dass diese Daten gehandelt werden, ist auch kein Geheimnis.
Bei der Bundestagswahl vor vier Jahren steckte der digitale Wahlkampf noch in den Kinderschuhen. Die Landtagswahlkämpfe im Jahr 2017 und der Bundestagswahlkampf waren bzw. sind bereits viel digitaler, aber bei uns setzt der Datenschutz noch Grenzen, die verhindern, dass der Bürger in seiner Privatsphäre ausgekundschaftet und auch politisch durchschaubar wird. Zumindest fühlt er sich noch nicht durchschaut, denn sonst täte er nicht freiwillig alles, ihn noch gläserner und damit ausrechenbarer zu machen. Die Daten sind im Überfluss vorhanden, nur traut sich noch niemand, diese offensiv zu nutzen. Hier liegt meine große Sorge. Wenn Mark Zuckerberg, der Gründer und Chef von Facebook, bereits Anfang 2010 gesagt hat, das Zeitalter der Privatsphäre sei vorbei, hat er viel über sein Geschäftsmodell verraten, an dem weiter gearbeitet wird. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass bei der Bundestagswahl in vier Jahren Siri oder Alexa auf die Frage, wen man wählen soll, antworten: Was soll diese Frage? Du weißt, wen Du wählen willst. Ich weiß es doch auch!“
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