Kaum hat Herbert Reul dem Europäischen Parlament den Rücken gekehrt, da nimmt die Kampagne gegen die Sommerzeit noch einmal richtig Fahrt auf. Eine neue Studie über die Gesundheitsgefahren der Zeitumstellung sorgt für Rückenwind. Der CDU-Politiker aus dem Rheinland, der im Sommer den überraschenden Ruf in die nordrhein-westfälische Landesregierung angenommen hat, war von den Risiken längst überzeugt. In den 13 Jahren seines Wirkens als Europaabgeordneter hatte Reul sich als Kämpfer gegen die Sommerzeit profiliert. Anfragen über Anfragen hielten die Europäische Kommission auf Trab; über die Jahre belächelt und bis zuletzt nicht wirklich ernstgenommen in seinem Engagement, blieb Reul unermüdlich. Eines Morgens im Frühjahr stellte er sich gar einem Bäcker an die Seite, der nach der Zeitumstellung abermals eine Stunde früher ans Werk gehen musste. Alles vergebens.
Am 30. Juni kehrte der 65-Jährige aus Brüssel zurück in die Landespolitik und ließ sich als neuer Innenminister im Kabinett von Ministerpräsident Armin Laschet vereidigen. Das ist ein seltener Vorgang, denn bis heute gilt ein Wechsel in die Europapolitik an sich als Fahrt ohne Wiederkehr, mit der verbrauchte Politiker wohlversorgt aufs Abstellgleis geschoben werden. Doch nach dem Wahlerfolg von Schwarz-Gelb in NRW hatte Laschet seine liebe Mühe, die Ministerposten zu besetzen, so kam es für Reul zu einem unerwarteten Comeback, und die europäischen Streiter gegen die Sommerzeit gingen eines ihrer erfahrenen Kämpen verlustig.
Im Europaparlament zeigt die Kampagne späte Wirkung. Eine aktuelle Studie belegt eine wachsende Unzufriedenheit mit dem Zeitwechsel, der seit fast 40 Jahren regelmäßig im Frühjahr und im Herbst vorgenommen wird. Im März eine Stunde vor, im Oktober eine Stunde zurück: das sollte in erster Linie Energie sparen. Tut es aber nicht, jedenfalls nicht in dem erwarteten Ausmaß. Und was es den Menschen und ihrem Biorhythmus zumutet, hat lange nicht interessiert.
Drei Viertel der deutschen Bevölkerung sind der Forsa-Umfrage zufolge für eine Abschaffung der Sommerzeit. In Frankreich sind es demnach 54 Prozent. Tendenz steigend. Die Gegner der Zeitumstellung machen jetzt noch einmal richtig mobil. Mit einer fraktionsübergreifenden Resolution wollen sie im nächsten Monat die Kommission auffordern, die Verordnung zur „sinnlosen und ungesunden“ Sommerzeit zu streichen.
Der EVP-Abgeordnete Heinz K. Becker hat die Wortführerschaft von Herbert Reul übernommen und sieht quer durchs Parlament neue Chancen für einen Erfolg. Eine Abschaffung der Richtlinie wäre allerdings nicht automatisch das Ende der Sommerzeit in Europa. Die Zeitumstellung ist in den Mitgliedsländern national geregelt, und die Sorge vor Zeitsprüngen ist groß. In der Nacht zum letzten Sonntag im Oktober gibt es die im März gestohlene Stunde zurück. Die Hoffnung, wir könnten schon im nächsten Frühjahr von dem Zeitraub verschont bleiben, ist äußerst gering.
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