Der Mann nach Schröder, hieß es einst über Sigmar Gabriel. Gemeint, der eine Niedersachse werde die Erfolgsspur des anderen aufnehmen, sie fortsetzen. Gabriel kam nicht weit, schon als Ministerpräsident scheiterte er ausgerechnet gegen Christian Wulff, der gegen Gerhard Schröder nie den Hauch einer Chance gehabt hatte. Aber, Respekt, Gabriel kam wieder, unterstützt von Franz Müntefering, der das politische Talent des gelernten Lehrers aus Goslar erkannt hatte. Gabriel wurde Bundesumweltminister und ist seit nunmehr sechs Jahren SPD-Parteichef. Ob er es noch länger aushält, ob ihn die Genossinnen und Genossen noch länger in der Parteizentrale in der Berliner Wilhelmstrasse halten und wie lange, sei dahingestellt. Da mögen führende SPD-Politiker noch so dementieren, Zweifel bleiben.
Sigmar Gabriel ist nicht erst seit den verheerenden Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt mehr als angezählt. Auf dem letzten Parteitag erreichte er gerade mal 74,3 Prozent der Stimmen, das war eine Abstrafung des Chefs durch die Delegierten. Kein Wunder, dass es unbestätigte Berichte gibt, wonach der Vorsitzende über seinen Ausstieg nachdenke, dass er nur noch im Amt bleibe, weil sich kein Nachfolger gefunden habe. Die Sache mit der fehlenden Alternative sollten sie besser lassen, es gibt immer eine, fragt sich nur, ob sie besser ist.
In bestimmten Medien, darunter in der „Süddeutschen Zeitung“ wie auch bei „Cicero“ kommt Gabriel, der ja auch Bundeswirtschaftsminister ist, seit Monaten nicht gut weg. Da kann der Leser schon den Eindruck gewinnen, der SPD-Chef sei nur noch auf Zeit, auf kurze Zeit, die er nicht selber bestimme, in dem Amt, das einst Willy Brandt bekleidete und mit Ruhm ausfüllte. Führende Sozialdemokraten sehen hinter diesen Berichten so etwas wie eine Kampagne gegen Gabriel. „Da wollen einige Journalisten wohl Politik machen und ihn quasi herunterschreiben“, betont ein SPD-Mann aus NRW. Da sei nichts dran, Gabriel sei Parteichef und bleibe es.
Parteichef hat sich gesundheitlich erholt
Gerade hat sich der Parteivorsitzende von einer schmerzhaften Gürtelrose erholt, ab Montag werde er wieder in den Ring steigen. Aber noch ehe er wieder in Berlin an Deck ist, gibt es die nächste Hiobs-Botschaft, die nichts Gutes über die Lage der SPD aussagt. Man werde die Kür des SPD-Kanzlerkandidaten bis nach der NRW-Landtagswahl im Mai nächsten Jahres verschieben, heißt es. Dass dieser Kandidat und Merkel-Herausforderer wohl nicht Gabriel heißen wird, davon kann man heute ausgehen, auch wenn der eine oder andere führende Kopf der SPD fast trotzig betont, selbstverständlich könne man mit Gabriel Wahlen gewinnen. Gemeint ist da wohl die jüngste Runde in Rheinland-Pfalz, die Malu Dreyer für sich entschieden hat. Und es ist wohl nicht zu viel gesagt, wenn man hinzufügt, dass es wohl in erster Linie ein Erfolg der Amtsinhaberin war und weniger ein Sieg, der auf Rückendeckung aus Berlin zurückzuführen gewesen wäre.
Die Neigung in der SPD, über eigene Leistungen wie den Mindestlohn nicht zu reden, sondern lieber die schlechte Stimmung der Partei öffentlich zu beklagen, dies ist nicht neu. Das hängt wohl mit der Mentalität von Sozialdemokraten zusammen, die nicht zufrieden sind, wenn sie regieren, die aber auch dann lamentieren, wenn sie in der Opposition sind. Überhaupt findet man in den Reihen der ältesten deutschen Partei mehr den Hang zum Oppositionellen denn dazu, die eigenen Leute in Regierungsämtern auch gegen Kritik in Schutz zu nehmen und ihre Politik vehement öffentlich zu verteidigen.
Mannheim mit Lafontaine und Schröder
Gleichwohl wird sich Gabriel, wenn er denn überhaupt noch im Amt bleiben will, in demselben nicht so pudelwohl fühlen. Denn es wäre nicht die erste Ablösung eines SPD-Parteivorsitzenden. Man frage Rudolf Scharping, der zunächst 1994 die Bundestagswahl gegen Helmut Kohl nur knapp verlor, danach aber nicht verhindern konnte, dass die Stimmung in den Keller ging. Und als sie bei 25 Prozent in Umfragen angelangt war und der Parteitag der SPD in Mannheim anstand, sah sich Scharping plötzlich heftiger Kritik ausgesetzt. Und obwohl es kein Wahlparteitag war und der Westerwälder die Unterstützung des mächtigen NRW-Landesverbandes unter Johannes Rau genoss, konnte er eine Satzungs-Änderung nicht verhindern, die nur das Ziel hatte: Wahl eines SPD-Vorsitzenden, ein Hauruck-Verfahren, das nicht nur der frühere Vorsitzende und Vorzeige-Jurist Hans-Jochen Vogel als Putsch kritisierte.
Oskar Lafontaine, der längst die SPD Richtung Linke verlassen hat, gelang es auf dem Parteitag, die Seele der Delegierten zum Kochen zu bringen, mit dem schlechtesten Wahlergebnis aller Zeiten-62,9 vh- wurde er gewählt. Hinter ihm agierte der damalige niedersächsische Ministerpräsident Gerhard Schröder, dessen Ambitionen für höhere Ämter bekannt waren. Mit der Wahl Lafontaines war die Politik der Bundesregierung von Helmut Kohl und seinem Finanzminister Theo Waigel quasi am Ende, die Macht der SPD-regierten Bundesländer ließ eine geplante Steuerreform nicht mehr zu. 1998 wurde Schröder Kanzler.
Nun ist ein Lafontaine nirgendwo zu sehen, auch kein Schröder, überhaupt, so betonen Parteikreise, gebe es niemanden in der SPD, der den Abgang von Gabriel wolle oder fordere. Man darf an dieser Stelle eine andere Geschichte nicht vergessen. 2008 wurde der damalige Parteichef Kurt Beck, zugleich Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, als SPD-Vorsitzender zum Rücktritt gedrängt, Nachfolger wurde Franz Müntefering. Auch damals gab es ein Stimmungstief, das sich aber bis in die Bundestagswahl 2009 fortsetzte. SPD-Kanzlerkandidat war Frank-Walter Steinmeier. Das Wahlergebnis für die SPD war mehr als ernüchternd: 23 Prozent, trotz aller Erfolge in der großen Koalition unter Kanzlerin Angela Merkel, trotz eines starken Finanzministers Peer Steinbrück, eines beliebten Außenministers Steinmeier, eines erfolgreiches Arbeitsministers Müntefering.
Steinbrück kritisiert eigene Partei
Steinbrück hat sich gerade mal wieder zu Wort gemeldet und die SPD scharf attackiert. „Sie ist nicht mehr interessant, sie weckt keine Neugier mehr“, so der letzte erfolglose Kanzlerkandidat Steinbrück an die Adresse seiner Parteifreunde. „Sie weckt keine Gefühlslage mehr wie in den 70er, 80er Jahren oder noch mal über die Wahlkämpfe von Gerhard Schröder“, so Steinbrück im „Deutschlandfunk“. Die SPD sei unzweifelhaft in einer „fragilen Lage“, jedenfalls habe er, seit er 1969 in die Partei eingetreten sei, „die Lage nie so problematisch empfunden.“
Wen meint Steinbrück damit, die Parteiführung, Gabriel, die Mitglieder, die Landesverbände, Gruppierungen in der Partei etwa wie Linke, Seeheimer, Jusos?
Sigmar Gabriel hat ein Glaubwürdigkeitsproblem, was mit seiner Sprunghaftigkeit zu tun hat, mit inhaltlichen Alleingängen und damit, dass er sich bestimmte Ratgeber ins Parteihaus geholt hat und andere, die genauso umstritten sind in der SPD, immer wieder zu Rate zieht und sich hin und wieder den Beifall von der falschen Seite holt. Man werde auch in Berlin härter kämpfen, auch mit der Union, mit Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, der das Geld locker machen soll für entsprechende Hilfen in die Kommunen rein. Die SPD will soziale Gerechtigkeit in den Mittelpunkt ihrer Politik stellen. So soll u.a. über den sozialen Arbeitsmarkt Beschäftigung organisiert werden vor allem für Langzeitarbeitslose, die keine Chance hätten, über den ersten Arbeitsmarkt wieder an einen Job zu gelangen.
„Wir werden die Ärmel hochkrempeln“, heißt es.