Der unerwartete Erfolg von Donald Trump bei den US-Wahlen hat viele Politiker und Beobachter geschockt. Man hielt Hillary Clinton schlicht für unschlagbar und Trump für unwählbar. Einer der wenigen Journalisten, der die Gefahr kommen sah, weil er das Land bereiste, die Kandidaten und die Wählerinnen und Wähler beobachtete, war Walter Niederberger, der seit 2002 für die Schweizer Zeitung „Tagesanzeiger“ vom Geschehen in Amerika berichtet. „Es geht nicht um die Partei, es geht um mich“, zitiert der US-Korrespondent Trump, ein vielsagender Satz, der den Klappendeckel seines Buches „Trump Land-Donald Trump und die USA“ ziert.
Niederberger beschreibt den „unheimlichen Aufstieg“, des Mannes, der die Präsidentenwahl gewonnen hat, „und seine unerwarteten Erfolge in den Vorwahlen“. Noch nie „wurde eine Partei von einem ihrer Kandidaten so vor sich hergetrieben wie die der Republikaner von dem Alleszermalmer Trump“. Noch nie „stand ein derart totalitärer und rücksichtsloser Demagoge zur Wahl“.
Als Leser des Buchs reibt man sich die Augen, weil man selbst Trump keine Chance gab. Der „orell füssli Verlag“ aus Zürich schickte mir und vielen anderen Journalisten das Buch Niederbergers Ende August. Aber da ich sicher war, dass Hillary Clinton die Wahl für sich entscheiden werde, habe ich das Buch zur Seite gelegt und es erst nach dem Urnengang in die Hand genommen. Wie man sich täuschen kann! Der US-Korrespondent ist dem Problem Trump sehr nahe gekommen und er hat die Chancen Trumps sehr realistisch eingeschätzt, ja er hat im Grunde seine Wahl zum mächtigsten Mann der Welt geahnt. Niederberger zeigt, „weshalb sich so viele US-Bürger für Trump entscheiden und wie er zum vermeintlichen Retter der Frustrierten, Zornigen und Zukurzgekommenen werden könnte“, so kann man schon auf dem Klappentext lesen.
Milliardär als Retter der Enterbten
Ein Milliardär als Retter der Enterbten! Ja, so kann man sehen. Und wenn man das Buch liest, versteht man auch, warum Hillary Clinton, fester Bestandteil des US-Establishments, gerade von der vergessenen Arbeiterklasse nicht als Retterin eingeschätzt wurde oder einer Mittelschicht, die immer unsicherer geworden ist über die Jahre. Und auch Trumps rassistische Äußerungen sind manchen Amerikanern gerade auf dem Land nicht so fern und fremd.
Zu einer ähnlichen Analyse wie Niederberger kommt eine der bekanntesten Publizistinnen in Deutschland, Carolin Emcke, die erst vor wenigen Wochen mit dem Friedenspreis des Deutschen Buch-Handels ausgezeichnet wurde. In ihrer Kolumne für die „Süddeutsche Zeitung“ wundert sich die hochdekorierte Journalistin über manch schnelle Kommentierung der Trumpschen Erfolge und die Wandlung der Meinungen. Nein, sie hat es nicht vorausgesehen, aber gänzlich überrascht war sie nicht, wie sie in der SZ erläutert. „Allen, die sich in den vergangenen Jahren auch nur ein bisschen außerhalb der urbanen Zentren der Vereinigten Staaten bewegt haben; allen, die mal mit hochdekorierten Veteranen gesprochen haben, die zwar in Afghanistan oder dem Irakkrieg kämpfen durften, aber mittlerweile unter den Autobahnbrücken in abgeranzten Zelten hausen müssen; allen, die mal in den vergangenen Jahren die de-industrialisierten Brachen und Ruinen von Detroit besucht haben oder die Straßenzüge um Las Vegas, in denen nach der Finanzkrise ein Haus neben dem anderen zur Zwangsversteigerung angeboten wurde, … konnte dieser Zorn nicht verborgen bleiben.“
Wahren Opfer der Kriege sind die Soldaten
Niederberger zufolge sind „ die wahren Opfer der Bush-Kriege in den USA die Soldaten und ihre Angehörigen. Viele sind psychisch schwer geschädigt. Sie finden sich zuhause ohne Arbeit und ohne ausreichende ärztliche Betreuung wieder, weshalb viele Kriegsveteranen Donald Trump wählen wollen“. Trump habe die Lage der Veteranen zu einem seiner großen Themen gemacht, habe sie zu seinen Auftritten eingeladen. Er habe Geld für sie gesammelt, es aber erst dann ausgezahlt, „als einige Veteranengruppen Druck machen und er als Schwindler entlarvt zu werden droht.“
Das von Trump maßlos angeheizte Misstrauen gegen Muslime sei in der Bevölkerung so stark, dass die Regierung Obama nur wenige syrische Flüchtlinge aufnehmen konnte, schreibt Niederberger. Und wenn er von der „korrupten Hillary(Crooked Hillary) spreche, so wisse er damit die Mehrheit der Bürger hinter sich. In sozialen Fragen sei Trump relativ aufgeschlossen. „Was ihm so hilft, ist eine allgemeine, schwer lastende Missstimmung im Land, und zwar rechts wie links. Die Amerikaner, so hat es Niederberger über die Jahre beobachtet, seien unzufrieden, weil sie „zum ersten Mal ihren Vorsprung auf den Rest der Welt schwinden sehen.“ Und dem stellt Trump seinen Slogan entgegen: America first. Was vielen Amerikanern gefällt.
Wie Berlusconi: Vulgäre Sprache
Trump verwendet die gleichen verbalen Waffen wie der Italiener Berlusconi, „die Waffen der Demagogie: vulgäre Sprache, Lügen, Einschüchterung und Manipulation der Medien, Machogehabe- und all dies unterlegt mit dem Charme des Verführers“. Worüber man sich hierzulande auch heute noch wundert, man lese nur das Interview im Berliner „Tagesspiegel am Sonntag“ mit der amerikanischen Autorin Lily Brett nach, die in Deutschland geboren wurde und deren Eltern Auschwitz überlebten. „Trump ist ein widerlicher Mensch, ich kann ihn gar nicht angucken. Wie er Frauen angrapscht, über sie redet, als wären sie ein Stück Fleisch. Ekelhaft. Und Frauen haben für ihn gestimmt! Er hat das Schlechteste aus den Menschen rausgeholt, hat es hoffähig gemacht, bigott zu sein, misogyn, hasserfüllt. Wenn wir mit so viel Hass herumlaufen, sind wir verloren. Dann haben wir nichts gelernt.“
Ein Milliardär und Freund des einfachen Volkes? Ja, schreibt der US-Korrespondent, so gebe sich Trump auf der politischen Bühne, ähnlich wie einst Berlusconi. Seine Ideologie und sein Stil seien vergleichbar mit der totalitären Rechten in Europa, er unterstütze die Folter von Terrorismusverdächtigen, also eine illegale Handlung, der drohe den Medien mit schweren Sanktionen. Der Wahlkämpfer Trump verspreche alles, was gerade ankomme, sein Opportunismus sei kaum zu überbieten. Es ist schwer einzuschätzen, was aus seiner Anerkennung gegenüber Putin wird, den er persönlich schätzt und mit dem er zusammenarbeiten wolle. Auch wolle er die Nato abschaffen, was sicherlich im Osten des Bündnisses nicht so auf fruchtbaren Boden fallen werde.
Trister Ton trifft die Stimmung
„Die wirtschaftliche Eintrübung könnte Donald Trump zugutekommen“, findet Niederberger, weil Hillary Clinton die Wirtschaftspolitik von Obama unterstütze und verspreche, diesen Kurs fortzusetzen. Trump sehe die Lage dagegen düster:“ Die USA steuern direkt auf eine sehr schwere Rezession zu“, ein baldiger Crash der Aktienmärkte sei sicher. Der triste Ton treffe die Stimmung der enttäuschten Arbeiterschaft, denen er aber insofern Mut macht, indem er sie an anderer Stelle auffordert, sich an ihn, Trump zu halten, dann werde es schon werden.
Trump scheint für viele Verbitterte die einzige Möglichkeit, ihre Frustration zu zeigen. Der Autor zitiert einen Amerikaner: „Was die Trump-Wähler verbindet, ist die Entfremdung von den Reichen und Mächtigen.“
Fast alle Medien, hat Niederberger beobachtet, hätten Trump falsch eingeschätzt. So prophezeite der Herausgeber der New York Times, David Remnick, im Sommer 2015, dass „der ganze Schwindel vor dem ersten Schneefall in Sioux City und Manchester enden wird.“ Und das „Atlantic“, ein liberales Magazin, habe die Leser mit dem Urteil beruhigen wollen: „Die Chance, dass er die Nominierung und die Wahlen gewinnt, ist exakt Null.“ Sie merken nicht, wie Trump die Medien bespielt, jede noch so ulkig klingende Meldung oder Geschichte hilft Trump. Manche seiner Tiraden wirkten billig, seine Empörung habe etwas Kindisches, aber er wisse zu unterhalten, so Niederberger. Er treibe die Einschaltquoten in die Höhe und bringe die Fernsehanstalten dazu, einen Sendeplatz für seine tägliche Dosis an Attacken und Beleidigungen, kuriosen Behauptungen und Verdrehungen frei zu halten.“
Bildquelle: orell füssli Verlag