Martha Gellhorn zählte einst zu den bekanntesten Kriegsreporterinnen, legendär nennen die Experten die amerikanische Schriftstellerin, die einst mit ihrem Mann Ernest Hemingway in den spanischen Bürgerkrieg zog, um darüber zu berichten. Das Palästina-Problem beschäftigte sie über viele Jahre, frühzeitig lernte sie, dass Israel eine Heimat, eine Heimstatt brauchte, gerade auch nach dem Holocaust, der Vernichtung von sechs Millionen Juden durch Nazi-Deutschland. Einer der Organisatoren der industriellen Vernichtungsmaschinerie war Adolf Eichmann, über dessen Prozess die Kriegsreporterin für US-Zeitungen schrieb. Der Verlag Klaus Bittermann hat gerade Reportagen von Martha Gellhorn, darunter den Beitrag über Eichmann, veröffentlicht.
„Besucher, die zum ersten Mal in den Gerichtssaal kommen, starren ihn an. Wir haben alle gestarrt; und wir starren immer wieder. Wir versuchen- vergeblich- die gleiche Frage zu beantworten: Wie ist es möglich? Er sieht wie ein menschliches Wesen aus, was heißen soll, er ist geformt wie andere Menschen auch. Er atmet, isst, schläft, liest, hört, sieht. Was geht in ihm vor? Wer ist er, wer zum Teufel ist er? Wie kann er gewesen sein, was er war, getan haben, was er tat? Wie ist das möglich?“ Fragen von Martha Gellhorn, die eigentlich als Kriegsreporterin genug Elend gesehen haben muss, durch Zerstörung, Mord abgehärtet sein muss, die all die brutalen Geschichten über und von den Hitlers, Stalins, Maos kennt und die in Jerusalem beim Anblick des Adolf Eichmann diesen nur anstarrt. Eichmann, das Monster der Nazi-Vernichtungs-Politik schlechthin, den man sich kaltschnäuzig vorstellt, eiskalt. Jetzt, es ist 1961, sitzt der Mann in dem kugelsicheren Glashaus, ein „kleiner Mann mit dünnem Hals, hochgezogenen Schultern, seltsam reptilienhaften Augen, einem scharfgeschnittenem Gesicht und schütteren dunklen Haaren.“ Eichmann, der einst Protokollchef der Wannsee-Konferenz im Februar 1942 war unter Leitung von SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich in seiner Funktion als Chef der Sicherheitspolizei. Mit dabei waren eine Reihe von Staatssekretären sowie Roland Freisler, später der berüchtigte Präsident des Volksgerichtshofs. Sinn der Konferenz war die Organisation des Holocaust, die statistische Erfassung aller Juden in Europa- über elf Millionen sind es demnach gewesen. Im Haus der Wannseekonferenz kann man heute in einer Ausstellung sehen und nachlesen, was die 15 Herren und eine Frau- als Stenotypistin- bei dieser Konferenz berieten und festlegten.
Nun sitzt dieser Eichmann in einem Glaskasten, derselbe Mann, der 1942 mit den anderen Nazi-Größen bei einem französischen Cognac in einer ehemaligen Industriellen-Villa am Großen Wannsee den Massenmord an Millionen Juden, der ja seit dem Überfall der Wehrmacht auf die Sowjetunion im Sommer 1941 in vollem Gange war, organisatorisch zu erfassen, zu verbessern, es sollte schneller gehen, effektiver, wie man nachlesen kann. „Ohne erklären Grund setzt er häufig seine Brille ab. Er presst seinen schmalen Mund zusammen, spitzt ihn. Manchmal ist da ein leichtes Zucken unter seinem linken Auge.“ Beobachtet Martha Gellhorn den des Massenmords angeklagten Eichmann, der „mit der Zunge über seine Zähne fährt und an seinem Gaumen zu saugen scheint. Aus seinem Glaskäfig ist nur etwas zu hören, wenn er sich mit einem weißen großen Taschentuch die Nase putzt.“ Belangloses eigentlich über einen Mann, der soviel Leid zu verantworten hat.
Entkommen über die Ratten-Linie
Mitleid habe niemand mit ihm, schildert die Kriegsreporterin weiter, dieser Mann auf der Anklagebank ruft kein Gefühl der Anteilnahme hervor. Der Mann, den der israelische Geheimdienst in Argentinien festnehmen und nach Jerusalem entführen konnte, um ihn vor Gericht zu stellen. Wie andere Nazi-Größen war Eichmann nach Argentinien entwischt, über die sogenannte Ratten-Linie mit Hilfe des Vatikan entkommen. Er lebte dort unter falschem Namen als Ricardo Klement und arbeitete für Daimler-Benz. Zunächst hatte Eichmann nach dem Krieg am Chiemsee als Holzfäller gelebt. Den entscheidenden Hinweis auf das Versteck von Eichmann in Südamerika bekamen die Israelis von Fritz Bauer, damals hessischer Generalstaatsanwalt. Es war auch Bauer, der als Jude und Sozialdemokrat während der Nazi-Zeit verfolgt wurde und fliehen musste und der die entscheidende Rolle bei den Auschwitz-.Prozessen 1963 bis 1965 in Frankfurt spielte.
Eichmann sitzt ungerührt in seinem Glaskäfig, meist scheinen ihn die Anklage-Berichte von Überlebenden zu langweilen, hin und wieder wird er wach, schreibt Martha Gellhorn, wenn ihm Beweisstücke vorlegt werden. Aber sonst keine Geste und keine Emotion. Und dieser eiskalte Mann „ist von unserem Mitleid ausgeschlossen, denn seine Gnadenlosigkeit war jenseits unserer Vorstellungen“, lese ich im Buch aus der Feder der Kriegsreporterin. „Deshalb können wir ihn nicht verstehen und deshalb fürchten wir ihn. ..weil wir wissen, dass er zurechnungsfähig ist. Es wäre ein großer Trost, wenn er geisteskrank wäre; wir könnten ihn mit Entsetzen abtun, aber uns selbst versichern, dass er nicht ist wie wir. Etwas ging bei ihm schief; er wurde kriminell, aber bei uns ist alles in Ordnung.“
Ein Mann, der zu Bösem fähig ist, ohne Reue und mit einem Plan. „Er war der vollkommene Bürokrat, der eingefrorene Verstand, der eine gigantische Organisation leitete“, so Martha Gellhorn. „‚Er war die perfekte Verkörperung der Unmenschlichkeit, aber er war nicht allein.“ Viele habe man gebraucht, „um den Kopf eines Babys vor den Augen der Mutter auf dem Bürgersteig zu zerschmettern, um einem kranken und alten Mann zu befehlen, sich hinzusetzen, um ihn dann in den Hinterkopf zu schießen. Es gab endlose Arbeit für willige Hände.“ Ich kenne diese Berichte über die Konzentrationslager, wie bestialisch und eiskalt NS-Täter andere Menschen, Frauen, Kinder, Greise umlegten, ich habe mehrfach Auschwitz besucht, die Hölle auf Erden, ich war in Treblinka, Mauthausen, Dachau, Theresienstadt, es dreht sich einem der Magen um, wenn man die Berichte liest, wie Babys in Elektro-Zäune geworfen wurden.
Wir sollten uns in Acht nehmen
Vor solch einem Ungeheuer wie Eichmann muss man sich fürchten, weil er, einmal im Amt und mit der Macht über Leben und Tod ausgestattet, zu allem fähig ist. Er macht seinen tödlichen Job. Eichmann, schreibt Martha Gellhorn, „ist die deutlichste Warnung an uns alle: Wir sollten uns in Acht nehmen, uns vollkommen und für immer weigern, fraglos Gefolgschaft zu leisten, schweigend Befehlen zu gehorchen und Parolen zu rufen. Er ist eine Warnung, dass das eigene Gewissen der letzte und einzige Schutz der zivilisierten Welt ist.“
Drei Monate lang werden Eichmann die Verbrechen nachgewiesen, mit Dokumenten, legenden Zeugen. Mord in einem „Ausmaß, wie es bis dahin in der Geschichte unbekannt war“. Und doch behauptet der Ehren-Vorsitzende der AfD, Alexander Gauland, die Nazi-Zeit sei nur ein „Vogelschiss“ in der langen Geschichte der Deutschen, nannte Höcke einst das Holocaust-Mahnmal in Berlin, das an die Ermordung von sechs Millionen Juden durch die Nazis erinnert, „ein Denkmal der Schande“.
Und es war „Mord zur Bereicherung“, wurde den Juden Europas doch alles geraubt, was sie besaßen, bevor sie ermordet wurden; und nach dem Tod gab es noch mehr, was man aus den Körpern reißen konnte- Gold aus ihren Mündern, und gelegentlich fanden sich in den aufgeschlitzten Mägen der Leichen kostbare Steine, die kläglich letzte Hoffnung, irgendwo Sicherheit zu kaufen.“ Ein riesiger Raubzug des Dritten Reiches, der ihre Kasse füllte. Es war ein profitables Geschäft, Juden zu töten. Die genaue Buchführung über die Morde ist die letzte Abscheulichkeit. Ein Mensch sollte allein dafür gehängt werden, dass er die Schuhe von Kindern stahl, die barfuß in die Gaskammern geschickt wurden. Ihre Schuhe hatten einen Wert, wurden in einem Bestandsbuch notiert und nach Deutschland verschickt, um nichtjüdische Füße warmzuhalten.“
Eichmann ist der große Organisator, immer auf der Suche nach Schlupflöchern, die es zu schließen gilt, niemand darf entkommen, kein Jude und keine Wertsache, die man verhökern kann. Eichmann „nie zu beschäftigt, um eine Bitte um Gnade abzulehnen“, er wird identifiziert als der, der er war: „der Mann für Judenangelegenheiten, der verantwortliche Ausführende der Vernichtung der europäischen Juden.“ Durch Eichmann „verlor die Menschheit sechs Millionen Leben.“ Künstler, Wissenschaftler, Lehrer, Musiker, Juristen, Heilige und viele andere. Die Verlesung der Anklage durch den jüdischen Generalstaatswalt begann mit den Worten: „An dieser Stelle, an der ich vor sie trete, Richter in Israel, stehe ich nicht allein. Mit mir treten zu dieser Stunde sechs Millionen Kläger auf.“
Zu Beginn des Prozesses war die Weltpresse anwesend, galt der Eichmann-Prozess als größte Sensation, schreibt Martha Gellhorn, „dann raste ein Mann in einer Silberkapsel durch das All um die Erde“ und schon hatte die Welt ein anderes Thema, machte sich Überdruss breit wegen des Eichmann-Prozesses, man habe gefragt, ob das alles nicht sinnlos sei- wie sollte ein Mann für sechs Millionen Tote zahlen? „Vielleicht sei der Prozess überhaupt ein Fehler, höchstwahrscheinlich werde er nur eine Welle des Antisemitismus auslösen“, gab die empörte Autorin Stimmungen in der Gesellschaft wieder. Schockiert habe sie darauf reagiert. Verständlich ihr Ärger, denn der Holocaust durch Nazi-Deutschland, der Massenmord durch die Regierung eines zivilisierten Volkes wie die Deutschen an den Juden war und ist ein Verbrechen nie gekannter Größe und Brutalität. Der Schauplatz des Verbrechens war Europa, wenn man so will das Abendland, Opfer war ein ganzes Volk, die Täter, die Deutschen waren Barbaren. Es darf uns nicht langweilen, wenn ein solcher Prozess stattfindet, wenn vor den Augen der Welt Zeugen von den Morden an ihren Familienangehörigen berichten. Der Prozess, da hat Martha Gellhorn recht, geht alle an. Mord an Menschen, nur weil sie Juden waren.
Die Autorin nennt das Schreckens-Reich, über das Eichmann herrschte, die schwarze Hölle, die sich vom Ural bis zu den Pyrenäen, von der Ostsee bis zum Mittelmeer erstreckte. Alles hatte 1933 begonnen. „Zunächst wurden die Juden ihrer Bürgerrechte beraubt, dann ihres Habs und Guts, dann mit einem gelben Stern gekennzeichnet und in Ghettos zusammengepfercht, um an Hunger und Dreck zu sterben, und schließlich, da dies nicht schnell genug ging, wurden sie zu Zehntausenden abgeschlachtet. Diejenigen, die arbeiten konnten, wurden als Sklaven benutzt; ihr Tod zog sich hin, bis sie vor Erschöpfung aufgaben und nutzlos wurden. Und dabei wurden sie ständig geschlagen, zu Krüppeln gemacht und ermordet. Ihre Körper wurden schnell und mit Geschick erschlagen; doch ihr Lebensmut scheint sie selbst noch in den Gaskammern nicht verlassen zu haben…Es wurden Leichen von Frauen gefunden, die über ihren Kindern kauerten und versuchten, sie bis zuletzt zu beschützen.“ Der Weg ins KZ wurde systematisch beschritten.
1933 trat er der SS bei
Die Schilderungen der Zeugen nehmen einem den Atem, so etwas hat noch nie jemand gehört, was hier von Zeugen vorgetragen wird. Und dann kommt Eichmann zu Wort, der als junger Mann eine Möglichkeit gesehen habe, sich hervorzutun, schreibt Frau Gellhorn- das Judentum. Und natürlich versucht er seine Rolle klein zu halten, zu unbedeutend, Anfang 1933 trat er der SS bei. Er habe Hebräich lernen wollen, was seine Vorgesetzten spöttisch zur Kenntnis genommen hätten, er habe Stunden bei einem Rabbi nehmen wollen, er habe drei Mark die Stunde gezahlt. Erbärmlich die Schilderung des Angeklagten, der sich herausreden will, der sich windet, aber nicht verhehlen kann, dass er Juden immer noch als Objekte ansieht, Objekte, die er nicht einfach ergreift und wegsperrt, wie er sagt, sondern die er bezahlt. Drei Mark. Das übliche. Selbstsicher sei Eichmann aufgetreten, mit jedem Tag des Prozesses selbstsicherer. Der Mann der Behörde, die ausschließlich mit der Ermordung von sechs Millionen Juden in Europa befasst war, darunter eine Million Kinder.
Und natürlich hatte dieser Mann keine Privilegien, keine besonderen Positionen, im Grunde ein kleiner Fisch, Mitläufer, dem befohlen wurde, was zu tun war. So schildert er sein Leben, sein Dasein. Dabei hatte er geherrscht über die Juden, die Dokumente belegten das wie viele Zeugen. Er sei nur ein untergeordneter Bürokrat gewesen. Sagt er. Er fand „die Schreie der Menschen, die in den Gaswagen erstickten, unerträglich; ein Blutstrahl, der aus einem Massengrab hochquoll, bereitete ihm Übelkeit“. Der Mann, der für den Mord an Millionen Juden verantwortlich war, stellte am Ende ein Gnadengesuch, das abgelehnt wurde. Eichmann wurde 1. Juni 1962 gehängt.
Der Eichmann-Prozess hat Martha Gellhorn sichtlich mitgenommen. „Der Prozess war persönlicher als der Nürnberger Prozess kurz nach dem Krieg(über den sie auch berichtet hat); viele Zeugen kannten Eichmann und erzählten ihre Lebensgeschichte. Ich konnte damals die Gefühle in Israel nicht beschreiben und kann es auch jetzt nicht. Es war etwas wie ein qualvolles Trauern am Sterbebett eines nahen Menschen; etwas wie ein Nervenzusammenbruch nach der Nachricht vom grausamen Tod eines Familienmitglieds. Israel lässt sich ohne den Holocaust nicht verstehen, er ist eine kollektive Erinnerung, die nie ausgelöscht werden wird.“ Kein anderes Land, schreibt Martha Gellhorn, die in ihren weiteren Reportagen in dem Buch Verständnis für Israel äußert und die Araber kritisiert, wird gezwungen, seit zwei Generationen in einem permanenten Belagerungszustand zu leben. Das verhärtet die Seele und ist ein Jammer. Israel benötigt dringend, was es nicht bekommen kann: die Akzeptanz der muslimischen Welt und Friede. Israel braucht Ruhe.“ Die letzten Zitate von Martha Gellhorn stammen aus dem Jahre 1988. Zehn Jahre später nahm sie sich im Alter von 90 Jahren das Leben.