Darauf muss man erstmal kommen: Der Lotse geht an und nicht von Bord. So sieht es jedenfalls der Karikaturist Heiko Sakurai in seinem Jahresrückblick. Der Lotse ist auch nicht wie beim Zeichnungs-Klassiker John Tenniel Otto von Bismarck, sondern es ist Olaf Scholz, der die Gangway raufgeht – auf die MS Zeitenwende, die aussieht wie ein Kriegsschiff, was gewollt ist und zur Rede des Kanzlers Scholz am 24. Februar nach dem Ukraine-Überfall von Russlands Truppen auf Befehl von Präsident Putin passt. Wie das ernste und sorgenvolle, aber entschlossene Gesicht des deutschen Regierungschefs, dessen Amtszeit ja gerade erst begonnen hatte-im Gegensatz zu Bismarck, dem großen Staatenlenker, der von Bord ging und Wilhelm II. das Regiment überließ, höhnisch darüber lachend, wissend oder ahnend, was passieren würde.
Zeitenwende, das Wort des Jahres, auch für den politischen Zeichner Heiko Sakurai. Scholz, der ewige Zauderer, ergreift im Bundestag das Wort und geißelt die Invasion der Russen, attackiert Putin, den Ruhestörer der Welt, er kündigt Dinge an, die man vorher von ihm nie gehört oder erwartet hätte: die Bundeswehr bekommt mehr Geld, 100 Milliarden Sondervermögen und ihr Jahres-Etat, seit langem ein Streit zwischen SPD und der Union, wird erhöht, damit die Nato gestärkt werde, das Bündnis Muskeln zeigt. Putin hat den Krieg erklärt und der deutsche Kanzler, der stets für Gespräche mit dem Kreml war, dafür, zu verhandeln und der wie wir alle nicht mit dem Einmarsch gerechnet hatte, erteilt dem Russen die Antwort. Wenn es nicht so ernst stünde, hätte man frei nach Scholz von einem neuen Wumms oder Doppel- oder Dreifach-Wumms reden können.
Der Karikaturist, so habe ich das immer gesehen, gibt der Zeitung, die sich mit seinen Werken schmückt, das Gesicht. Die Tages-Karikatur sollte deshalb oben stehen, am besten neben den Leitartikeln und anderen Kommentaren, sie ist ja auch ein zusätzlicher Leitartikel, der zum Schmunzeln einlädt, der Politiker, Wirtschafts-Bosse und überhaupt die da oben auf die Hörner nimmt. Er spießt sie auf, ohne dass Blut fließt. Seine Zeichnung soll zum Nachdenken anregen, sie darf der Person vors Schienbein treten, ohne sie zu beleidigen.
Es ist harte Arbeit
Ich kenne Heiko Sakurai seit vielen Jahren. Der Mann, dessen Vater Japaner ist, der aber in Recklinghausen zur Welt kam(1971), hat in Münster Germanistik, Geschichte und Politik studiert und wohnt und arbeitet seit Jahren in Köln. Als stellvertretender Chefredakteur der WAZ und Politik-Chef hatte ich damals das Vergnügen, Tag für Tag die Karikatur mit Heiko Sakurai zu besprechen. Was für den Leser so leicht aussieht, den Gesichtern von Scholz und Habeck und Lindner Konturen zu verleihen, ist harte Arbeit. Der Zeichner muss politisch gut informiert sein, er muss wissen, was in Berlin vor sich geht, in Brüssel und in Washington. Aber auch die großen Themen in den Bundesländern darf er nicht aus den Augen verlieren, zumal wenn Ministerpräsidenten aus NRW und Bayern, wie vor Jahr und Tag geschehen, beide Kanzler werden wollten, dann aber scheiterten. Auch der Sport kann ein Thema sein, wie die Bank und die Börsen.
Karikaturist als Traumberuf? Kann man so sehen, aber wie gesagt, die Zeichnung fällt nicht vom Himmel. Und man muss die Gesichter der Menschen draufhaben, ihre Körpersprache kennen, um das Thema mit seinem Strich in eine Zeichnung zu packen. Vor Jahren schuf Sakurai eine Karikatur, die damals mehr vorausschauend war: Sie zeigte den Altkanzler Gerhard Schröder auf dem Sockel stehend und seine Nachfolgerin, die Dauer-Kanzlerin Angela Merkel, die mit der Aktenmappe in der Hand an Schröders Statue vorbeischreitet. Und Schröder ruft ihr nach: „Noch sind Sie Kanzlerin. Aber irgendwann is immer Ende.“ Wobei man wissen muss, dass natürlich der jeweilige Kanzler und die Kanzlerin Lieblingsobjekt eines jeden Zeichners immer waren und es sind. Das galt für Adenauer wie Brandt, Schmidt, Kohl, Schröder, Merkel und jetzt Scholz.
Er hat nur einen Schuss
Man könnte sagen, der Karikaturist hat es gut, er macht ein paar Striche und fertig ist die Laube. Punkt, Punkt, Komma Strich. Zu kurz gesprungen, viel zu kurz. Richtig ist, der Journalist braucht für seinen Kommentar 60, 80 oder 100 Zeilen, der Karikaturist fasst seine Ideen über ein Ereignis in wenigen Strichen zusammen. Der Journalist muss in seinem Leitartikel argumentieren, er kann Pro und Contra gegeneinanderstellen, mancher Kommentar liest sich wie ein Sowohl-als-auch. Der Karikaturist hat nur einen Schuss und der muss sitzen.
Nicht alles ist erlaubt in der Zeitung und auch nicht in der Karikatur. Der politische Zeichner, wenn er wie Sakurai etwas auf sich hält, wird stets von unten nach oben zeichnen, also sich nicht an den Schwächen der Schwächsten ergötzen, sondern die Macken der Promis aufspießen. Hin und wieder kann es Tabus geben, Pressefreiheit hin oder her. Der Vorgänger von Sakurai, Klaus Pielert, der schon lange tot ist, hatte in seiner beachtlichen Karriere mehrfach versucht, beim Thema Brüssel oder Belgien das berühmte Männeken Pis in eine Karikatur zu bringen. Vergeblich, der zuständige Ressortchef lehnte ab, erst nach einem Personalwechsel wurde dieses Tabu gebrochen.
Kanzel auf Trümmern der Kirche
Werfen wir einen Blick in Sakurais Cartoons des Jahres2022. Stichwort Glaubwürdigkeit der katholischen Kirche. Man sieht den ehemaligen Papst Benedikt in seiner Kanzel auf den Trümmern der Kirche, zusammengebrochen nach dem Gutachten zu den Missbrauchsopfern im Erzbistum München und Freising, das Ratzinger schwer belastet, während er selber von Unkenntnis spricht. Oder nehmen wir den Kölner Erzbischof Wölki. Sie gehen, ich bleibe, sagt die Sprechblase und zeigt die Massen, die die Kirche verlassen und den umstrittenen Kardinal der Domstadt.
Die Ampel-Regierung ist natürlich ein Thema. Eines Morgens wacht sie auf und sieht verwandelt aus, sie trägt olivgrün und einen Stahlhelm. Sagen Sie Präsident Selenskyj, sehen wir die Sprechblase von Verteidigungsministerin Lambrecht, “ wir können ihm alles liefern, was wir haben: die Zeichnung zeigt einen Helm, ein paar Reifen, eine Panzerfaust. Scholz im Zug auf der Reise nach Kiew, wo er begleitet wurde von Draghi und Macron. In der Karikatur sitzt er allein am Fensterplatz, die Aktentasche auf dem Schoß. Und ihm werden die Worte in den Mund gelegt: „Klar habe ich schwere Waffen und den EU-Beitritt dabei. Als Gutscheine.“
Gerhard Schröders Kampf um den Verbleib in der SPD wird von Sakurai aufgespießt, Schröder mit dicker Zigarre, einem Pils in der Hand, vor sich ein Foto von Putin, seinem Freund. Und was sagt der Altkanzler zur verschobenen Scheidung von seiner SPD: Bin eben ein lupenreiner Sozialdemokrat. Gewöhn dich dran.“ Die Mullahs und der Gottesstaat: Sakurai lässt sie ein Plakat in den Händen halten. Wir sind das Volk. Und am Ende des Buches begrüßt Selenskyj den deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier. Die Gedankenblase rät ihm: Was Nettes, um ins Gespräch zu kommen.. Und der Zeichner lässt Steinmeier seinen Gegenüber fragen: Was macht denn der Herr Melnik jetzt eigentlich so?
Karikaturen können natürlich den Ernst mancher Tage nicht verschönern, sie können keinen Hymnen singen lassen, wenn Traurigkeit und Entsetzen angesagt sind. Beispiel Buchta in der Ukraine und das schlimme Gemetzel, das russische Soldaten angerichtet haben. Der Zeichner nimmt das große Z, das für russische Zerstörungen, Vergewaltigungen, Plünderungen, für die Brutalität des Krieges steht, und stellt es dar wie ein Massengrab, in dem die Leichen, eingepackt in dunklen Tüchern, liegen.
Dem Beobachter bleibt die Sprache weg. Was soll er dazu auch sagen? Es sind schlimmste Gräuel, Menschenrechts-Verbrechen. Sie lassen einen den Kopf schütteln, traurig zurück. Das so etwas möglich ist im Jahre 2022, mitten in Europa, unter einem russischen Präsidenten Putin, der einst im Berliner Reichstag in einer Rede Menschliches heuchelte und der dafür standing Ovations erhielt. Für Buchta gehörte er vor ein Kriegsgericht.
Der Karikaturist, egal ob er Sakurai heißt oder Meyer, ist nicht der Moralist, nicht der Scharfrichter, sondern irgendwo dazwischen. Dabei kommt dem Mann aus dem Ruhrgebiet, der in Köln lebt, das Rheinische, aber auch der Ruhri-Ton zugute. Nicht mit dem Hammer draufhauen, erdverbunden sein, dem Volk aufs Maul schauen, was nicht heißt, ihm nach dem selben zu reden, nicht immer mit vollem Bierernst die Probleme der Welt und deren Akteure zu betrachten. Feiner Humor gehört dazu und Fingerspitzengefühl. Heiko Sakurai, der preisgekrönte Karikaturist, hat von jedem etwas.