Die Professorin Gesine Schwan(76) hat ihre Bereitschaft, für den SPD-Vorsitz zu kandidieren, bekräftigt. Im Gespräch mit dem Blog-der-Republik betonte die Politik-Wissenschaftlerin und langjährige Sozialdemokratin, sie habe auch deshalb ihre Kandidatur angemeldet, weil die älteste Partei Deutschlands vor allem nach dem Rücktritt von Andrea Nahles so negativ in der Öffentlicheit behandelt worden sei und sich niemand aus dem Kreis der wichtigsten Repräsentanten gemeldet habe, für den Vorsitz anzutreten. „Ich hänge an dieser Partei“, erklärte Gesine Schwan. „Die SPD ist die einzige Partei in unserer westlichen Demokratie, die in ihren Grundwerten den Dreiklang von Gerechtigkeit, Solidarität und Freiheit festgeschrieben hat. “
Die Frage, einerseits riskiere die renommierte Wissenschaftlerin ihren guten Ruf und andererseits gehöre doch viel Mut dazu, für eine Partei zu kandidieren, die aktuell bei Umfragen gerade noch 12 Prozent erreiche, wies die Professorin zurück. „Das hat mit Mut nichts zu tun. Und was meinen Ruf betrifft. Ich habe doch nichts zu verlieren, solange ich vernünftig auftrete und für die Sache der SPD kämpfe, und das werde ich tun. Ich habe in Gesprächen im Supermarkt, in der U-Bahn und bei anderen Gelegenheiten vieles gehört und erfahren, was mich in meiner Absicht bestärkt hat. Und ich kandidiere gern, weil ich überzeugt bin, dass die SPD gebraucht wird.“
Sie werde nicht im Tandem mit dem Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert antreten, aber sie halte Kühnert für einen ausgesprochen klugen und nachdenklichen Zeitgenossen. Wörtlich sagte sie: „Ich habe mit Kevin Kühnert gesprochen, ich schätze ihn sehr. Er ist für die SPD sehr wichtig.“ Mit wem sie im Tandem antrete, ließ Gesine Schwan offen. Darüber gebe es Gespräche, es sei noch nicht entschieden. Die Berlinerin hat mehrfach klargestellt, dass sie mit ihrer Kandidatur für die SPD-Spitze keine weiteren Karrierewünsche wie Kanzlerkandidatin verbindet, sondern: „Ich will der Partei helfen, dass ihr Bild in der Öffentlichkeit wieder positiver wird, als das im Moment der Fall ist. Dies könnte ein Vorteil sein und es erleichtern, verloren gegangenes Vertrauen wieder zurückzugewinnen.“
Ein kleinkariertes Bild
Gesine Schwan, die seit knapp 50 Jahren Mitglied der SPD ist, räumte ein, dass ihre Partei „nach außen ein unerfreuliches, kleinkariertes Bild liefert. Wir müssen uns eine neue Begeisterungsfähigkeit erarbeiten. Es reiche nicht, ein paar schöne Sachen zu versprechen. Wenn wir Wählerinnen und Wähler überzeugen wollen, müssen wir zeigen, dass wir uns um sie kümmern, wir müssen es leben. Sie müssen merken, dass wir es ernst meinen. Und zwar nicht nur, um eine Wahl zu gewinnen, sondern langfristig.“
Gesine Schwan hat in der Vergangenheit zwei Mal für das Amt des Bundespräsidenten kandidiert, 2004 und 2009 gegen Horst Köhler und verloren. Die Bürgerinnen und Bürger der Republik haben die engagierte Sozialdemokratin stets als undogmatisch erlebt, als eine Politikerin, die in der Lage ist, überparteilich und ohne Scheuklappen zu diskutieren. In einer Zeit, da sich viel Frust gebildet hat wegen einer Politik, die dazu führt, dass nicht alle mitkommen, sondern sich abgehängt fühlen, könnte eine wie Gesine Schwan helfen, Brücken zu bauen und auch mehr Demokratie zu wagen, um einen Satz aus den Regierungsjahren von Willy Brandt zu zitieren. Wörtlich meinte Gesine Schwan dazu: „Wir müssen auf kommunaler Ebene die Bürger mehr einladen, sich politisch zu beteiligen, sie um Rat, um ihre Meinung fragen. Wir müssen in Zusammenarbeit mit den Kirchen und Verbänden und der Bürgerschaft gemeinsam darüber reden, wo wir hinwollen.“
Was die missliche Lage der SPD betrifft, gelte es, das in der Vergangenheit entstandene „generelle Misstrauen“ von Bürgerinnen und Bürgern gegenüber der SPD abzubauen. Das habe auch mit den Folgen der Agenda-Politik des Kanzlers Gerhard Schröder(SPD) zu tun. Schröder und sein britischer Amtskollege Tony Blair wollten im Zuge der Globalisierung modern sein, weniger Staat mehr Privatisierung lautete die Losung, den Markt wollte man viel mehr regeln lassen. Die Menschen, die nicht mitkamen, sahen die SPD plötzlich nicht mehr als ihre Schutzmacht an, zitierte Frau Schwan Klagen ehemaliger SPD-Wähler. Nach einem Jahr Arbeitslosigkeit seien die Betroffenes in ein tiefes Loch gefallen, sie hätten sich völlig entblättern müssen. Sie hätten das Gefühl gehabt, als seien sie selber Schuld an ihrer schlechten Lage, sie fühlten sich gekränkt. Und dann hatte der SPD-Kanzler mit Sprüchen von den „faulen Säcken“ die Stimmung auch noch angeheizt.
Es geht um das Selbstwertgefühl
Die Frage der sozialen Gerechtigkeit sieht Gesine Schwan nicht nur unter monetären Aspekten. Wörtlich erläuterte sie: „Es geht nicht nur um Umverteilung von Geld von oben nach unten. Die Defizite gibt es und viel zu hoch bezahlte Manager gibt es auch. Mir geht es mehr um das Selbstwertgefühl, das man den Menschen geben muss, dass sie mehr teilhaben können, an dem was passiert.“ Anders als zu sozial-liberalen Jahren sei die SPD heute „geistig nicht auf der Höhe der Zeit“, sie habe vielfach den Kontakt zu den Kulturschaffenden verloren, weil sie ihn zu wenig gepflegt habe. „Wir brauchen geistig eine offene, unbequeme, undisziplinierte Vielfalt.“
Frau Schwan wünscht sich eine Partei, die analytischer vorgeht und sich um längerfristige Perspektiven kümmert. „Von mir aus können Sie das auch Visionen nennen“, hatte sie in einem Interview mit dem Berliner „Tagesspiegel“ erklärt. Es gehe darum, ob wir uns eine Gesellschaft vorstellen können, die besser sei als die, in der wir jetzt leben, „eine Gesellschaft mit mehr Freude und Demokratie, in der wir uns zu Hause fühlen.“
Den Gerechtigkeitsaspekt will die SPD-Politikerin auch beim Klimawandel stärker politisch integrieren. Es gehe dabei auch um kulturelle und psychologische Punkte. Als Beispiel erwähnte sie die Lausitz und wies daraufhin, dass sie gerade mit dem Bundesumweltministerium an einem Projekt arbeite. Mit Bewohnern der Lausitz, auch mit Künstlern werde dabei die kullturelle Dimension der Transformation ins Zentrum gestellt. Man dürfe den Menschen dort ihren Stolz nicht nehmen, den Stolz, den sie hatten, als sie für die ganze DDR die Energie bereitgestellt hätten und heute oft nur noch als Luftverpester verschrien seien. Da müsse die SPD mit den Bewohnern der Lausitz den Neubeginn erörtern und gemeinsam mit ihnen gestalten.
Gesine Schwan fordert auch in der Flüchtlingspolitik einen Politikwechsel. Sie kritisierte, dass die Kanzlerin Angela Merkel und ihr damaliger Innenminister Thomas de Maiziere vor ein paar Jahren Italien die „kalte Schulter gezeigt“ hätten, als auf der Insel Lampedusa Tausende von Flüchtlingen gestrandet seien und Rom um Hilfe durch das übrige Europa und Deutschland gebeten habe. Und heute müssten wir erleben, dass Italien die Häfen gegen die Flüchtlinge schließe. Das sei die Quittung für damals. Die SPD hätte von Anfang konsequent klarmachen müssen, dass auch in der Flüchtlingspolitik mehr Gerechtgkeit stattfinden müsse. Beispiel: Man könne doch Flüchtlinge nicht in eine Gesellschaft schicken, in der sich 20 Prozent der Bevölkerung materiell und kullturell abgehängt gefühlt hätten, ohne die Gerechtigkeitsfrage zu stellen. Es sei völlig normal, dass solche Menschen Angst vor der fremden Konkurrenz empfänden, Angst wegen der Konkurrenten bei der Wohnungssuche, bei der Suche nach einem Job.
Mit Wählern der AfD reden
Über die Aufnahme der Flüchtlinge müsse vor Ort in der Kommune freiwillig entschieden werden, und zwar gemeinsam mit den Bewohnern. Die Gelder, die den Flüchtlingen zugute kämen, müssten in gleicher Höhe auch den Einheimischen zufließen. Das verhindere Neid und führe zu mehr Gerechtigkeit. Es sei ein Fehler der SPD-Führung gewesen, dieses heikle Thema nicht mit konstruktiven Lösungen angesprochen zu haben aus Angst, in die rechte Ecke gestellt zu werden. Dabei werde andersherum ein Schuh daraus. Nur durch transparente Gerechtigkeit könne man die Rechten stoppen. Angesprochen auf die AfD betonte Gesine Schwan, sie würde mit den Wählern der AfD reden. Nur so könne man erfahren, warum sie diese Partei wählten, und welche Fehler die anderen Parteien gemacht hätten. Das heißt gar nicht, dass man ihren Vorstellungen einfach folgen könne.
In der Europa-Politik versteht Frau Schwan das politische Ziel der Volksparteien, mit Spitzenkandidaten in die Wahl zu gehen. Dazu hätte sich das Parlament aber nach der Wahl auf eine Person oder ein Verfahren einigen müssen. Jetzt müsse man sich mit den Positionen von Ursula von der Leyen befassen, genau ausloten, welche Visionen die designierte Präsidentin für die Zukunft Europas habe und demokratiepolitische Bedingungen für die Wahl stellen. Wenn die CDU-Kandidatin die Bedingungen und Forderungen der SPD erfülle, plädiere sie dafür, Ursula von der Leyen auch zur obersten Repräsentantin Europas zu wählen.
Die Zukunft der Groko ließ Gesine Schwann offen. Man müsse gegen Ende des Jahres genau analysieren, welche Themen die Groko bis zu dem Zeitpunkt erledigt habe und welche noch auf der Agenda stünden. Und dann müsse man mit Blick auf die Chancen, in Zukunft eine stimmige linke Politik zu betreiben, entscheiden. Gesine Schwan würdigte die politische Entwicklung in Bremen hin zu einer Rot-Grün-Roten Koalition, eine Konstellation, die sie sich auch für den Bund vorstellen könne.
Zur Person: Gesine Schwan, geboren 1943 in Berlin, kommt aus einer sozial engagierten Familie, die während der Nazi-Zeit protestantischen und sozialistischen Widerstandskreisen angehörte. Im letzten Kriegsjahr versteckten ihre Eltern ein jüdisches Mädchen vor einem möglichen Zugriff der Nazis. Nach dem Krieg setzten sich ihre Eltern für die Verständigung mit Frankreich und Polen ein, ein Thema, das das Leben von Gesine Schwan bis heute begleitet. Studienaufenthalte in Warschau und Krakau wie auch das Thema ihrer Dissertation über den polnischen Philosophen Leszek Kolakowski weisen dies u.a. aus. Gesine Schwan lehrte an der Freien Universität in Berlin Politikwissenschaften, sie war Präsidentin der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt(Oder) und Koordinatorin für die deutsch-polnische Zusammenarbeit der Bundesregierung. 2009 gründete sie die Humboldt-Viadrina-School of Governance und war deren Präsidentin. Innerhalb der SPD war sie an der Gründung des konservativen Seeheimer Kreises beteiligt. Sie ist Vorsitzende der Grundwerte-Kommission der Partei. 2004 und 2009 kandidierte sie auf Vorschlag der SPD und der Grünen gegen Horst Köhler für das Amt des Bundespräsidenten und unterlag. Die praktizierende Katholikin ist in 2. Ehe mit Peter Eigen verheiratet. Eigen ist Gründer und war Vorsitzender der Nichtregierungsorganisation Transparency International, deren erklärtes Ziel der Kampf gegen die Korruption ist.
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