Martin Schulz rockt scheinbar die politische Landschaft. Die Umfragewerte für die SPD steigen. Im Bund liegt die Partei bei 26 Prozent – das ist allerdings immer noch schwach und ohne reelle Machtperspektive, aber nach jahrelanger Durststrecke ein Hoffnungsschimmer für die Genossen. In NRW sehen die Meinungsforscher die Sozialdemokraten bei gut 30 Prozent leicht vor der oppositionellen CDU – das macht eine Fortführung von rot-grün in Düsseldorf weiter unmöglich. Zwar hat Hannelore Kraft mit ihren Popularitätswerten einen großen Vorsprung vor dem Herausforderer Armin Laschet, doch sie braucht nach heutigem Stand neben den Grünen einen dritten Koalitionspartner, um nach der Wahl Regierungschefin bleiben zu können. Die FDP mit ihrem Bundes-Landesvorsitzenden Lindner weigert sich dagegen, auch wenn sie in Rheinland-Pfalz eine entsprechende Koalition eingegangen ist. Droht also in Düsseldorf eine große Koalition, weil keine der beiden großen Volksparteien mit den mutmaßlichen neuen politischen Schmuddelkindern von der AFD ein Bündnis eingehen will?
Dies wäre ein fatales Signal für die im September anstehende Bundestagswahl: Die Zementierung des Status Quo, weil auch dort trotz aller Jamaikaambitionen führender Bundesgrüner es nach der Endauszählung dafür nicht reichen könnte. Sicher, Cem Özdemir, Peter Altmaier und Christian Linder treffen sich gerne zum politischen Gedankenaustausch, wie im Dezember zum Thema Energiepolitik, doch zur Zeit werden alle politischen Karten neu gemischt.
Alle Prognosen sind angesichts der unwägbaren Verwerfungen durch die Flüchtlingskrise, Erdogan, Terrorismus, Brexit, Le Pen, Orban und vor allem den Vulgärpopulisten Donald Trump schnell Makulatur .Auf die Rolle des politischen Schreihalses reduziert ihn kein ernst zu nehmender Beobachter mehr, denn Trump macht ernst mit seinen Wahlkampfdrohungen. Alleine ein Handelskrieg, den er mit China und der EU anzetteln könnte, würde das politische Koordinatensystem weltweit zum Einsturz bringen. In solchen Zeiten vertrauen die Wähler meist der starken Führung, die sie sicher aus den Turbulenzen leiten kann. Diese Karte wird die Union mit Angela Merkel und dem Motto „ Klarer Kurs- keine Experimente „im Wahlkampf spielen.
Da wird es schwer für Martin Schulz mit innenpolitischen Themen der sozialen Gerechtigkeit zu punkten. Sicher, seine Kritik an Millionenabfindungen für gescheiterte Manager stimmt. Natürlich haben sie sich zu „Maden in Germany“ entwickelt und alle Maßstäbe gerade auch der traditionellen Werte verloren. Doch reicht die Empörung bis in die Wahlurnen, sind die Bürger nicht müde geworden angesichts der Wahlkampfversprechungen, haben sie Erreichtes wie Mindestlohn, Frauengleichstellung oder Rentenanpassungen nicht schnell vergessen?
Die Rolle als Vorsitzender, der eine auch in Funktionärsagonie verharrte Partei ermutigen und erneuern muss, ist dabei genauso schwer wie die des Kandidaten, der den Bürgern den Weg nach vorne, nach Reformen und nicht neuen Belastungen, weisen soll. Er steht jetzt sprichwörtlich auf der Lichtung und ist von jeder Seite zum politischen Abschuss frei gegeben. Wo also liegen die Chancen von Schulz?
Sie liegen neben seinen rhetorischen Fähigkeiten und Bürgernähe vor allem in seiner europäischen Kompetenz und seiner innenpolitischen Newcomer Rolle.
Alle großen Themen dieser Zeit wie Flüchtlingskrise, Populismus außerhalb unserer Grenzen oder drohende Handelskriege sind nur europäisch zu lösen. Das werden gerade die Verhandlungen mit Groß Britannien deutlich machen, wie sehr unsere Volkswirtschaften miteinander verwoben und abhängig sind. Im Klartext: Ein Produkt ist ja nicht dadurch besser, das es aus Deutschland oder Frankreich kommt, sondern vor allem weil es in seinem Preis-Leistungsverhältnis überzeugt. Das lässt sich auf Dauer auch nicht durch Zölle verhindern oder befördern. Das ändert sich nur durch innenpolitische Rahmenbildung wie konkurrenzfähige Lohnstückkosten oder das Bildungsniveau.
Schulz braucht, gerade weil er jetzt auf der öffentlichen Lichtung steht, dazu eine Partei, die sich nicht nur programmatisch „neuen „ Themen wie Industrie 4.0 stellt, sondern in ihrer ganzen Art des politischen Selbstverständnisses und der Wirkungsmöglichkeiten neu aufstellt. In Ländern wie Nordrhein-Westfalen ist sie durch langes Regieren personell in ihren Parteiapparaten ausgeblutet, sie hat sich von Eliten entfernt und dabei wesentliche Bereiche wie Kultur oder Wissenschaft sträflich vernachlässigt. Der SPD sind vielfach aus diesen Bereichen die Sympathisanten verloren gegangen. In Bayern und Baden Württemberg hat sie sich bereits marginalisiert. Für eine Neuaufstellung reicht die Zeit bis zu den Wahlen nicht mehr. Schulz und Kraft müssten aber zumindest ansatzweise deutlich machen, was moderne Sozialdemokratie in dieser sich dramatisch veränderten Zeit bedeutet.
Sich dabei immer nur auf die wahlkämpfenden Spitzenkandidaten zu verlassen und ihnen bei entsprechender Beinfreiheit diese auch noch weg zu schlagen, das reicht Erfahrungsgemäß nicht.
Bildquelle: Wikipedia, Tim Reckmann und EuropeDirect,, CC BY-SA 3.0 de