Was ist los mit der SPD. Selten ist ein Kanzlerkandidat so schlecht beraten durch den Wahlkampf getaumelt wie derzeit Martin Schulz. Neueste Nachricht: Schulz nennt vier Bedingungen, die für ihn in einer Koalition unverhandelbar seien:
– gerechte Löhne
– gute Schulen
– sichere Renten
– demokratisches Europa
Vier Forderungen, für die er, so pauschal formuliert, kaum Widerspruch ernten wird. Nicht einmal die AfD wäre als Partner ungeeignet, geschweige die Union , die gegenwärtig bei 37 Prozent Zustimmung verweilt. Ein Mandat für ihre vierte Kanzlerschaft wäre daher Frau Merkel gegebenenfalls entlang der vorliegenden Umfragezahlen in einer, wenn auch kleiner werdenden, erneuten „großen“ Koalition sicher, oder eben in der farbenreicheren Jamaikarunde mit FDP und Grünen. Wer könnte von den genannten Parteien etwas gegen „gerechte“ Löhne einwenden oder gegen gute Schulen sein oder gegen sichere Renten in einem demokratischen Europa? Selbst wenn Schulz diese politischen Allgemeinplätze mit dem Füllfederhalter in Anzeigen handschriftlich aufmalt, ist der Sinn kaum auszumachen, es sei denn, es war seine Absicht, auch den letzten Rest Unterscheidbarkeit zwischen den Parteien aufzuheben.
Wie anders wäre die Reaktion, hätte Schulz die Aufhebung der blamablen Ungerechtigkeiten im Steuersystem als unverhandelbar bezeichnet. Dort liegt bei Schenkungen von über 20 Millionenn Euro zum Beispiel der effektive Steuersatz nach neuestem Bericht des Statischen Bundesamtes derzeit bei 17000 Euro Steueranteil, also bei lächerlichen o,7 Prozent. Je kleiner das zu „verschenkende“ Vermögen ist, umso stärker schlägt die Steuer bei Normalbürgern zu, Vermögende werden geschont. Kein Wunder, dass immer mehr Menschen den Eindruck haben, dass der Teufel immer wieder auf den größten Haufen scheißt.
Klare Kante würde Schulz auch zeigen, wenn er endlich den tatsächlichen Gründen für die nicht enden wollenden Bürgerkriege im Nahen- und Mittleren Osten den Kampf ansagen würde. Mehr als 65 Millionen Menschen sind derzeit weltweit auf der Flucht und die Waffenexporte erreichen neue Rekordsummen. Allein Saudi Arabien kauft Waffen für mehr als 100 Milliarden Dollar, die nicht nur im Jemen Tod und Verderben bringen. Hauptlieferant die USA. Auch die deutschen Lieferungen nehmen zu, und nicht nur beschränkt auf NATO-Verbündete. Schluss mit Waffenlieferungen an die Türkei, die von dort an die IS-Aufständischen weiter geliefert werden. Schluss mit Waffengeschäften hätte also ebenfalls ein unverhandelbares Unterscheidungsmerkmal im Wahlkampf sein können.
Als drittes Merkmal hätte Schulz den Klimawandel in den Wahlkampf einbringen können und die dümmliche Bemerkung des US-Präsidenten, Klimawandel sei eine chinesische Erfindung mit der Frage kontern können, ob die Naturkatastrophen in den USA ebenfalls chinesische Erfindungen seien. Noch glaubwürdiger wäre es gewesen, dass Ende des Abbaus von Braunkohle anzukündigen und das mit dem Ende der Braunkohlekraftwerke in Deutschland zu verbinden.
Die Rückgewinnung der SPD für ein eigenständiges Profil, und damit das Zutrauen in die Bereitschaft der Sozialdemokraten zu fördern, anstehende Probleme lösen zu wollen, und die soziale Spaltung der Gesellschaft zu bekämpfen, hätte auch an Glaubwürdigkeit gewonnen, wenn Schulz zugleich die Vorstände der Großbanken und Dax-Konzerne, vor allem die Auto-Branche an ihre gesellschaftliche Mitverantwortung für das „Made in Germany“ zu erinnern, und wenn er die Verschärfung des geltenden Gesellschaftsrechts bei unternehmerischem Fehlverhalten in den Mittelpunkt gerückt hätte, wie beispielsweise bei der Deutschen Bank oder bei VW, Audi, BMW oder Mercedes.
Ich bin sicher, diese vier Forderungen hätten zu einer trefflichen Belebung im Wahlkampf geführt. Sie hätten glaubwürdig dementiert, dass Schulz sich mit seinen Unverbindlichkeiten, tatsächlich auf eine neue GroKo vorbereitet. Er hätte zudem beigetragen, die Lust an einer demokratischen Auseinandersetzung über die Zukunft unseres Landes zu stärken. Dem Land und der Demokratie hätte es gut getan.