Gerade ist Henry Kissinger wieder mal geehrt worden. In seiner Heimatstadt Fürth in Franken verlieh ihm der bayerische Ministerpräsident Markus Söder(CSU) den Maximiliansorden des Freistaates, der eigentlich nur dem überreicht wird, der sich Verdienste in Wissenschaft und Kunst erworben hat. Aber das ist hier nur als Randbemerkung erwähnt, ich denke, der Herr Söder, Franke aus dem benachbarten Nürnberg, hat nach einer Medaille für den alten Herrn gesucht. Kissinger nahm sie entgegen im Namen seiner Familie und in Erinnerung an die Eltern, „die in Fürth so glücklich gelebt haben“. (zitiert nach SZ) Und dem Bericht der „Süddeutschen Zeitung“ entnehme ich kluge Äußerungen von Wolfgang Schäuble, der den Jubilar gegen erwartbare Kritik in Schutz nahm und dafür Helmut Schmidt zitierte, den einstigen SPD-Kanzler und Kissinger-Freund. Der Hamburger Sozialdemokrat habe gesagt: Wer als Politiker handele, mache sich stets schuldig. Und für Politiker gelte, so Schäuble: „Handeln ist geradezu moralisch zwingend.“ Womit wir beim Thema wären.
Immerhin ist der frühere US-Außenminister und Sicherheitsberater Kissinger Friedensnobelpreisträger. Und doch ist er umstritten wie kaum ein anderer, auch wenn er „Unverzichtbares geleistet hat für unsere Sicherheit und Freiheit“. Schäuble warnte vor „moralisierender Besserwisserei“ bei jenen, die Kissinger einen Zyniker oder im schlimmsten Fall einen Verbrecher nennen. Aber „vieles ist eben umstritten gewesen, was der Realpolitiker entschieden hat“. Genauer äußerte sich Schäuble, der einstige und mehrfache Minister in vielen Ressorts und Bundestagspräsident, nicht. Meinte nur noch, den „Vorwurf mangelnder Moral halte ich für grottenfalsch“. Na ja. Wenn ich da an die Chile-Politik der Amerikaner denke, an den Putsch gegen Allende, dessen Tod und die Ermordung von Tausenden von Chilenen, die unter den Augen und mit dem Wohlwollen der Amerikaner und dem von Kissinger geschah, könnte man Zweifel hegen.
Auch die Vietnam- und Kambodscha-Politik Washingtons war lange umstritten. Ich zitiere aus dem Buch „Werte und Mächte“ des angesehenen Historikers Heinrich August Winkler. „Kissingers Einfluss auf den Präsidenten(gemeint NIxon) war ungleich größer als der von Außenminister William Rogers oder Verteidigungsminister Melvin Laird. Er riet Nixon zur Bombardierung der nordvietnamesischen Rückzugsgebiete in Kambodscha und später, im Frühjahr 1970 zu einer amerikanischen Bodenoffensive in Kambodscha, die den USA zwar kurzfristig eine gewisse Entlastung brachte, längerfristig aber der kommunistischen Seite nutzte: Bis zum März 1971 brachten die Roten Khmer unter Pol Pot vier Fünftel Kambodschas unter ihre Kontrolle.“ Es gelang Washington nicht, „den Vietcong an den Verhandlungstisch zu bomben“. Was für eine Wortwahl!
Alles andere als ehrenwert?
Kissinger, der große Politiker oder nur ein wichtiger? Albrecht Müller, damals leitender Mitarbeiter des SPD-Kanzlers Willy Brandt und seit Jahren Chef der Nachdenkseiten, urteilte vor einiger Zeit: „Kissinger ist alles andere als ein ehrenwerter Politiker und Mensch“. Damit widersprach Müller der ziemlich unterwürfigen Einleitung des ZDF-Journalisten Wulf Schmiese, der ein Interview mit Henry Kissinger mit den Worten angekündigt hatte: „Hier ist der wohl berühmteste Ex-Außenminister der Welt. Guten Abend Henry Kissinger.“ Nun muss man zur Kritik von Albrecht Müller wissen, dass Kissinger ein Gegner der Ost-Politik von Willy Brandt war. Müller wies kürzlich auch darauf hin, dass derselbe Kissinger es bedauert habe, dass Brandt „kein vorzeitiges, von einer Kehlkopfoperation verursachtes Ende“ genommen habe. Dem „Spiegel“ war der Inhalt eines brisanten Telefonats aus dem Jahre 1973 zwischen Nixon und Kissinger zu entnehmen. Demnach habe Kissinger Brandt für naiv gehalten und für einen „Trottel“. Und doch dürfte das Urteil von Schmiese im ZDF-berühmtester Ex-Außenminister- nicht gänzlich umstritten sein.
Ein Hundertjähriger auf Heimatbesuch, so der Titel in der SZ über Kissingers Rückkehr zu den Wurzeln. Der Vater von Heinz Alfred Kissinger, Louis, war Lehrer für Geschichte und Geographie am Lyzeum, seine Mutter Paula(geborene Stern) war die Tochter eines jüdischen Viehhändlers. Die Familie emigrierte 1938 gerade noch rechtzeitig vor den Nazis nach Amerika. Viele Verwandte der Familie Kissinger und einige seiner Mitschüler wurden von den Nazis in Konzentrationslager verschleppt und ermordet. Die Bestialität der Nazis, ihre industrielle Vernichtungsmaschine, lernte Kissinger kennen. Er kämpfte während des 2. Weltkrieges in der US-Army zum Beispiel in der Ardennenoffensive, nach dem Krieg ging er zurück in die Staaten, studierte in Harvard, wurde dort promoviert, wurde Professor für Politikwissenschaft, nationaler Sicherheitsberater, US-Außenminister, 1973 erhielt er den Friedensnobelpreis. Ein gefragter Mann ist er bis heute, wo er im Rollstuhl sitzt und immer wieder in die weite Welt reist, um z.B. über sein Buch zu reden, das den vielsagenden Titel trägt: „Staatskunst“. Ein 600 Seiten langes Werk, in dem der Deutsch-Amerikaner über Tugenden schreibt wie maßvolles vorausschauendes Handeln, Rücksicht auf die Rechte anderer, die Kenntnis humanistischer Bildung, eben über Staatskunst und mit alldem sicher auch sich selber beschreibt.
Mit Putin reden
Man wird Kissinger-bei aller berechtigten Kritik- nicht gerecht, ließe man unerwähnt, dass er sich natürlich zur aktuellen Politik immer wieder geäußert hat und sich äußert. So zur Invasion Russlands in die Ukraine, die er in dem erwähnten Buch „einen ungeheuerlichen Verstoß gegen das internationale Recht“ nennt und als „Auswuchs eines gescheiterten strategischen oder nur halbherzig geführten Dialogs“. Und damit nicht nur Moskau und Putin meint, sondern auch den Westen. Russland ist eben eine Atommacht, das größte Land der Welt zudem, mit dem man eben auf demselben Planeten leben müsse(Zitat Margaret Thatcher). Realpolitik ist das. Kissinger hat schon vor Zeiten für Verhandlungen plädiert, dafür, mit Putin, dem Kriegstreiber, der er ist, zu reden, weil es in Moskau keinen anderen Gesprächspartner gebe. Also hat er der Ukraine dazu geraten, auch Russland, er hat in einer Video-Botschaft gesagt, alle müssten abgeben, damit eine Eskalation vermieden, damit man endlich die Waffen zum Schweigen bringen würde.
Ein Hundertjähriger erfüllte sich einen lang gehegten Traum. Die Heimkehr nach Fürth, bevor er weiterzieht von Land zu Land, von Ehrung zu Ehrung. Im Theater in Fürth, wo er als kleiner Junge auf Geheiß des Vaters die Oper Fidelio sehen und hören musste, sagte er, nun selber auf der Bühne sitzend, vor sich als Gäste des Festaktes auch die Familie aus den USA: „Der Kreis meines Lebens rundet sich hier harmonisch ab. Den Wunsch, den ich so viele Jahre hatte, konnte ich heute hier vollenden.“(zitiert aus der SZ)
Bildquelle: Von David Hume Kennerly – Gerald R. Ford Presidential Library and Museum, Gemeinfrei,