Der Kanzler vor dem Untersuchungsausschuß der Cum-Ex-Affäre in Hamburg. Hat er als Hamburger Bürgermeister Einfluss auf das Steuerverfahren Warburg genommen? Scholz hat das schon mal dementiert. Aber das reicht seinen Kritikern nicht, zumal es Zweifel gibt, Erinnerungslücken des Kanzlers, Lücken im Kalender. Wer heute dazu die Medien verfolgte, konnte den Eindruck bekommen, der Bundeskanzler stehe kurz vor seinem Sturz. Da gab nassforsch wie immer CDU-Chef Friedrich Merz von sich, er glaube dem Kanzler kein Wort. Ein weiterer Unions-Mann aus der dritten Reihe forderte Scholz und dessen Nachfolger in Hamburg, Tschentscher, zum Rücktritt auf. Merkwürdige Allianzen von Linken-Politikern und Christdemokraten haben sich gebildet in der Jagd auf den SPD-Bundeskanzler. Merz und der Linke, nicht mehr im Bundestag vertretene, Fabio de Masi sind sich in der Bewertung von Scholz einig: Schuldig. Scholz lügt, las ich auch schon. Journalisten sehen die Lage sehr ernst für Scholz, es werde eng. Die NZZ, schon immer eher auf Distanz zur SPD, fragt ihre Leser: Wie ehrlich ist Scholz? Starker Tobak.
Und was tat Scholz gestern im Ausschuß der Hamburger Bürgerschaft? Er wies jede Einflussnahme auf den Fall, es geht um einen größeren Steuerraub von Zig-Millionen Euro, zurück. Punkt. Wie gehabt! Hatte wirklich jemand gemeint, Scholz in Bedrängnis bringen zu können? Mit Vermutungen, Mutmaßungen, Vorwürfen, Verdächtigungen?
Hintergrund sind drei Treffen von Scholz als Hamburgs Erster Bürgermeister mit den Gesellschaftern der Warburg Bank, Christian Olearius und Max Warburg in den Jahren 2016 und 2017. Nach den Treffen hatte die Finanzverwaltung der Hansestadt Rückforderungen von zu Unrecht erstatteter Kapitalertragssteuer von 47 Millionen Euro gegen die Bank zunächst verjähren lassen. Weitere 43 Millionen wurden später auf Weisung des Bundesfinanzministeriums zurückgefordert. Scholz hatte die Treffen bestätigt, konnte sich aber an Inhalte nicht mehr erinnern. Er hat aber mehrfach betont, dass es keinerlei politische Einflussnahme gegeben habe. Anderslautende Vorwürfe seien bei den Befragungen „durch nichts und niemanden gestützt“ worden. Scholz, unter Kanzlerin Merkel Bundesfinanzminister, erklärte dazu ferner, dass Steuerhinterziehung „kein Kavaliersdelikt“ sei. Auch deshalb sei klar: „Es hat keine Vorzugsbehandlung von Herrn Warburg oder Herrn Olearius gegeben.“
Und dennoch haben Ermittler und Medien den Kanzler im Visier. Fragt der „Stern“, was hat der Kanzler zu verbergen? Behauptet de Masi, Scholz werde die Legislaturperiode nicht überstehen. In der eher linken „Frankfurter Rundschau“ betont derselbe de Masi: „Wir können uns keinen Pinocchio-Kanzler leisten.“ Da ist das mit der Lüge wieder. Andere sind sich sicher, Scholz werde diesen Skandal nie wieder los. Journalisten sollten sich an Tatsachen orientieren und sich nicht als Propheten hergeben. Das geht meistens schief.
Auch ein Bundeskanzler kann für sich die Unschuldsvermutung beanspruchen. Es mögen viele Fragen sein, die Scholz mit seinen Antworten und Auskünften provoziert, man mag ihm seine Erinnerungslücken nicht abnehmen, weil sein Gedächtnis außerordentlich gut sein soll. Aber seine Schuld muss bewiesen werden. Verdacht allein reicht nicht. Dass sich die Opposition nicht damit zufrieden gibt, ist ihr gutes Recht. Sie wird versuchen, das Thema Scholz, Cum-Ex, SPD, Johannes Kahrs, ein Hamburger SPD-Strippenzieher, in dessen Schließfach über 200.000 Euro gefunden wurden, mindestens bis zum 9.Oktober am Kochen zu halten. Dann ist der Tag der Landtagswahl in Niedersachsen. Und da geht es um viel. Der amtierende Ministerpräsident Stephan Weil(SPD) ist im Lande ein beliebter Regierungschef. Ein SPD-Kanzler, dessen Glaubwürdigkeit man mit Vorhaltungen wegen der Cum-Ex-Affäre in Zweifel ziehen könnte, wäre kein guter Wahlhelfer. Darum geht es Friedrich Merz. Es kann gut sein, dass sich der Sauerländer für seine ruppige Attacke auf den Kanzler noch mal wird entschuldigen müssen.