Es ist schon ein starkes Stück, wenn eine Bundesaußenministerin wie Annalena Baerbock wenige Tage vor der Reise des Kanzlers Olaf Scholz nach Peking öffentlich eine andere China-Politik verlangt. Scholz hat sich dazu nicht geäußert, man darf aber davon ausgehen, dass ihn das Vorgehen seiner Ministerin ziemlich geärgert haben dürfte. Was die Grünen-Politikerin auf ihrer Usbekistan-Tour Richtung Berlin von sich gab, wirkte ziemlich vorlaut und besserwisserisch. Im Aufmacher der SZ las ich Baerbocks Wortlaut, „dass wir als Bundesregierung eine neue China-Strategie schreiben, weil das chinesische Politik-System sich in den letzten Jahren massiv verändert hat und damit sich auch unsere China-Politik verändern muss.“ Als wenn das der Kanzler nicht selber wüsste?!
Baerbock forderte zugleich Scholz auf, in China deutlich zu machen, „dass die Frage von fairen Wettbewerbsbedingungen, dass die Frage von Menchenrechten und die Frage der Anerkennung des internationalen Rechts unsere Grundlage der internationalen Kooperation ist.“ So Annalena Baerbock, die Grünen-Politikerin, von der wir seit ihrem verunglückten Wahlkampf aus dem letzten Jahr wissen, dass sie aus dem Völkerrecht kommt. Was damals genauso wichtigtuerisch wirkte wie ihre heutige Protokollnotiz in Richtung Scholz. Eigentlich unmöglich, das Verhalten der Ministerin, das dadurch nicht gemildert wird, dass sich andere Minister wie Lindner, Habeck und Buschmann der Notiz und damit wohl auch der Kritik an Scholz´Reise angeschlossen haben sollen. Wenn das so war, macht das keinen guten Eindruck, das ist sogar peinlich, weil Scholz am Freitag Richtung Osten düsen wird. Wer ist hier Koch, wer Kellner?
Ein Alleingang zu viel, lese ich in der Presse. Damit ist jetzt nicht der unstimmige Kabinettschor aus Berlin gemeint, sondern die Kritik aus Frankreich und aus Brüssel an der Tour des Kanzlers. Nicht abgestimmt. Frankreichs Präsident Macron habe Scholz signalisiert, zusammen nach Pelking zu fahren. Aus der EU werden Töne laut, die Scholz schrill in den Ohren klingen müssen. Es wird gefragt, welches Spiel Deutschland treibe. Gemeint der Kanzler, man ruft ihm zu, der Zeitplan der Reise sei falsch. Gemeinsam müsse man mit China reden, dem allmächtigen Staatpräsidenten Xi Jinping gegenübertreten und vor allem nicht in neue Abhängigkeiten geraten. Beispiel Gas, Russland, Putin, das dürfe sich nicht wiederholen.“Die Zeit der Naivität ist vorbei. Wir müssen sehr wachsam sein.“ So der harsche Ton von EU-Kommissar Thierry Breton, zuständig für Industrie und Binnenmarkt. Das kann Scholz nicht egal sein, was da an Kritik geäußert wird.
Doch den deutschen Bundeskanzler scheint das alles nicht anzufechten oder zurückzuhalten. Scholz ist da mindestens so arrogant wie andere Hamburger es waren, wie Helmut Schmidt. Oder nehmen wir Klaus von Dohnanyi. Oder Leisler Kiep, den einstigen CDU-Politiker, der auch mal Bürgermeister der Hansestadt werden wollte. Scholz fährt trotz einiger Absagen von hochkarätigen Wirtschafts-Managern mit einer großen Delegation nach China. Nur für einen Tag, genauer 12 Stunden, was mit den Quarantäne-Vorschriften in China zusammenhängt wegen der Corona-Pandemie. Wer sonst einreisen möchte, muss sich mindestens sieben Tage in strenge Quarantäne begeben, was keiner will. Also keine Übernachtung in einem Hotel in der chinesischen Metropole, sondern Rückflug noch am selben Tag. Scholz, so war zu hören, wolle sondieren, wie es künftig weitgehen soll zwischen Peking und Berlin. Wandel durch Handel, das geht vorerst nicht mehr, zumindest seit dem Einmarsch von Putins Truppen in die Ukraine nicht mehr so, wie gehabt. Keine zu großen Abhängigkeiten von einem Land, die einen dann in Schwierigkeiten bringen könnten. Siehe Gas, Russland.
Aber Scholz will sich auch nicht abwenden von Peking, nicht abkoppeln, ungeachtet der Entwicklung von China unter Xi, die auch ihm nicht gefallen können. Noch mehr Autokratie, Alleinherrschaft, keine Meinungsfreiheit. Xi hat sich gerade zum dritten Mal wählen lassen, der Vorsitzende der Kommunistischen Partei herrscht uneingeschränkt. Militärübungen rund um Taiwan und entsprechende verbale Begleitungen in eher martialischer Form lassen Schlimmstes gegenüber der abtrünnigen Insel-Republik befürchten. China will Taiwan haben, notfalls auch mit Gewalt. Dazu die Lage in Hongkong, das Schicksal der Uiguren. Man darf bezweifeln, dass wir darauf Einfluss nehmen können, ja wir müssen davon ausgehen, dass einer wie Xi sich nicht gern sagen lässt, wie er zu regieren hat. Die moralische Überlegenheit, die der Westen gegenüber China -wie gegenüber anderen Autokratien-oft betont, ist ein schwieriges Feld. Das Reich der Mitte ist riesig, der Markt reizt die Wirtschaften aus aller Welt. Einer wie Xi lässt sich ungern etwas vorschreiben, auch und gerade nicht vom sogenannten freien Westen.
Als erster Chef einer westlichen Regierung redet Scholz mit Xi nach dessen Wiederwahl. Dass die Chinesen diese Reise entsprechend begrüßen, geschenkt. Der SPD-Kanzler weiß, dass es nach den Erfahrungen mit Moskau kein Weiter-So geben kann. Andererseits sind die Interessen der deutschen Industrie groß. Jedes 3. Auto eines deutschen Herstellers wird in China verkauft. Der größte Markt für Autos weltweit. Der VW-Konzern verkauft 40 Prozent seiner Autos in China. Und deutsche Unternehmen beschaffen sich ihre Rohstoffe vielfach nur im Reich der Mitte. Der Kanzler kennt die Sorgen, die Probleme mit den Lieferketten und allzugroßer Abhängigkeit. Ja, man kann einem chinesischen Staatskonzern wie Cosco ermöglichen, in ein Terminal des Hamburger Hafens einzusteigen und einen Anteil von 24,9 Prozent zu erwerben. Aber wie will man verhindern, dass daraus mehr wird, dass die Chinesen nicht doch eines Tages nicht nur in Hamburg eine strategische Mehrheit bekommen, die ihnen das Sagen ermöglicht. Und wie sieht es mit deutschen Investitionsmöglichkeiten in China aus? Die Zulassung des Biontech-Impfstoffes gegen Corona in China ist längst beantragt, aber nicht passiert. In China für China produzieren, das ist die Strategie von Siemens. Und gleichzeitig will man andere Produktionsstätten in aller Welt offenhalten oder gar stärken, hört man. Das schaffe mehr Unabhängigkeit.
Scholz folgt der Politik, wie sie schon sein großes Vorbild Willy Brandt pflegte: Miteinander reden. Und wenn die Differenzen noch so groß sind. Reden, reden, reden. Und zuhören. Der Kanzler wird mit seinem chinesischen Gastgeber sicher nicht nur wirtschaftliche Probleme erörtern. Möglich, dass sich Scholz von Xi verspricht, dass dieser seinen Einfluß auf Putin geltend macht, damit der Krieg gegen die Ukraine beendet werden kann. Die Eskalationsgefahr ist groß, Russland hat sogar mit Nuklear-Waffen gedroht. China hat als Partner von Russland Möglichkeiten, beide, China und Russland sind ständige Mitglieder im UN-Sicherheitsrat.