Eines wurde Christine Lambrecht gewiss nicht: „eine ganz, ganz bedeutende Verteidigungsministerin der Bundesrepublik Deutschland“. So hatte es Bundeskanzler Olaf Scholz(SPD) damals bei der Präsentation seiner neuen Ministerriege am Nikolaustag 2021 in der SPD-Parteizentrale in der Berliner Wilhelmstraße angekündigt und dieses Versprechen noch mit dem Lob gewürzt, die Frauen und Männer in der Bundeswehr hätten jemand verdient, „der sich für sie einsetzt, der ein Herz für sie hat und der dafür sorgt, dass sie gut ausgestattet werden.“ Und dann fügte er noch für alle hörbar etwas hinzu, was sich ebenfalls als falsch herausstellte: Frau Lambrecht sei eine, „die es auch kann.“ So kann man sich täuschen, so hat sich der Kanzler getäuscht. Denn die Sozialdemokratin Lambrecht, im Kabinett Merkel Justizministerin, kann es nicht im Wehr-Ressort, sie war und ist dort eine Fehlbesetzung, die all das, was Scholz prophezeite, eben nicht hatte: zum Beispiel ein Herz für die Bundeswehr, Empathie. Am Montag, heißt es aus Berlin, werde sie zurücktreten, nach gut einem Jahr im Amt, auf eigenen Wunsch. Die „ganz, ganz bedeutende Verteidigungsministerin“ ist zu einer großen Belastung für den Bundeskanzler geworden, für die Republik, die Ampel, die SPD. Sie hat ausgedient.
Richtige Personalentscheidungen zu treffen, machen auch einen Kanzler aus, der etwas auf sich hält. Wenn er ein Händchen dafür hat, den Instinkt, den Mut, sich mit guten Leuten zu umgeben. Und gerade für ein so riesiges und schwieriges Ministerium wie das der Verteidigung müssen die Besten geholt werden. Denkt man, weil zu den Aufgaben zählen, dass man verantwortlich ist für rund 250000 Frauen und Männer, man ist verantwortlich für das militärische Gerät wie auch für die Unterhosen, für den Milliarden-Euro teuren Haushalt, man muss mindestens ein Auge auf das Beschaffungsamt in Koblenz werfen, wie die Sorgen der Familien der Soldatinnen und Soldaten beachten. Man hält als Ministerin/Minister den Kopf hin für die Soldaten, die irgendwo in der Welt Dienst tun, gefährlichen Dienst am Rande von Bürgerkriegen oder auch mittendrin. Man ist in Mali wie man einst war am Hindukusch. Nicht umsonst galt und gilt das Ministerium der Verteidigung seit jeher als Schleudersitz, von dem man abstürzen oder im Falle des Erfolges aufsteigen kann ins Kanzleramt wie einst Helmut Schmidt. Wenige sind nach Ende ihrer Amtszeit beliebt und geachtet wie es Peter Struck war.
Als Putin den Krieg vom Zaun brach
Im Falle von Christine Lambrecht fragten sich nicht wenige von Anfang an, warum Olaf Scholz eine SPD-Politikerin zur Ministerin mache, die lange vor der Wahl gegenüber ihren hessischen Genossinnen und Genossen mehr resignativ erklärt hatte, sie werde nicht mehr kandidieren für den nächsten Bundestag. Als Begründung hatte sie auf die damals mickrigen Umfragewerte der SPD von rund 15 Prozent hingewiesen. Was nichts anderes hieß als das, dass Lambrecht anders als Scholz nicht mit einem Sieg der SPD rechnete. Damit war auch am Wahlabend klar, dass Christine Lambrecht nicht Mitglied der neuen SPD-Bundestagsfraktion war. Und die dennoch Ministerin wurde, ausgerechnet für Verteidigung. Das schmeckte nicht jedem in der Fraktion.
Wenige Wochen später ließ Russlands Präsident Putin seine Truppen in die Ukraine einmarschieren, ein völkerrechtswidriger Krieg, auf den der frisch gewählte Kanzler Scholz mit seiner Zeitenwende-Rede im Bundestag reagierte. Der SPD-Kanzler verkündete- ohne große Rücksprache mit Fraktionschef Rolf Mützenich- ein zusätzliches Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr, er versprach, man werde den jährlichen Wehr-Etat auf 2vh des BSP erhöhen, ein in der SPD sehr umstrittenes Thema, weil sehr teuer. Aber das Ziel von Scholz war, die Bundeswehr solle gestärkt werden angesichts des russischen Überfalls auf die Ukraine, Europa müsse Putin die Stirn bieten. Und plötzlich war und ist das Verteidigungsressort das Zentrum aller Politik und der dazu gehörenden Diskussionen. Mittendrin eine Ministerin, die mit dieser Aufgabe sichtlich überfordert wirkte. Sie fremdelte in diesem Amt, das soviel Empathie von seiner Ministerin erwartet. Man muss all die kleinen Pannen nicht aufzählen, weder das mit dem Hubschrauber, noch das Silvester-Video, ihre Erfolge wie die Bestellung neuer Kampfjets und Hubschrauber, die Bewaffnung moderner Drohnen gehen im Gespött der Unions-Opposition wie mancher Medien unter.
Zum Gespött von CDU und CSU sei hinzugefügt: Die sollten eher schweigen, alle Verteidigungsministerinnen und -Minister in 16 Regierungsjahren Angela Merkel waren Mitglieder der CDU und CSU, erfolgreich kann man die Arbeit von Guttenberg, von der Leyen und Kramp-Karrenbauer nicht gerade nennen. Und wenn wir schon mal bei der Vergangenheitsbewältigung sind, erwähne ich noch die glorreichen Zeiten der Bundesverkehrsminister der CSU, Ramsauer, Dobrindt, Scheuer, die alle einen Maut-Verdienstorden bekommen müssten und den Bundesinnenminister Horst Seehofer, der sich darüber amüsierte, dass an seinem 69. Geburtstag 69 Asylwerber aus Afghanistan nach Kabul abgeschoben wurden. Ein tolles Geschenk für einen Christsozialen. Und nicht zu reden von den Baustellen des Herrn Merz und des Herrn Söder.
Im Dauer-Feuer ihrer Kritiker
Zwar hieß es immer wieder, der Kanzler halte an Lambrecht fest, Scholz werde unter Druck schon gar nicht den Forderungen von Merz und Söder nachgeben. Und dennoch, bis zum vermuteten Schluss ihrer Dienstzeit stand und steht sie im Dauer-Feuer ihrer Kritiker, weil sie auch den Eindruck erweckte, als habe sie nicht nur keine Ahnung von Verteidigung und Sicherheit, sondern auch keine Lust, sich näher damit zu befassen.
Von Scholz weiß man, er schätze Loyalität, Verschwiegenheit, er möge keine Politikerinnen und Politiker, die nur nach Schlagzeilen in den Medien ihr Interesse ausrichteten. Lieber seien ihm Leute, die fleißig seien, verlässlich, durchsetzungsstark. Letzteres habe Lambrecht bewiesen in der Vergangenheit.
Loyalität hin oder her, Christine Lambrecht ist in jedem Fall zu einer Belastung für Scholz geworden, für die SPD. Wobei die Geschlossenheit von Fraktion wie Partei auffällt, so gut wie nichts ist von Kritik an Lambrecht oder gar an Scholz zu hören, kein Gemeckere an seiner kargen Informations- wie Kommunikations-Politik. Rolf Mützenich hält die Reihen der Fraktion zusammen wie Lars Klingbeil und Kevin Kühnert die der Partei. Früher, zu Brandt-Schmidt- oder Schröder-Zeiten war das anders. Heute scheinen die Flügel der Partei gestutzt zu sein. Die Frage wird sein, ob es der SPD gelingt, mit einem neuen Verteidigungsminister/in den Umfragekeller wieder zu verlassen und in Beliebtheitshöhen zu klettern wie bei der letzten Bundestagswahl. Zur Zeit liegt die CDU mit 27 Prozent vor den Grünen mit 21 und der SPD mit 20 Prozent. Bessere Umfragewerte im Bund würden die Chancen der Partei in den anstehenden Landtagswahlen verbessern.
Högl, Klingbeil, Heil oder…?
Wer Lambrecht nachfolgt, ist die große Frage. Ob Scholz erneut nach 50:50 vorgeht, also die Hälfte der Ressorts von Frauen besetzen lässt? Das sollte eigentlich nicht das Kriterium sein, dass darüber entscheidet, wer künftig das Wehr-Ressort leitet. Wenn er eine Frau vorzieht, wird in der Öffentlichkeit Eva Högl(54) genannt, die Wehr-Beauftragte des Bundestages, die sich gut eingearbeitet habe in das Thema und der man das zutraut. Andere Namen werden genannt wie Lars Klingbeil(44), dessen Vater Berufssoldat war, in seinem Wahlkreis Munster liegt der größte Truppenstandort der Republik. Klingbeil arbeitet gerade daran, die SPD- Außen- und Sicherheitspolitik auf neue Füße zu stellen, er plädiert für eine Führungsmacht Deutschland und ein besseres Verhältnis der SPD zur Bundeswehr. Nur müsste im Falle des Verteidigungsministers Klingbeil sich die SPD einen neuen Vorsitzenden holen. Was nicht so einfach ist. Arbeitsminister Hubertus Heil, (50), gilt als sehr erfahren und professionell. Er war Generalsekretär der SPD, kennt also die Partei, als Arbeitsminister hat er bewiesen, wie man erfolgreich ein großes Ministerium leitet. Er ist beliebt in der Fraktion wie der Partei. Die Frage wäre, wer ihm als Arbeitsminister folgen könnte. Auch Kanzleramts-Chef Wolfgang Schmidt(52) zählt zu dem Kreis der möglichen Lambrecht-Nachfolger, aber es scheint kaum denkbar, dass Scholz auf ihn verzichten würde als Koordinator im Kanzleramt.
Der frühere Verteidigungsminister Volker Rühe(CDU) nannte Anforderungen eines neuen Verteidigungsministers. Es müsse „ein politisches Schwergewicht sein, ein Kämpfer mit Mut und Durchsetzungsvermögen.“ Er erinnerte die SPD und Scholz daran, dass man in der Vergangenheit mit Georg Leber, Helmut Schmidt, Hans Apel, Rudolf Scharping und Peter Struck Politiker in dieses Amt geschickt hatte, die dieses Kriterium erfüllten. Die Frage, ob Mann oder Frau dürfe dabei ebenso keine Rolle spielen wie die Gefolgschaft des Kandidaten zum Kanzler. Der Verteidigungsminister müsse sich auch gegen den Kanzler durchsetzen können.