Dass Olaf Scholz trotz allem Kanzlerkandidat der SPD wurde, die ihm zunächst die Zustimmung als Parteichef verweigert hatte, gehört zu den Merkwürdigkeiten der Politik, lässt aber auch beim Kandidaten eine ziemliche Hartnäckigkeit erkennen. Andere hätten beleidigt hingeworfen, wären weggelaufen, nicht Scholz. Der Mann will tatsächlich Bundeskanzler werden und das, obwohl die SPD, für die er wirbt, seit Monaten in Umfragen bei rund 15 Prozent stehenbleibt. Ein solch mickriger Wert mag viele umwerfen, verzweifeln lassen, aber der Mann mit dem hanseatischen Gemüt wirkt einigermaßen gelassen, betont sogar: „Wir können das schaffen.“
Gut, das muss er sagen, Zweck-Optimismus muss er verbreiten, sonst könnte er ja gleich zu Hause bleiben.Unterschätzen sollte man den Bundesfinanzminister bei seinen Ambitionen aber nicht. Gewählt wird erst in einem Jahr, es wird in jedem Fall einen neuen Kanzler geben, da die vielerorts angesehene Amtsinhaberin Angela Merkel nicht mehr antritt. Das Rennen ist also durchaus offen, zumal die Union sich schwertut mit der Nachfolge, wegen Corona droht der nächste Termin des geplanten Parteitages, auf dem ein neuer CDU-Vorsitzender gewählt werden soll, zu platzen. Es könnte Frühjahr werden, ehe die Fronten klar sind, ob Armin Laschet, Friedrich Merz oder Norbert Röttgen zunächst den Chefstuhl im Konrad-Adenauer-Haus in Berlin besetzen wird und damit den Anspruch auf die Kanzlerkandidatur der Union anmeldet. Wenn Markus Söder, der CSU-Chef, bayerischer Ministerpräsident und Umfragekönig, mitspielt und nicht selber den Ehrgeiz entdeckt, seine Hand zu heben, wenn es um die Macht in Berlin geht.
Mit einem „Wumms“ hat der oft von den Medien als dröge beschriebene Olaf Scholz sein Multi-Milliarden-Programm zur Abfederung der schlimmsten Corona-Auswüchse verkündet. Ausgerechnet Scholz, der sich sonst gerade mal zu einem leisen Lächeln quälen muss, greift zu solchen verbalen Ausbrüchen. Auf einen Wumms des Kanzlerkandidaten der SPD wartet die Öffentlichkeit seit Wochen vergebens, er wird wohl auch nicht kommen, es ist nicht sein Stil. Der Mann führt eher leise, überlegen, mit ruhiger Hand, was nicht bedeutet, dass er ein Anhänger der langen Leine ist. Wer ihn kennt, weiß das zu schätzen. Er mag kein Kandidat der Herzen sein, wie das die SZ mal im Wahlkampf in Hamburg beschrieb, wo Scholz erfolgreicher Regierender Bürgermeister war, aber der Pragmatiker Scholz kann überzeugen. Zudem macht er in Berlin einen guten Job. Und dass die Kraft in der Ruhe liegt, könnte dem SPD-Politiker in diesen eher aufgeregten Pandemie-Zeiten zugute kommen. Er könnte mit dem Merkelschen Motto: „Sie kennen mich“ für sich werben. Heißt: Verlässlichkeit, Vertrauen. Hohe Werte, aus denen Glaubwürdigkeit erwachsen kann.
„Das wird ein harter Ritt“, räumte Scholz in einem Spiegel-Interview im August ein. Damit ist in der SPD für Klarheit gesorgt, was Kritikern wie Matthias Machnig, einem alten Wahlkämpfer aus den Zeiten von Schröder/Lafontaine, nicht so gefällt. Zu früh, wobei der Vergleich mit Johannes Rau doch weit hergeholt ist. Das war in den 80er Jahren, Helmut Kohl stand am Anfang seiner langen Kanzler-Karriere, und der angesehene Rau war eher ein Kandidat für das Präsidialamt. Rau hatte nicht den absoluten Machtanspruch eines Helmut Kohl. Und die Zeiten waren andere, Deutschland geteilt in West und Ost. Scholz weiß, dass die Opposition ihn bekämpfen, nach Fehlern und Schwächen suchen wird, um ihn in Verlegenheit zu bringen. Das zeigen die Affären, in deren Zusammenhang sein Name genannt wird, vor allem der Skandal Wirecard, bei dem in einem Unternehmern in großem Stil Bilanzen manipuliert, aber von hochbezahlten Wirtschaftsprüfern nicht entdeckt wurden. Der Bundesfinanzminister hat die Finanzaufsicht über die Bafin.Ob er da heil rauskommt? Viel wird davon abhängen, ob er die Unterstützung der SPD genießt, der gesamten SPD, die keine Zweifel aufkommen lässt, die sich in keinen Streit über Scholz verwickeln lassen darf. Es darf hier kein Ja, aber geben. Die Genossen müssen sich vor ihn stellen oder hinter ihm versammeln, Scholz muss ihr Kandidat sein, den man nicht infrage stellen darf. Eine Selbstveständlichkeit? Vielleicht bei der Union, aber bei der SPD? Scholz hat mehrfach betont, dass er antritt, um zu gewinnen. Das muss die Partei übernehmen. gewinnen und regieren wollen, Platz 1 und nicht Junior-Partner als Wahlziel, was später daraus wird, sieht man am Wahlabend. Erst wird gewählt, dann gezählt, dann kann man über Koalitionen reden.
Der bei weitem stärkste SPD-Landesverband ist der in NRW. Jeder vierte Sozialdemokrat wohnt an Rhein, Ruhr, Emscher und Lippe. In Zahlen sind das rund 100000 Mitglieder, ein Pfund, wenn man das in die Waagschale werfen kann. Nur, die SPD in NRW ist in keiner guten Verfassung, vor ein paar Jahren haben sie die Landtagswahl gegen die CDU verloren. Ursachenforschung haben sie nicht betrieben, aber der größte Teil der Schuld an der vermeidbaren Niederlage lag vor allem bei der damaligen beliebten Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, die im Grunde keinen richtigen Wahlkampf machte, vielleicht hatte sie keine Lust mehr auf Politik. Jedenfalls hätte sie mindestens ihren Innenminister Ralf Jäger ersetzen müssen, außerdem war es ein schwerer Fehler, den Grünen die Schulpolitik zu überlassen. Und dass die Regierungschefin die Jagd auf Steuerhinterzieher ihres Finanzministers Norbert Walter-Borjans nicht ins Zentrum ihrer Politik rückte, ist bis heute nicht zu verstehen.
Aber seit dieser Wahlschlappe treibt das SPD-Schiff ziemlich führungslos auf dem Rhein. Landeschef Sebastian Hartmann, erst seit ein paar Jahren im Amt, scheint mit der Aufgabe überfordert zu sein. Ambitionen auf die Führung der Landes-SPD hat Fraktionschef Thomas Kutschaty angemeldet, ein mindestens umstrittener Politiker, dem die Fähigkeit zur Zusammenführung der Lager von Parteifreunden abgesprochen wird. Kutschaty überzeugt auch nicht als Chef der Landtags-SPD, Armin Laschet hat als Ministerpräsident ein relativ gemütliches Amt in Händen, die Opposition ist nicht präsent, wirkt müde. Dabei hat Laschet in der eigenen Partei sinkende Popularitätswerte, was eigentlich den politischen Gegner zum Angriff blasen lassen müsste. Aber nichts passiert.
Dazu kommt, dass derselbe Kutschaty ein bekennender Gegner der Groko in Berlin ist. Wie würde ein NRW-SPD-Chef Kutschaty mit dem Kanzlerkandidaten und Bundesfinanzminister Scholz zusammenarbeiten? Wird er ihn unterstützen oder wird er weiter mit dem Ja, aber durch die Lande und damit die Glaubwürdigkeit eines Olaf Scholz in Zweifel ziehen? Es macht es nicht einfacher, dass Kutschaty eher auf der Linie der Groko-Kritikerin Saskia Esken liegt. Ein Parteitag der NRW-SPD musste wegen Corona verschoben werden, bis zum Frühjahr bleibt die Führungsfrage in der NRW-SPD offen. Wenn Kutschaty gewählt werde, so ein Kenner der Partei, werde das die Partei nicht befrieden, man werde ihn wohl wählen wegen Mangels einer Alternative. Man wolle endlich wieder Ruhe haben in der NRW-SPD, wo man gerade dabei ist, die Wunden der verlorenen Kommunalwahl zu behandeln. In Essen, der Stadt der Konzerne, haben die Genossen fast den Boden unter den Füßen verloren. Kutschaty ist Vorsitzender des SPD-Unterbezirks, von ihm würde man gern hören, wie es weitergehen soll in der Stadt, die wie andere Revierstädte früher eine SPD-Bastion war.
Die Union liegt bei Umfragen seit Monaten meilenweit vorn: 35 Prozent ist ihr Wert, manchmal höher. Die SPD rangiert auf Platz drei mit rund 15 Prozent,noch hinter den Grünen mit knapp 20 Prozent. Die hohen Zustimmungswerte sind aber vor allem der Popularität von Angela Merkel geschuldet, was jeder Wahlforscher betont. Was wäre wenn? Wahluntersuchungen zeigen, dass rund fünf Millionen Stimmen von Grünen und der CDU auch zur SPD schielen, also nicht festgelegt sind. Wenn man denen ein politisches Angebot machte…
Dafür müsste die SPD ihr altes Kerngeschäft wieder entdecken und die lebenspraktischen Dinge ins Zentrum ihres Wahlprogramms stellen. Das geht mit Olaf Scholz. Im Interview mit dem Spiegel hatte der Kandidat herausgestellt, was man mit der Parteiführung zusammen erreicht habe. „Die Abschaffung des Solidaritätszuschlags konzentriert sich auf die 90 Prozent derer, die Entlastung brauchen. Aber nicht auf diejenigen, die ein paar Hunderttausend Euro im Jahr verdienen.“ Was heißt: eine SPD-geführte Bundesregierung würde Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entlasten, aber nicht die Millionäre. Die starken Schultern sollen mehr tragen als bisher, das hat schon Willy Brandt so gefordert. Ganz in seinem Sinne ist der SPD-Kanzlerkandidat gegen Steuersenkungen für Spitzenverdiener und Vermögende. Ein Punkt, der nicht nur die Jusos um Kevin Kühnert erfreuen würde. Ferner hat Scholz klargestellt, das Respekt vor der Leistung des anderen zu seinen zentralen Botschaften gehören werde. Man könne nicht samstags den Corona-Helden applaudieren, Pflegekräfte aber mit miserablen Löhnen abspeisen. Da werde sich mit einer SPD-geführten Regierung etwas ändern, kündigte Scholz an. „Ich möchte in einer besseren Welt leben, in einer Welt, in der besser bezahlt wird, in der Pflege, im Einzelhandel, in der Gastronomie. Mich ärgert auch, mit welcher Nonchalance viele über die Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie hinweggesehen haben.“
Reichtum verpflichtet, könnte man auch als Wahlkampfpunkt nennen, wenn 40 reiche Haushalte in Deutschland so viel besitzen wie die ärmere Hälfte der Bevölkerung, das sind immerhin 40 Millionen Menschen. Die Kluft zwischen Arm und Reich ist so tief wie schon lange nicht. Im reichen Deutschland ist jedes fünfte Kind armutsgefährdet.Und Corona verschärft die schon bestehende Bildungsungleichheit. Ja, wir brauchen einen neuen Sozialstaat, der für ausgeglichenere Lebensverhältnisse sorgt, der sich darum kümmert, dass lebenswerte Wohnungen gebaut werden, die bezahlbar sind, der dafür sorgt, dass wir wieder ordentliche Arbeitsverhältnisse bekommen, die nicht nur aus Befristungen bestehen. Solidarität, soziale Sicherheit, mehr Gerechtigkeit, Gleichberechtigung. Das gehört alles zum Kerngeschäft der mit 157 Jahren ältesten deutschen Partei.
Olaf Scholz wird die Dinge mit der „Macht seiner Ruhe“ angehen. „Ich bin ein leidenschaftlicher Sozialdemokrat und glaube, dass es unserem Land guttun würde, wenn es mal wieder von einem SPD-Kanzler regiert wird.“ Hat Scholz am Schluss seines Spiegel-Interviews gesagt. Warten wir ab, wie sein harter Ritt als Kanzlerkandidat weitergeht. Warten wir ab, wer seinen Wahlkampf leitet. Gesucht wird ein Manager von der Klasse der einstigen Kampa-Truppe um Franz Müntefering/Matthias Machnigg, gesucht wird ein erfahrener Presse-Chef, der die Journalisten bedient, sich um sie kümmert, dafür sorgt, dass Scholz entsprechend „verkauft“wird, gesucht wird eine Mannschaft von rund zehn Leuten, auf die sich Olaf Scholz verlassen kann. Bis Ende des Jahres will man weiter sein, soll ein Fundament stehen. Eines aber steht jetzt schon fest, wie es ein Insider formuliert: „Wir müssen ein Team Olaf Scholz schaffen. Das mit einer Stimme spricht .“
Bildquelle: SPD, Thomas Trutschel / Photothek
Eine weitgehend zutreffende Analyse. Vor allem auch die Forderung nach einem Team am Ende des Beitrags. Herzlichen Glückwunsch dazu. Nur, dass der arme Matthias Machnig mit einem zweiten „g“ im Nachnamen verunstaltet wird, ist – finde ich – unverzeihlich.
Danke für den Kommentar und den Hinweis auf den unverzeihlichen Fehler. Wir haben versucht, das im Team zu lösen ;-).