Es ist fast ein Jahr her seit der Bundestagswahl 2021, die die SPD knapp vor der Union als Sieger sah. Die Wahl des Bundeskanzlers Olaf Scholz(SPD) als Nachfolger von Angela Merkel, die nicht mehr kandidiert hatte, erfolgte erst am 8. Dezember. Mit den Stimmen der SPD, der Grünen und der FDP, den Parteien, die die Ampel-Koalition bilden, eine politische Formation, wie sie es auf Bundesebene noch nie gab. Scholz ist der 9. Bundeskanzler und der vierte SPD-Regierungschef. Handwerkspräsident Hans-Peter Wollseifer sagte, der neue Kanzler starte in einer Zeit, die „keine Schonfrist oder gar Aufschub“ zulasse, sondern sogleich entschlossenes Regierungshandeln abverlange. Eine Reaktion, die ziemlich genau beschrieb, was auf Scholz warten würde. Die Medien hatten sich schon vor seiner Wahl auf ihn eingeschossen, vor allem die aus der Hauptstadt ließen ihm nicht mal die Zeit bis zu seiner Wahl. Und im folgenden Februar kam dann noch der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine hinzu. Der Kanzler war und ist pausenlos gefordert, duch die Corona-Pandemie, die Klimakatastrophe, den Krieg und die davon ausgelösten Krisen wie Energie, Hungersnöte, Inflation, explodierende Preise.
Es gibt nur wenige Bücher zu und über Olaf Scholz, den Bundeskanzler mit SPD-Parteibuch. Eines, aus der Feder des Chefredakteurs des Hamburger Abendblattes, Lars Haider, habe ich gerade gelesen. Titel: Olaf Scholz. Der Weg zur Macht, geschrieben nach seiner Wahl zum Bundeskanzler, 2. Auflage Januar 2022, also ohne Bewertung seiner bisherigen Arbeit als Regierungschef einer Ampel-Regierung in Berlin. Haider hat sich von all den teils voreiligen Kritiken aus der Hauptstadt nicht anstecken lassen, er baut seine Beschreibung des Olaf Scholz auf seine eigenen Erfahrungen mit dem früheren Bürgermeister der Hansestadt, auf Gespräche mit Scholz, Begegnungen aller Art. „Scholz ist nicht aus der Ruhe zu bringen,“ hat Haider in einem Gespräch mit dem Tagesthemen-Chef Ingo Zamperoni gesagt. „Er geht mit Rückschlägen anders um als andere, macht sich nach Niederlagen einfach wieder an die Arbeit, um es besser zu machen.“ Einer wie Scholz denkt nicht daran, hinzuwerfen. Gefragt nach seinem Charisma, antwortete Haider kurz nund knapp: ´“Er ist wie er ist.“ Eben unterkühlt, mag sein schüchtern, ein Mann, der glaubt, es besser zu wissen als viele andere und der stets bestens vorbereitet ist. Zu seinem Führungsstil fällt mir noch ein: Er ist kein Entertainer, kein Zirkusdirektor, wie er selber gesagt hat, sondern Kanzler, der mit seiner Arbeit überzeugen will und der dabei auch seine Mitstreiter in der Koalition glänzen lässt.
Zögernd, zaudernd oder überlegt?
Schüchtern, zurückhaltend, zögernd, zaudernd, aber auch überlegt. Für manche Kritiker unerträglich, die ihm zudem seine Erinnerungsschwächen in der Cum-Ex-Affäre vorhalten, weil sie ihm das nicht abnehmen, dass er sich an Gespräche mit Bankern aus der Hansestadt zwar erinnern könne, nur nicht an die dort besprochenen Inhalte. Ein Kanzler mit Gedächtnisproblemen, das gehe gar nicht. Ich gebe zu, dieser Punkt nagt an der Glaubwürdigkeit von Olaf Scholz, andererseits halte ich ihn nicht für so dumm, dass er etwas mit diesen dubiosen Steuergeschäften zu tun gehabt habe. Wie auch immer, wer ihn deswegen anklagen will, muss beweisen, dass er Schuld trägt, dass Scholz nicht die Wahrheit sagt, sondern lügt, wie es einige der Kritiker tun. Ein scharfes Wort. Aber auch ein Bundeskanzler kann für sich die Unschuldsvermutung in Anspruch nehmen. Das ist gutes deutsches Recht.
Interessant, wie Lars Haider diesen Punkt in seinem Buch behandelt. Auch ihm kommt das ein wenig spanisch vor, um es mal so zu formulieren, aber er hält diesen Angriffspunkt für viel zu komplex und schwierig, um daraus im Wahlkampf einen Angriff auf Scholz erfolgreich zu starten. Der normale Wähler versteht Cum-Ex kaum. Haider hätte der Opposition geraten, Scholz wegen des Versagens beim G-20-Gipfel in Hamburg anzugreifen. Motto: Wer einen solchen Gipfel organisatorisch nicht in der Lage sei, unfallfrei über die Bühne zu bringen, dem fehle doch ein solches Führungs-Management später in der Hauptstadt erst recht. Zur Erinnerung: Scholz hatte den Gipfel völlig falsch eingeschätzt, hatte im Vorfeld von einer Atmosphäre wie bei einem Hafen-Spaziergang gesprochen. Tatsächlich hatten Chaoten Teile der Stadt wie das Schanzenviertel fast in Schutt und Asche gelegt. Hamburg, die Schöne, lag später in Teilen zertrümmert am Boden. Die Union hatte im Grunde keinen Plan, um Scholz zu stellen.
Von vielen lange unterschätzt
Vielleicht hatten Armin Laschet und seine Wahlkampf-Truppe den SPD-Mann Scholz auch einfach unterschätzt. Weil Scholz auch in der SPD viele Jahre unterschätzt wurde, bei Wahlen oft die schlechtesten Ergebnisse erzielte. Das ist so ein Punkt, der den Hamburger seit Jahren begleitet. Ich erinnere mich an seine Zeit als SPD-Generalsekretär-oder hieß der damals noch Geschäftsführer?- als Scholz durchs Ruhrgebiet reiste und sich mit den Problemen des Strukturwandels befasste. Ein Politiker, der zwar zuhörte, aber kaum das Wort ergriff, ohne Ausstrahlung, blass. Als ich wieder in der Redaktion war, diskutierten wir über Scholz und seine Zukunft. Zukunft? Nach meiner Einschätzung hatte er keine, kam er mir vor wie eben ein Geschäftsführer, Buchhalter. Zwei Kolleginnen widersprachen: Der werde noch mal was, eine setzte darauf, dass der Scholz Bundeskanzler werde, ich bot eine Wette an. Das Ergebnis ist bekannt. Die Kolleginnen hatten Recht.
Und Scholz hatte Recht, auch wenn er das Rennen um den SPD-Vorsitz gegen Nowabo und Saskia Esken verlor. Typisch für ihn, dass er nicht daran dachte, aufzugeben, er ließ das Duo die SPD neu aufstellen, die einst zerstrittene Partei zeigte eine Geschlossenheit wie nie, was sie auszeichnete gegenüber einer Union, in der der CSU-Chef Markus Söder gegen den Kanzlerkandidaten Armin Laschet stichelte und stänkerte, weil er nicht wahrhaben wollte, dass die CDU ihn, den großen bayerischen Ministerpräsidenten, als Kandiaten für das Kanzleramt ablehnte. So verliert man Wahlen.
Scholz hat in Hintergrundkreisen immer wieder auf seine Ambitionen abgehoben, später mehrfach betont, er werde Kanzler. Und wurde belächelt. Klar, damals lag er in Umfragen bei unter 15 Prozent. Sein, wenn man so will, „alter Ego“, Wolfgang Schmidt, hat dieses Lied immer wieder ge- und besungen. Ihr liegt falsch, der Olaf macht das und der Olaf schafft das. Lars Haider argumentiert ähnlich. Er hat Scholz in Hamburg erlebt, wie er den Torso um die Elbphilharmonie entschlossen in die Hand nahm und viel Geld dazu, neue Verträge aushandelte und am Ende das fertige Gebäude der erstaunten Öffentlichkeit präsentierte, das längst zum Aushängeschild der Hansestadt geworden ist. Haider hat Scholz´ Wort noch im Ohr, dass er Tausende von Wohnungen in Hamburg bauen lassen werde, um die Wohnungsprobleme vor allem der kleinen Leute und denen aus der Mittelschicht, die nicht so betucht sind, zu helfen. Die Wohnungen stehen schon. Scholz hat auch Wort gehalten, dass der Besuch der Kitas umsonst ist. Und anderes mehr.
Stimmungen können sich ändern
Zugegeben, die Umfragewerte für die SPD und Scholz sind nicht gut. Lars Haider glaubt nicht, dass sich Scholz davon aus der Ruhe bringen lassen werde. Olaf Scholz ist ein Läufer, ein Langstreckenläufer, der weiß, dass er seine Kraft so einteilen muss, um am Ende noch Power für einen Schlussspurt zu haben. Die nächste Bundestagswahl, das stimmt, ist weit weg, aber die Landtagswahl in Niedersachsen steht vor der Tür. Mit dem im Land und der SPD beliebten Ministerpräsidenten Stephan Weil. Scholz weiß um die Bedeutung des dortigen Urnengangs, auch für ihn. Aber gerade einer wie er weiß aus eigener Erfahrung- man denke an die letzte Bundestagswahl-, wie schnell sich Stimmungen ändern können. Auch und gerade zu seinen Gunsten.
Und gerade erfährt einer wie Robert Habeck, der charismatisch ist, als Politik-Erklärer deutschlandweit beliebt und gerühmt, wie schnell man an Ansehen verlieren kann, wenn einem handwerkliche Fehler unterlaufen. „Entscheidend wird am Ende nicht sein“, so Lars Haider, „wie Olaf Scholz was kommuniziert, sondern ob es ihm gelingt, Deutschland durch diese schwere Krise zu führen.“ Der frühere Siemens-Chef Joe Kaeser meinte zur kühlen Kommunikation des Kanzlers, ein ruhiger, bedächtiger Scholz sei ihm lieber. Es gäbe ohnehin schon viel zu viele Hektiker in der Welt. Wie wahr. Aber eines wünschte ich mir, dass Scholz öfter den Bürgerinnen und Bürgern seine Politik erklärt und sie damit mehr einstimmt auf das, was auf sie zukommen kann. Und es kann einiges auf uns zukommen.
Es ist ein lesenswertes Buch, verständlich geschrieben, man liest es in einem Zug durch. Der Autor kennt seinen Scholz. Der Spiegel urteilt: „198 Seiten komprimiertes Wissen über einen Mann, der in den kommenden Jahren das Land führen soll.“
Bildquelle: Frank Schwichtenberg, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons