Olaf Scholz fiebert seiner Premiere entgegen. Erstmals spricht der deutsche Bundeskanzler vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen. Um die 140 Staats- und Regierungschefs haben sich zur 77. Vollversammlung in New York angemeldet. Während in der Ukraine die Waffen sprechen, wirkt dort eine Woche lang das Wort. Allerdings geht von dem Gipfeltreffen im Glaspalast am Eastriver keine Hoffnung auf ein Ende des völkerrechtswidrigen Krieges aus.
Für die Vereinten Nationen bedeutet die russische Aggression eine bittere Lektion. Zwar beklagt UNO-Generalsekretär Antonio Guterres deutlich die brandgefährlichen Folgen; die Spaltungen in der Welt seien groß wie seit dem Kalten Krieg nicht mehr. Zwar sind ihm auch diplomatische Erfolge gelungen, etwa die Wiederaufnahme der Getreidelieferungen aus der Ukraine. Doch gegen den russischen Präsidenten findet die UNO kein Mittel, um das Sterben und Leiden zu beenden. Als Veto-Macht im Weltsicherheitsrat blockiert Moskau jede Initiative.
Das Gremium hätte längst reformiert werden müssen. Anläufe dazu, wie sie vor Jahrzehnten schon der frühere Bundespräsident Richard von Weizsäcker unternommen hat, liefen regelmäßig ins Leere. Die Mächtigen ließen nicht von ihrer vermeintlichen Macht. Nun entpuppt sie sich als Ohnmacht. Wladimir Putins Verstoß gegen die Charta der Vereinten Nationen bleibt ohne Konsequenzen. Die einzige „Waffe“, um den Kreml zu stoppen, ist seine internationale Isolation. Ein mühsames Unterfangen in einer Welt, in der militärische und wirtschaftliche Stärke zunehmend die Stärke des Rechts übertrumpfen.
Als kleiner Lichtblick wird gewertet, dass eine deutliche Mehrheit dem ukrainischen Präsidenten Wolodomir Selenskyi zubilligte, per Videoschalte zur Vollversammlung zu sprechen. Doch ein belastbares Indiz für den Zusammenhalt der Weltgemeinschaft stellt die Ausnahmegenehmigung nicht dar. Wenn es um handfeste nationale Interessen geht, sieht die Lage, so ist zu befürchten, schnell wieder anders aus.
Olaf Scholz (SPD) wird daran mit seiner Rede wenig ändern können. Optimisten setzen auf Gespräche hinter den Kulissen, auf die Präsidenten Joe Biden, Recep Tayyip Erdogan, Emmanuel Macron, die neue britische Regierungschefin Liz Truss. Allerdings ist da noch die stattliche Zahl von Regierungen der südlichen Halbkugel, die es leid sind, dass der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine alle anderen Themen überdeckt. Der Klimawandel, die weltweite Hungerkrise, die Corona-Pandemie treffen den Süden ungleich härter als den Norden und drohen in der Generalversammlung zur Randnotiz zu verkommen.
Der Bundeskanzler kann, wenn er am Rednerpult die Banner der 17 globalen Ziele für nachhaltige Entwicklung im Rücken hat, Akzente setzen. Neben Frieden und Gerechtigkeit sind die Bekämpfung von Ungleichheit, Hunger und Armut, die Garantie von sauberem Wasser und guter Bildung, die Gleichberechtigung der Geschlechter, erneuerbare Energien und Klimaschutz drängende Aufgaben. Sie lassen sich erfolgreich nur gemeinsam bewältigen – mit reformierten, gestärkten und handlungsfähigen Vereinten Nationen.
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