Im Ruhrgebiet pflegt man die klare Sprache. Dieser Kanzler habe nun wirklich „keinen Arsch in der Hose“, sagte dieser Tage ein Nachbar. Nun, dieser Nachbar zählt nun wahrlich nicht zu den rechten Wutbürgern – im Gegenteil. Er ist durch und durch „Sozi“, verzeiht seiner Partei so ziemlich alles und verteidigt die SPD und ihren Kanzler – solange es eben geht.
Nun geht es aber offenbar nicht mehr. Dass der Nachbar Kanzler Scholz mangelnden Durchsetzungswillen, gar Feigheit, unterstellt, hat ja durchaus Gründe. Gerade erst hat die Ampel unter der Führung der SPD (!) die Abschaffung einiger Steuerprivilegien für die Landwirte beschlossen – da macht sie auch schon wieder einen Rückzieher. Nach einer Protestwelle von im Winter offenbar unterbeschäftigten Bauern, die auf ihren extrem teuren und subventionierten Monster-Traktoren durchs Land rollen, knickt die Regierung ohne Widerstand ein. Welch ein fatales Signal!
Es ist ja nicht das erste Mal, dass die Koalition in den vergangenen Monaten aus lauter Panik vor noch mehr Zulauf für die extreme Rechte auf Vorhaben verzichtet, die sie sich zum Regierungsantritt auf die Fahnen geschrieben hatte. Genannt seien hier etwa das Heizungsgesetz und das geänderte Bürgergeld. Nun also die Subventionskürzungen für die Bauern.
Dass die Angst vor rechts zudem eine vernünftige und zukunftsgerichtete Einwanderungs- und Integrationspolitik verhindert, ist das derzeit vielleicht größte innenpolitische Problem – und bedarf einer gesonderten Betrachtung.
Nun aber zu den drei oben genannten Themen. Wir wollen hier nicht auf die Details der jeweiligen Vorhaben und deren Schwächen eingehen. Doch völlig sinnfrei war keines – weder das Heizungsgesetz noch das Bürgergeld oder der Abbau von Steuersubventionen. Hatten sich in Umfragen nicht jeweils große Mehrheiten der Bürger für Klimaschutz, Bekämpfung von Armut und mehr Steuergerechtigkeit ausgesprochen?
Nun darf man die einzelnen Maßnahmen der Regierung natürlich kritisieren – vor allem deren handwerkliche Umsetzung. Wenn sich indes eine mit Mehrheit gewählte Regierung nach breiter Debatte auf politische Ziele festlegt, so sollte man davon ausgehen, dass diese Maßnahmen wohlüberlegt sind. Und dass sie deshalb auch mit so viel fester Überzeugung vertreten werden, dass diese nicht gleich vom ersten Proteststurm weggeblasen wird.
Doch statt ansteckendem Mut und mitreißender Überzeugung herrschen in der Scholz-Regierung Kleinmut und – man muss es so hart sagen: Feigheit. Nach der von einer Allianz aus Bildzeitung, Union und AfD befeuerten Hetze gegen das Heizungsgesetz wurden nicht etwa die durchaus vorhandenen Schwachstellen des Entwurfs beseitigt – das ganze Vorhaben wurde bis zur Unkenntlichkeit und Unwirksamkeit verstümmelt. Statt das reformierte Bürgergeld, von dem man angeblich doch so überzeugt war, offensiv zu verteidigen, kuschten die Verantwortlichen vor der von „Bild“ und Merz-CDU entfachten Neiddebatte zwischen den Armen und den noch Ärmeren – zwischen Mindestlohn-Empfängern und Bürgergeld-Beziehern.
Besonders pikant: Bei fast allen von rechts mit Polemik attackieren Vorhaben der Ampel sitzt der Gegner auch in den eigenen Reihen. Die FDP untergräbt von Anfang an fast jeden ökologisch oder sozial motivierten Vorstoß aus den Reihen von SPD und Grünen. Mit diesen Neoliberalen ist vernünftiges Regieren fast unmöglich.
Nun also der Protest der Bauern, von denen sich einige aufführen wie ein wild gewordener Mob von Reichsbürgern. Beim Angriff auf den Grünen-Wirtschaftsminister Robert Habeck an der Küste herrschte nach Aussagen von Augenzeugen fast Pogromstimmung.
Gerade diese aus dem Ruder laufenden Bauernproteste zeigen das ganze Dilemma der Ampel. Indem sie auf noch so widerlichen und überzogenen Protest durch Zurückweichen reagiert, stachelt die Regierung die extremistischen Wutbürger und AfD-Anhänger ungewollt nur noch weiter an. Statt das Rückgrat durchzudrücken und den Krawallmachern die Stirn zu bieten, tritt die Ampel auf fast allen Feldern den Rückzug an, in der falschen Hoffnung, so Schlimmeres zu verhindern.
Wer bislang noch gehofft hatte, SPD-Kanzler Olaf Scholz verfolge auf die ihm eigene stoische Art seine Ziele, der muss nun einsehen: Dieser Kanzler hat offenbar gar keine Ziele, für die er voller Überzeugung auch gegen Widerstände eintritt, Ziele, für die er die Bürger begeistern kann und will. Fast scheint es, als habe sich diese Regierung dem Mob ergeben.
Man muss kein unverbesserlicher Nostalgiker sein, um darauf zu verweisen, dass es auch anders geht. Wären Willy Brandt und seine SPD damals vor der geballten rechts-konservativen Polemik von Union und „Bild“ zurückgewichen, hätte es Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre nicht den dringend notwendigen Wandel gegeben – weder in der Gesellschafts- noch in der Friedenspolitik.
Willy Brandt hatte seine Regierung 1969 unter das Motto gestellt: „Mehr Demokratie wagen“. Olaf Scholz machte bewusst eine historische Anleihe bei Willy Brandt: Die Überschrift über den Koalitionsvertrag der Ampel lautete deshalb: „Mehr Fortschritt wagen“.
Der Unterschied: Willy Brandt meinte das mit dem „wagen“ noch ernst.
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